John Williams kommt! John Williams kommt doch nicht! Leider. Und doch nicht leider. Der Maestro hatte sich ein weiteres Mal für die Berliner Philharmonie angekündigt, musste aber absagen. Trotzdem erleben wir ganz zauberhafte, wirklich unvergessliche Abende – bei den John Williams Berlin Concerts 2025.

Eine Note – mehr braucht es nicht. Genau eine Note hallt durch den Saal, und schon weiß das Publikum, um welches Musikstück es sich handelt. Ein tiefes, bedrohlich grummelndes E aus Richtung der Kontrabässe, und zwar ein ganz tiefes. Der Dirigent lässt aber nicht locker, und auf sein Handzeichen ergänzen die Kontrabässe das tiefe, bedrohliche E durch ein ebenso tiefes und bedrohliches F. Wieder Handzeichen, und die beiden Noten wiederholen sich immer wieder. Und selbst die Zuhörer im Saal, die nichts mit Noten anfangen können, haben sofort eine Assoziation dazu im Kopf: einen großen, hungrigen Hai.

John Williams-Konzert: Berliner Philharmoniker stehend.
Bitte recht freundlich: Die Berliner Philharmoniker präsentieren sich ihrem Publikum. Das bedenkt die Musiker mit stehenden Ovationen. Auf dem Dirigentenpult: Stéphane Denève.

Dirigent Stéphane Denève löst das Rätsel dann auch mit seinem unvergleichlichen französischen Akzent auf: Die zwei Noten markieren das berühmte Motiv aus „Jooohrs“. Gemeint ist „Jaws“, oder auf Deutsch: „Der Weiße Hai“. Der Film feiert in diesem Jahr das 50-jährige Jubiläum seines Entstehens. Was aber nicht allein der Grund sein dürfte, warum er bei diesem Konzert von den Berliner Philharmonikern im Programm wortwörtlich auftaucht. Dazu dürfte auch zählen, dass der Film abseits seines Hauptthemas einige wunderbare musikalische Leckerbissen bereithält, darunter die Stücke „Out to Sea“ oder die „Shark Cage Fugue“. Und die Berliner liefern sicherlich eine der besten Interpretationen dieser Musik – obwohl es in 50 Jahren davon schon viele gegeben hat.

Eigentlich kann nichts mehr schiefgehen …

Dabei sollte Stéphane Denève eigentlich gar nicht vor diesem berühmten Orchester stehen. Sondern der Komponist der Stücke, nämlich John Williams höchstselbst. Und das im beachtlichen Alter von 93 Jahren. Der Maestro hatte sich nach seinen inzwischen berühmten „Berlin Concerts“ im Jahr 2021 erneut in Berlin angemeldet und wollte noch einmal das Podest im „Circus Karajani“ besteigen, wie die Philharmonie liebevoll genannt wird. Diese Ankündigung stößt bei uns eine inzwischen routinierte, beinahe reflexartige Kaskade an: Williams sagt, er kommt. Sogar für drei Konzerte an drei Abenden. Also buchen wir Reise, Hotel und nutzen alle verfügbaren Kanäle, um an Karten zu kommen – und das alles ein Jahr im Voraus. Das läuft auch erstaunlich reibungslos.

Wir haben sogar „routiniert“ viel Glück: Ein Konzert sacken wir über ein verfügbares Abonnement ein, eines erhaschen wir direkt, indem wir gar nicht erst auf den Vorverkauf warten, sondern den freundlichen Ticketservice der Berliner Philharmoniker anschreiben. Also kann eigentlich nichts mehr schiefgehen. Eigentlich … Dann der erste Rückschlag: Williams hatte für den Dezember 2024 auch eine Rückkehr in den Wiener Musikverein geplant. Doch bevor dort der Kartenverkauf überhaupt startet, sagt Williams bereits ab. Aus gesundheitlichen Gründen. Das Jahr 2025 kommt, und wir schauen geduldig den Berlin-Konzerten entgegen. Unsere Stimmung? Die hatte Han Solo mal perfekt zusammengefasst: „Ich habe da ein ganz mieses Gefühl.“

