Buh! Alles auf die Bäume, hier kommt ne Romanze! Ja, richtig gelesen. Aber keine Angst: Deine Juliet enthält zwar einige hinlänglich bekannte Liebesfilm-Zutaten, hat aber doch einiges mehr zu bieten.
Schroffe, steile Klippen soweit das Auge reicht. Unten die raue See, oben saftig-grüne Wiesen. Beschauliche Landhäuschen aus Bruchstein im dichten Wald, dazwischen ein paar hübsche kleine Pfade und Pferdekutschen… Huch, das ist ja eine überproportional große Ansammlung von blumigen Adjektiven. Und die kommt nicht von ungefähr: Deine Juliet geizt nicht gerade mit den optischen Reizen eines England, wie es im Bilderbuch steht. Nein, vielmehr noch: Die romantischen Impressionen kommen nur allzu vertraut vor, doch – und das ist wichtig – führen sie hier auf die falsche Fähr…
Wie meinen? Nein, absolut richtig gelesen. Hier geht’s um Deine Juliet. Ja, das Ding ist ne Romanze, zugegeb… Bitte? Was uns geritten hat, hier so eine triefige Liebesgeschichte auf den Blog zu nehmen? Ok, stimmt, dieser Blog soll eine klitzekleine Internet-Nische für Nerd-Zeug sein. Tja, nun, was soll ich sagen – es ist einfach passiert. Das hatte aber auch einen Grund: Denn nach Sichtung der beiden beinahe schon komplementären Kriegs- und Geschichtsfilme Dunkirk von Christopher Nolan und The Darkest Hour von Joe Wright schien Deine Juliet zumindest ansatzweise wie eine nette Ergänzung zum Thema: Immerhin spielt die Geschichte im Jahr 1946 auf der beschaulichen Kanalinsel Guernsey und führt via Rückblenden noch fünf Jahre weiter in die Vergangenheit, also in die Zeit der deutschen Besatzung. Da kommt doch wenigstens eine ähnliche Atmosphäre auf, wenn zum Beispiel gezeigt wird, wie die Insel-Kinder ausgeschifft werden, bevor die Wehrmacht anrückt.
Auf die falsche Fährte geführt
Womit wir eigentlich auch gleich beim Thema wären, auf das ich hinaus wollte: Deine Juliet bietet vielleicht eine Kulisse, die in einigen Szenen haarscharf am öffentlich-rechtlichen Rosamunde Pilcher (R.I.P.)-Kitsch vorbeischrammt. Aber die Bilder führen auf die falsche Fährte. Denn es mag zwar eine Liebesgeschichte geben, die selbst für den eingefleischten und frauenfernen Nerd quasi von Beginn an vorhersehbar ist. Der Film bietet jedoch ein bisschen mehr als nur das: Deine Juliet, die im Original mit dem Zungenbrecher The Guernsey Literary and Potato Peel Pie Society betitelt ist und auf dem gleichnamigen Briefroman basiert, handelt von einer Romanautorin, die eigens aus London anreist, um über besagten Buchclub zu schreiben.
Die dabei aber auf eine tragische Kriegsgeschichte stößt, die sich einige Jahre zuvor auf der Insel ereignet hatte. Und wie sich dann Schritt für Schritt ein kleines Kapitel aus der Besatzungszeit enthüllt, das sorgt weniger für Schmalz als vielmehr für eine gewisse Spannung.
Gedreht hat den Film Mike Newell. Also jemand, der mit Vier Hochzeiten und ein Todesfall seinen Durchbruch gefeiert und die vergangenen Jahre mit allerlei Buchverfilmungen verbracht hat, von Harry Potter über Die Liebe in Zeiten der Cholera bis hin zu den Great Expectations nach Vorlage von Charles Dickens. Und es wird spürbar, dass der Regisseur ein routiniertes Händchen für den Umgang mit Romanvorlagen erworben hat. Deine Juliet ist in vielerlei Hinsicht ein ziemlich gut ausbalancierter Film, der Zeitgeschichte, Kriegskolorit, persönliches Drama, Liebeswirren, Rückblenden und die verschiedenen Charaktere des titelgebenden Buchclubs unter einen Hut bekommt. Erfreulich dabei ist, dass sich die Liebesgeschichte zwischen besagter Juliet aus der Großstadt und einem Schweinebauern von der Insel (ja, Schweinebauer, so viel Kitsch muss dann doch sein) auf wenige Gesten und Momente konzentriert. Damit lässt der Film genug Raum für sein übriges Personal und die Aufdeckung der vergangenen Ereignisse.
