Wer hätte das gedacht! Matrix Resurrections! Ein vierter Matrix! Nach 22 Jahren! Selbst die Wachowskis wollten lange nicht dran glauben. Eigentlich was Besonderes, oder? Oder!?! – Vorsicht, Spoiler! –
Morpheus kann Humor – das dürfte eine der großen neuen Erkenntnisse sein. Die Figur Morpheus, bislang knochentrockener Mentor in tiefschwarzer Lederkluft, kommt hier plötzlich in einem quietschbunten Anzug mit Retro-Attitüde aus einer Toilette stolziert und begrüßt den alten Neo mit einem altbekannten Spruch und einem Augenzwinkern. Und dann fragt er sich selbst und auch Neo ganz versonnen, ob sein wiederholter Auftritt in der Klo-Variante nun eine Farce ist oder eine Tragödie. Chapeau! Das ist natürlich eine kleine Anspielung auf Marx und Hegel, darauf dass sich alles wiederholt. Und nicht zuletzt ist es ein Kommentar darauf, mit welcher Erwartungshaltung alternde Fans eine späte Fortsetzung eines Kultfilms im Kino sehen oder sehen wollen.
Da durchbricht Matrix Resurrections beinahe die vierte Wand. Schließlich ist der erste Matrix so etwas wie eine heilige Kuh für Nerds, und eine humorvoll augenzwinkernde Fortsetzung würde diese Kuh automatisch zur Schlachtbank führen, oder? Für die einen eine Farce, für die anderen eine Tragödie. Kennt man doch von Terminator 3 (Rebellion der Maschinen, nicht Dark Fate) oder von Star Wars 8 (The Last Jedi).
Atemberaubend meta
Matrix Resurrections von Lana Wachowski macht recht früh und erfreulich offenherzig die Meta-Ebene auf. In diesem Punkt ist der Film atemberaubend gut gelungen. Matrix ist ein heiß verehrter Kultfilm, Matrix Reloaded und Revolutions wiederum sind beharrlich kritisierte Fortsetzungen. Dessen ist sich die Macherin bewusst, und dessen ist sich auch ihr Film bewusst. Also tun Werk und Schöpferin zunächst das, was die Menschen in der Matrix auch versuchen: Sie brechen aus ihren vorgegebenen Bahnen aus. Eine gefühlte Dreiviertelstunde verwendet Matrix Resurrections darauf, sich mit der Erwartungshaltung auseinanderzusetzen, die an ihn gestellt wird, im negativen wie im positiven Sinne. Und er spielt diese Erwartungen, denen er sowieso nicht gerecht werden kann, genüsslich durch.
Da gibt es also diese Sequenz, in der Neo, seines Zeichens Erlöser im Ruhestand, in einer neuen Matrix festsitzt und nur noch ein frustrierter Computerspiele-Erfinder mit Halluzinationen ist. Vor 20 Jahren hatte er mal einen Hit gelandet, namentlich Matrix 1 bis 3. Und nun verlangt der Konzern Warner, dem die Rechte am Franchise gehören, dass ein später vierter Teil folgen soll. Um die bekannte Marke zu nutzen und noch mal Kasse zu machen. Neo mag das nicht gefallen, aber er hat gar keine Wahl, wie sein Chef Smith ihm offenbart. Entweder Neo bringt sein Baby selbst über die nächste Runde, oder ein anderer wird sich finden, der das macht.
Mindfuck und Bullet Time
Fortan sitzen also Neo und einige Marketing- und Entwicklertypen beim Brainstorming und sinnieren, wie man Matrix denn fortsetzen könnte. Das Meeting bietet dasselbe Bild wie ein Blick in ein Filmforum oder in einen sozialen Filmkanal dieser Tage: Da gibt es die Mindfuck-Leute, welche die klugen Exkurse des Originals über reale und virtuelle Welten hochhalten und sich einen ähnlich starken Twist auch für die Fortsetzung wünschen. Da gibt es die Action-Aficionados, die nur auf Bullet Time und Kung Fu abfahren und den neuen Teil wieder mit viel innovativem Eyecandy vollgepackt sehen wollen. Und da gibt es natürlich die Klugscheißer, die „Ich habe sowieso nie verstanden, was alle am ersten Teil so toll finden“-Leute, die gerne unantastbar über allem stehen. Die aber selbst auch nichts Konstruktives beizutragen haben, weil es sie angeblich gar nicht interessiert.
Und zu all dem spielt im Hintergrund „White Rabbit“ von Jefferson Airplane. Kurzum: Tiefer waren wir selten im Kaninchenbau. Diese Sequenz ist der wohl schönste und auch am schönsten montierte Kommentar auf das Fortsetzungskino, den es je im Kino zu bestaunen gab. Es dürfte nicht verwundern, wenn sich so mancher Nerd im mittleren Alter da in seinem Kinosessel sitzend oder daheim auf der Couch lümmelnd ertappt fühlt.