John Williams-Konzert: Totale auf die Philharmonie.
Einmal Totale, bitte: Eine Übersicht über den „Zirkus Karajani“, also die Berliner Philharmonie. So sieht es also von den (billigen) Abo-Plätzen aus. Unsere Platzierung beim ersten Konzert – trotzdem großartig.
Dirigierte Stille – großer Applaus

Das soll sich auch bewahrheiten: Im Frühjahr bessert sich die Gesundheit des Maestros offenbar nicht, die dunkel herbeigeahnte Absage trudelt schließlich ein per E-Mail der Philharmoniker. Prompt fühlen wir uns an die ausgefallenen Konzerte in London und Wien im Jahr 2018 erinnert. Zugegeben: Kurz überlegen wir, ob wir die Reise canceln. Nur ganz kurz. Aber nein, die Berliner Philharmoniker sind eines der besten Orchester der Welt. Und sie spielen Musik von John Williams. Also was kann daran falsch sein? Berlin, Berlin, natürlich fahren wir nach Berlin!

John Williams-Konzert: Dirigent und Konzertmeister.
Bei der Arbeit: Dirigent Stéphane Denève, dahinter Konzertmeister Noah Bendix-Balgley.

Stéphane Denève entpuppt sich schließlich sogar als wahrer Glücksfall. Der Mann ist nicht nur mit John Williams befreundet und hatte bereits zu dessen 90. Geburtstag ein Konzert dirigiert. Nein, der Franzose verfügt über ein mitreißendes Dirigat und ist mit – sorry für die Phrase – Feuer und Flamme dabei. Hier stimmt das Sprichwort allerdings, denn die Begeisterung für die Musik und gleichzeitig die große Konzentration, das Gespür für die großen wie die kleinen Gesten, die kompakte Handhabe des Materials, das spiegelt sich in der atemberaubenden Interpretation des Orchesters wider. Ganz großartiges Detail: wie Denève am Ende einiger Stücke den Applaus des Publikums zurückhält, es für ein, zwei Sekunden komplett still ist, damit die Musik maximal effektiv ausklingen kann – bevor der verdiente Beifall losbraust. Nicht von ungefähr sollen nach den Konzerten einige Meinungen kursieren, dass die Darbietungen von Denève mehr profitiert haben, als wenn Williams selbst dirigiert hätte.

Alte Bekannte und frühe Highlights

Das ist von Anfang an auch sehr genau zu beobachten – und zu hören. Die Konzerte beginnen mit großer Orchesterglorie, oder besser: mit „Sound the Bells“. Das festliche Werk stimmt perfekt auf den Abend ein. Dann der erste Knaller, der „Superman March“, ein wuchtiges Stück, welches den gesamten Klangkörper in Bewegung versetzt. Da zeigt sich einmal mehr: Williams‘ Märsche mögen nicht die subtilsten Stücke sein, mit auffällig viel Schlagwerk und Glockenspiel (sogar ein Kontra-Fagott, auch nicht selbstverständlich), dafür sind sie mitreißend und eingängig – was aber nicht zu dem Missverständnis führen sollte, dass sie simpel sind. Ganz im Gegenteil: Supermans Thema genauso wie alle anderen Stücke verlangen dem Orchester einiges ab und sind ein – Achtung, Wortwitz! – Paradebeispiel für Komplexität und Orchestrierung.

Für viele Zuhörer folgt das erste Highlight des Konzerts: „Night Journeys“ aus John Badhams Dracula von 1979. Düster dräuend, zugleich elegant und verführerisch harmonisch, so geht es mit dem Vampirfürsten durch die Nacht. Das Stück ist gut bekannt unter den Fans, aber bei den Konzerten des Komponisten kein Selbstläufer. Da dominieren meist die altbekannten Gassenhauer mit dem breitesten Publikumskonsens – was keinesfalls despektierlich gemeint ist. Nur die großen Überraschungen bleiben aus. So wie auch (zunächst) im folgenden Programm: Drei Auszüge aus E. T., darunter mit „Stargazers“ ein wunderbar zartes Stück, bei dem Harfenistin Marie-Pierre Langlamet brillieren darf, sowie dem unvermeidlichen „Adventures on Earth“. Oder wie Denève ganz zauberhaft frankophon artikuliert: „Adeventschööörs on Öhrs“.