Wenn man was zum Meckern sucht…
Gänzlich fehlerlos ist der Film leider nicht. Da wären zum einen die Kriegsgräuel, schließlich spielt der Film in Kriegszeiten. Und eben diese Gräuel bleiben ein Spiel mit Worten, das allenfalls erahnen lässt, dass das Leben unter der Besatzung damals kein Zuckerschlecken gewesen und die Bevölkerung von Hunger und Repressalien gebeutelt gewesen ist. Zum anderen wäre da die Simplifizierung, ohne die das Genre anscheinend nicht auskommt: Die deutschen Besatzer sind natürlich durch und durch böse. Sie töten, so wird dem Zuschauer erzählt, während eines ersten Angriffs einige Leute im Hafen. Und sie bringen Zwangsarbeiter auf die Insel, die zu Tode geschunden werden, so wird dem Zuschauer ebenfalls erzählt. Alles historisch belegt, das ist nicht der Punkt. Doch da gibt es natürlich den einen blonden Deutschen, der ist so gut und so – Achtung, Wortwitz! – übermenschlich liebenswert, dass man sich fragt, ob der Film irgendwie am Stockholm-Syndrom leidet.
Aber das ist auch egal. Ohne bestimmte Zutaten kommt so ein Stück halt nicht aus. Im Actionfilm hinterfragt schließlich auch niemand, warum die Tankstelle explodieren muss. Dafür darf man einmal mehr einem geglückten Cast mit einigen britischen Charakterköpfen zuschauen. Lily James spielt eine hübsch selbstbewusste und emanzipierte Schriftstellerin, der nur stellenweise etwas zu idealistische Sätze über die Kraft der Literatur in den Mund gelegt werden. Katherine Parkinson gibt eine nett verstiegene Schnapsbrennerin, die zur besten Freundin wird. Penelope Wilton, die unter anderem den Doctor Who-Fans bekannt sein dürfte, schwankt in ihrer Darstellung ganz wunderbar zwischen bissig und verletztlich. Und Jessica Brown Findlay ist ein unverbrauchtes Gesicht, das hier mühelos zur zweiten Hauptrolle wächst.
Sturm und Drang und Spannung in Cornwall
Also, kein Grund für Berührungsängste. Die Landschaften von Devon und Cornwall – das heutige Steuerparadies Guernsey taugte aufgrund seines Reichtums nicht mehr als quasi-kriegsgebeutelter Drehort – kann man sich immer ganz gut anschauen. Und anstelle von Trief und Schmalz gibt es eine gelungene Mischung aus Humor, Tragik und sogar ein wenig Spannung. Nette kleine Überraschung. Und jetzt wieder runter von den Bäumen.
Setzen wir doch noch einen drauf. Beschäftigen wir uns nicht nur mit einer Romanze, sondern sogar mit der Buchvorlage. Ich habe knallhart recherchiert und jemanden gefragt, der Deine Juliet in Buchform kennt. Der begeistert war. Der eine Frau ist. Und der, also die sagt: Auffälligster Unterschied zum Film ist natürlich, dass die Vorlage als Briefroman verfasst worden ist. Die Handlung wird somit über Geschriebenes zwischen Hauptfigur Juliet und ihrem Buchclub auf Guernsey erzählt. Im Film hat Juliet nur Briefkontakt mit ihrem Schweinebauern Dawsey, bevor sie auf die Insel kommt. Im Buch schreibt sie sich bereits mit der gesamten Bande. Dort ist die bärbeißige Amelia, also der Charakter von Penelope Wilton, gar nicht so bärbeißig. Und die übrigen Literaturliebhaber kommen auch weniger verschroben rüber als im Film.
Juliet selbst dagegen ist im Buch deutlich vorwitziger, im Film viel braver. Das liegt vielleicht daran, dass in der Vorlage erzählt wird, was sie im Krieg und bei der Bombardierung von London erlebt hatte. Eine Figur fehlt im Film übrigens ganz: Sophie, die Schwester ihres Verlegers Sidney und ihre beste und engste Freundin. Ihr Verlobter Malcolm dagegen ist bereits im Buch ein Ar… Blödmann, ein Blödmann. Fazit meiner Quelle: Der Film ist sehr gut, aber die Erzählweise per Brief hätte im Film etwas stärker anklingen dürfen, zum Beispiel per Off-Erzählung.
In Kürze: Deine Juliet sieht vielleicht aus und fühlt sich auch zunächst so an wie öffentlich-rechtliche Rosamunde Pilcher-Idylle. Doch hat die Roman-Verfilmung mehr zu bieten als hübsche Bilder und schmachtende Blicke. Mike Newell präsentiert eine gut ausbalancierte Geschichte, die Zeitkolorit, Drama, Romanze und Kriegs-Background unter einen Hut bekommt und sogar etwas Spannung aufweist. Die vorhersehbare Liebesgeschichte ist dabei auf ein angenehmes Maß reduziert.
Bewertung: 7 / 10