Der Fall von der Fallhöhe
Dieses Spiel mit der Meta-Ebene ist so großartig wie leider auch verheerend. Denn Matrix Resurrection baut eine immense Fallhöhe auf, die der Film dann auch recht zuverlässig wieder hinunterpurzelt. Nämlich sobald die Meta-Spielereien enden, Neo aus seinem virtuellen Hamsterrad ausbricht – und die altbekannte Geschichte von Neuem beginnt. Lana Wachowski und ihren Autoren, den beiden gestandenen Schriftstellern Aleksandar Hemon und David Mitchell, fällt tatsächlich nicht viel Neues ein. Natürlich: Sie entwickeln das Setting weiter, 60 Jahre sind vergangen in der „realen“ Dystopie, der Krieg gegen die Maschinen ist beendet, aus der Stadt Zion ist die Stadt Io hervorgegangen, in der Menschen mit Maschinen friedlich koexistieren und keine perfekte, aber eine etwas bessere Welt geschaffen haben.
Neo allerdings erlebt Déjà vu um Déjà vu, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Wieder geht es zum Kung Fu-Training mit Morpheus in einen virtuellen Dojo. Wieder warten eine erste Prüfung und ein Verrat. Und wieder läuft am Ende alles auf eine Befreiungsaktion hinaus, auch wenn es eigentlich gar keinen richtigen Antagonisten mehr gibt, weil die Maschinen … Ja, was eigentlich? Die halten noch immer Menschen als Batterien, aber eine Gefahr sind sie nicht mehr. Stattdessen gibt es den Analytiker, den Neil Patrick Harris zwar lustvoll gibt, der aber so ein richtiger Bösewicht auch nicht ist.
Matrix Resurrections ist also schwer damit beschäftigt, seine eigene Existenz zu rechtfertigen. Und er wird geschwätzig, um alles noch einmal zu erklären – obwohl es nichts mehr zu erklären gibt. Morpheus macht das an einer Stelle sehr deutlich, wenn es nämlich wieder um diese bekannte Sache mit den roten und den blauen Pillen geht. Anstatt einen anregenden Diskurs über das Wesen von Realität und Wahrnehmung zu halten wie im ersten Film, tut er das alles nur noch mit „Bla, bla, bla“ ab.
„Tell, don’t show!“
Die Geschwätzigkeit von Matrix Resurrections ist gar nicht mal das Problem. Das Problem ist vielmehr, worüber geschwätzt wird. Auch Matrix Reloaded und Matrix Revolutions waren sehr wortreich: Die Sache mit dem Orakel, mit den Déjà vus, mit dem Schlüsselmeister, die mit dem Merowinger, vor allem die mit dem Architekten oder selbst die mit dieser U-Bahn-Station, die Neo kurzzeitig gefangen hält, das war geradezu abstraktes Kino. Entscheidend war, worüber in diesen Sequenzen geredet wurde: Zwar waren die Kulissen teuer und zeigten eine Menge, aber sie waren zugleich Symbol und eröffneten eine Abstraktionsebene, die durch die Dialoge erklärt wurde. „Show, don’t tell“, der alte Grundsatz des Filmemachens, galt dort nicht, weil der Zuschauer mitdenken und seine Fantasie anstrengen sollte.
Das gab es schon häufiger in der Filmgeschichte. Beispiel Stalker von Andrei Tarkowski: Dort dringen die Hauptfiguren in eine fremdartige „Zone“ ein, in der Gefahren lauern und die Naturgesetze auf den Kopf gestellt sind. Beinahe wie in der Matrix. Die Zone als solche sieht der der Zuschauer nicht, ihre Existenz und ihre Regeln werden vor allem über die Dialoge der Protagonisten „herbeigeredet“. Diese Erzählweise übt einen erheblichen Sog aus.
Konservatives statt Visionäres
Matrix Resurrections erzählt also nichts Neues. Ganz im Gegenteil: Was sich Wachowski & Co. ausgedacht haben, das sie dem Publikum dieses Mal kredenzen, das ist etwas sehr Altes. Im Grunde etwas sehr Konservatives: Es ist ein Diskurs über Liebe. Das ganze Geschehen im letzten Akt dreht sich nur darum, dass sich Neo durch die Realitäten kämpft, um seine Gefühle zu Trinity wiederzuerwecken. Es ist die Liebe dieser beiden Figuren, die Grenzen überwinden und einen wirklichen Neuanfang möglich machen soll. Zugegeben: Diese recht persönliche Geschichte der beiden gealterten Figuren ist gelungen, beinahe zärtlich und hübsch anzuschauen. Da gönnt man auch den ebenfalls gealterten Darstellern Keanu Reeves und Carrie-Anne Moss die intimen Momente vor der Kamera. Schließlich wird ihre Geschichte nach etlichen Jahren zu einem befriedigenderen Ende gebracht als in Matrix Revolutions.