John Williams-Konzert: Weitere Totale auf die Philharmonie.
Noch einmal recht freundlich: Schön an der Philharmonie ist auch, dass ein Teil des Publikums direkt hinter dem Orchester Platz findet. Der Schlagwerker hat es sogar fast im sprichwörtlichen Nacken sitzen. Die Philharmoniker drehten sich zuweilen auch brav zum Publikum um.
Eine Weltpremiere in Berlin

Schließlich „Hook“, „Jaws“, zwei Auszüge aus Harry Potter, darunter ein erstaunlich schmissig gespieltes „Fawkes the Phoenix“. Und dann eine wahre Überraschung: Bei seinem ersten Besuch in Berlin war Williams, so erzählt Denève, vom Können des Orchesters und insbesondere von Cellist Bruno Delepelaire extrem beeindruckt. Was den Komponisten dazu bewogen hat, das Stück „Sayuri’s Theme“ aus Memoires of a Geisha eigens für Delepelaire zu bearbeiten. An diesem Abend findet die besondere Variante ihre Weltpremiere – was für Raunen im Publikum sorgt. Also nimmt der Cellist auf einem kleinen Podest neben dem Dirigenten Platz und zeigt, was er kann. Gerade der Wechsel zwischen Cello und Orchester ist wirklich faszinierend.

Dirigent und Blumen.
Blumen für den Dirigenten: An allen Abenden gab es ein buntes Dankeschön für Denève.

Dann wieder eine tolle Fuge: „March of the Resistance“, plus zwei weitere Stücke aus der Star Wars-Saga. Schon ist das Konzert vorbei. Fast, denn beinahe erwartbar entlässt das Publikum die Künstler erst nach mehreren Zugaben. Denève kostet den ausdauernden Beifall dann auch ganz charmant aus, umarmt mal seine Notenblätter, kramt dann darin herum, als suche er noch ein passendes Stück. Und so gibt es schließlich noch das Violinthema aus Schindlers Liste, bei dem Konzertmeister Noah Bendix-Balgley nicht nur virtuos aufspielt, sondern so manchen Zuhörer sichtlich zu Tränen rührt. Der „Raiders March“ aus Indiana Jones komplettiert die Must-Haves aus Williams‘ Werk, und der „Imperial March“ donnert schließlich als Rausschmeißer durch die Philharmonie. Das Konzert vergeht wie im Fluge, ist viel zu schnell vorbei.

Wenn der Film der Musik folgt …

Es mag pathetisch klingen, ist aber ehrlich gemeint: Williams ist an diesem Abend nicht dabei – und ist es doch. Das liegt natürlich an der Musik selbst, die Generationen von Kinogängern und Filmmusikfans „ihren“ eigenen Soundtrack gegeben hat. Das ist aber auch Stéphane Denève zu verdanken, der den abwesenden Maestro in seinen Erzählungen immer wieder ins Rampenlicht rückt. Natürlich indem er einige Grußworte von „unserem Superman Williams“ überbringt, den er unlängst daheim in Los Angeles getroffen hat. Und der demnach bedauert, nicht da sein zu können, dafür die Philharmoniker als Orchester lobt, das weltweit „Standards setzt“.

Kontrabässe.
Pausen-Impression: Die Kontrabässe warten auf ihre Besitzer, während Musiker und Publikum verschnaufen.

Denève erzählt auch einige hübsche Anekdoten zu E. T. Etwa dass er damals, als er den Film im Alter von 10 Jahren gesehen hatte, erstmals im Kino zu Tränen gerührt gewesen sei. Und das natürlich vor allem wegen der Musik. Oder dass John Williams damals bei den Aufnahmen seines Scores wohl Mühe hatte, die Musik im Finale passgenau über den Film zu legen. Also hätte Spielberg zu Williams gesagt: „Nimm die Musik auf, wie du es für richtig hältst, daraufhin schneide ich den Film.“ Und so ist es, dass gegen Ende der Handlung nicht die Musik dem Film folgt, sondern der Film der Musik. Der Rest ist Kino- (und Musik-)Geschichte.