Nur das Visionäre fehlt. Das was den ersten Matrix ausgemacht und was zumindest den zweiten über die volle Länge gebracht hat, bevor auch schon dem dritten die neuen Ideen ausgingen. Einen Film, der auf dem Spiel mit den Realitäten basiert und der nun selbst höhere Meta-Ebenen erklimmt, auf eine Liebesgeschichte zu reduzieren, und zwar auf eine ernstgemeinte, wirkt leider eher kitschig und hohl. Im Mittelpunkt von allem, so wird erklärt, steht ein Paar, das ewig füreinander bestimmt ist und das nur gemeinsam die Macht besitzt, die Matrix nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten. Quasi: „Wir denken, also sind wir.“ Da ließe sich schon beinahe ein bitterer Meta-Kommentar von Lana Wachowski, die bekanntlich trans ist, auf überkommene Geschlechterrollen herauslesen. Aber auch nur beinahe.
Was wäre gewesen wenn …?
Matrix Resurrections hätte anstelle der „Love Story“ zwei große Chancen geboten:
- Die leichte, wenn auch recht reizvolle Variante: Matrix 4 hätte ein Fazit ziehen können unter die vergangenen 20 Jahre. Er hätte ein beißender Kommentar werden können, wo die Welt bei der Premiere des ersten Films gestanden hatte und wo sie heute steht. Vor allem mit Blick auf Social Media und First World-Probleme, aufs Smombie-Dasein, die digitale Gläsernheit, auf den allgemeinen Bewertungs- und Geltungsdrang und auf die Mess- bzw. Trackbarkeit von allem und jedem. Vielleicht sogar auf Populismus und Corona-Verschwörungstheoretiker. Auf eine Zeit, in der sich einer der Tech-Giganten selbst den Namen Meta gibt. Big Brother 2.0, wenn man so will, bitte möglichst elegant und schlau. Aber ok, ein ähnliches Kunststück hatte Trainspotting 2 bereits vor vier Jahren in einer ganz hervorragenden 3-Minuten-Sequenz vollbracht (Stichwort: „Choose Life!“).
- Die etwas anspruchsvollere Variante: Matrix zeichnete sich im Jahr 1999 dadurch aus, dass er – zusammen mit anderen Filmen wie Fight Club oder eXistenZ, Gattaca oder Truman Show oder auch Cube – die Strömungen und Stimmungen der Zeit aufgenommen und dystopisch fortgedacht hatte. Wo wird die Technik uns alle hinführen und wie wird unsere Zukunft aussehen? Die Frage liegt den Filmen zugrunde und hat zu dem Kult geführt, den die Werke heute genießen. Matrix vereinte Baudrillard und Kant genauso wie Platon und diverse Geistesströmungen und zeichnete das Dasein des Menschen in einer übertechnisierten Welt. Heute sind simulierte und „augmented“ Welten und KI gegenwärtiger denn je, doch was das bedeutet und vor allem wohin das vielleicht führt, dazu fällt Matrix Resurrections und seinen Autoren nicht mehr allzu viel ein. Wobei die Ansätze in der gezeigten Mensch-Maschinen-Stadt Io durchaus vorhanden sind.
Die Verhaftung im Bekannten
Beide Varianten hätten allerdings einen Neustart notwendig gemacht. Selten wäre der Begriff des „Reboot“ bei einer Filmreihe sinnvoller gewesen als hier. Matrix Resurrection hätte einen neuen Schritt wagen müssen. Stattdessen verfängt sich der Film im Bekannten, auch wenn der große Gut-Böse-Schwarz-Weiß-Konflikt, der Matrix zugrunde lag, seit Teil 3 längst aufgehoben ist.
Das eigentlich Spannende, das etwas Neues verspricht, nämlich ein Weiterdenken des Bekannten, das kommt erst ganz am Schluss. Da sinnieren nämlich Neo und Trinity darüber, wie sie die neue Matrix denn wohl nach ihren Vorstellungen gestalten werden. Und es wäre interessant zu sehen, wie Supermann und Superfrau – immerhin können sie auch wieder fliegen – dieses Worldbuilding wohl betreiben und was die Maschinen dazu sagen würden. Die Frage wäre natürlich auch: Wozu brauchen Neo und Trinity die Matrix überhaupt noch?