Die andere großartige Leistung des Orchesters

Mit anderen Worten: Dirigent und Orchester geben sich an diesen Abenden reichlich Mühe und sind mit so viel Freude dabei, Williams‘ Abwesenheit verschmerzbar zu machen. Insofern erinnern diese Berliner Konzerte auch an den Abend in der Royal Albert Hall am 26. Oktober 2018: Damals machten die Londoner Symphoniker und ihr Gastdirigent Dirk Brossé aus der Not eine Tugend und aus dem Abend ohne John Williams etwas ganz Besonderes dank vieler Anekdoten und persönlicher Erzählungen. Wobei die Londoner den Berlinern zugegeben etwas voraus hatten, schließlich hatten sie im Laufe der Jahrzehnte viele der berühmten Scores von und mit dem Maestro eingespielt. Dafür wiederum ist nun die Darbietung der Philharmoniker auf ihre Weise einzigartig.

Die Leistung des Orchesters in Berlin ist übrigens das eine. Der „Auftritt“ des Publikums das andere. Und dazu sei eine persönliche Einschätzung erlaubt: Wir nehmen am Donnerstag und am Samstag an den Konzerten teil (den Freitag lassen wir bewusst zugunsten einer Geburtstagsfeier in der Hauptstadt ausfallen). Und beide Abende zeichnen sich durch eine dezent unterschiedliche Stimmung aus. Am Donnerstag mag es daran liegen, dass auch viele Abonnement-Nutzer im Publikum sitzen, also Philharmonie-Gänger, die nicht eigens wegen Williams gekommen sind, sondern regelmäßig dem eher klassischen Programm beiwohnen. So fällt uns auf, dass sich das Publikum doch sehr lange, nämlich bis gegen Ende, Zeit lässt bis zu den ersten Standing Ovations – und auch den virtuosen Solisten keinen stehenden Applaus gönnt. Neben uns sogar ein älteres Paar, das sehr verhalten klatscht, er sich sogar kritisch zur Musik äußert.

Programmhefte.
Bleibende Erinnerungen: Die Programmhefte der Williams-Konzerte in London 2018, in Wien 2020 und nun in Berlin 2025. Berlin 2021 und Wien 2022 fehlen auf dem Foto. Das London-Programm ist sogar von Carmine Lauri signiert.
War es das endgültig?

Am Samstag dagegen von Beginn an spürbare Euphorie im Plenum – die sich, so zumindest unser Eindruck – noch zusätzlich auf das Orchester überträgt. Das Publikum an diesem Abend ist eigens wegen John Williams nach Berlin gereist und hat teils einen langen Weg dafür auf sich genommen (bis auf die Berliner natürlich). Die ersten Standing Ovations lassen nicht lange auf sich warten. Und das Publikum soll sich an diesem Abend noch oft von seinen Plätzen erheben. Was für eine Stimmung!

Jaws 4K-UHD.
In der Retrospektive: Der Weiße Hai in 4K im Steelbook mit Japan-Design. Universal hatte da mal so eine Phase …

Was bleibt? Erneut der Eindruck, wie sehr sich die Filmbilder zur Musik im Kopf abspielen. Was auch dazu führt, dass ich am nächsten Abend direkt Jaws in den Player werfe (nein, nicht streame) und neu genieße. Und diese Retrospektive sicherlich noch mit E. T. und Indiana Jones fortsetzen werde. Zudem die etwas bittere Überlegung: War es das jetzt mit John Williams live und in natura? Der Meister soll, wie Denève erzählt, zwar auf dem Weg der Besserung sein. Aber wird sich John Williams mit 93 Jahren (und hoffentlich noch vielen mehr) den Strapazen weiterer Konzertreisen quer über den Globus aussetzen? Wir werden sehen … Die Musik jedenfalls bleibt großartig.

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