Die ihr Ding durchziehen
Um aber an dieser Stelle die eigene Meta-Ebene aufzumachen: Vielleicht tappe ich mit diesen Überlegungen auch nur in die übliche Kritiker-Falle. Nämlich selbst darüber nachzugrübeln, was der Kern der Marke Matrix ist und wie deren Geschichte hätte fortgesetzt werden können. Und letztlich den Film zu rezensieren, den ich gerne gesehen hätte, und nicht den, den ich tatsächlich gesehen habe. Das ist auch das Fatale am Meta-Spielchen: Letztlich macht es jegliche Argumentation und jegliche Haltung überflüssig.
Die Wachowskis waren einfach schon immer gut darin, ihr eigenes Ding durchzuziehen und sich nicht nach den Regeln des Marktes und letztlich den Wünschen der „Fans“ zu richten. Das war bei Matrix 2 und 3 so, weshalb noch immer manche Filmfreunde die Streifen geradezu pathologisch hassen. Und das war auch so bei Speed Racer oder Jupiter Ascending. Oder beim großartigen Cloud Atlas. Und das ist auch hier so.
Der lose Appendix
Was also bleibt? Eigentlich ein ganz unterhaltsamer Streifen. Mit tollen Effekten, schönen Bildern und … ja, und einem humorvollen Morpheus. Yahya Abdul-Mateen II ist kein Laurence Fishburne, aber das muss er auch gar nicht sein. Dafür zelebriert er seine Szenen so selbstbewusst gutgelaunt wie ehedem ein Taye Diggs seinen Part in Equilibrium oder Chiwetel Ejiofor in Serenity. Matrix Resurrections besitzt allerdings einen bitteren Nachgeschmack: Trotz Mega-Budget wirkt er aufgrund seiner zahlreichen Wiederholungen bis zum Schluss wie ein loser und auch etwas lustloser Appendix zur Trilogie. Und wird anscheinend auch so wahrgenommen: Während Matrix vor 22 Jahren noch seine Kerbe in die Popkultur geritzt hatte, ist das breite Publikum aktuell mehr am neuen dritten Spider-Man interessiert, der wiederum die Motive aus den vorherigen fünf Spider-Man-Filmen und aus drei Franchise-Reboots recycelt.
Wobei … Einen schönen Kommentar zur Entwicklung der Welt in den vergangenen Jahren bietet Matrix Resurrection doch. Nach dem Abspann, in der heute unvermeidlichen After-Credits-Scene. Um auch das zu spoilern: Da grübeln die Entwickler in ihrem Matrix-Sequel-Brainstorming noch immer darüber, was nach Matrix 3 kommen könnte. Geniale Idee: Katzenvideos! Catrix quasi. Wenn das Internet der Welt ein heilvollen Segnungen eines gebracht hat, dann das …
Fazit: Matrix Resurrection ist absolut bewusst, dass er die Fortsetzung eines Popkultur-Phänomens und zweier ungeliebter Sequels ist. Solange er das zum Thema macht, ist er der schönste Kommentar auf das Fortsetzungskino, das es je im Kino gab. Schade nur, dass dem Film darüber hinaus wenig Neues, geschweige denn Visionäres einfällt.
Bewertung: 7 / 10
Bonus: Alte Dateien – Die Matrix / Matrix Reloaded / Matrix Revolutions
Matrix kann man immer wieder mal sehen. Macht Spaß. Und ist wie eine kleine Zeitreise, denn seit dem Jahr 1999 ist schon eine ganze Zeit vergangen. Zuletzt habe ich mir die Filme Anfang 2021 noch mal vorgenommen, nachdem ich sie endlich per UHD in 4K vorliegen hatte. Deshalb hier als kleiner Bonus meine noch einigermaßen frischen Eindrücke von der jüngsten Sichtung. Matrix-Hasser müssen übrigens ganz stark sein, denn ich fand alle drei Teile gut, den einen mehr, den anderen weniger …
The Matrix
Jean Baudrillard liest man allenfalls mal im Studium und dann vermutlich nie wieder. Die Matrix-Filme – oder zumindest der erste Film – wandern dagegen alle paar Jahre in den Player. Was sagt uns das nun? Dass entweder die Wachowski-Schwestern (damals Brüder) einen philosophischen Klassiker geschaffen haben. Oder dass man jede bittere Pille nur zu gerne schluckt, wenn genug Süßes oben drüber ist, in diesem Fall Süßes für die Augen (aber das wusste auch schon Mary Poppins). Also halten wir uns nicht weiter mit den vielen Anspielungen auf philosophische Standardwerke, Literaturklassiker und japanische Animes auf, die allesamt in der Matrix versammelt sind, solche Listen kann man überall im Netz finden.
Bei der Neusichtung fällt allerdings schon auf, dass The Matrix ein kleines Meisterstück in Verdichtung ist: Die Wachowskis mischen ihren Philosophie-Cocktail gut durch und packen wirklich in beinahe jede Szene irgendein Motiv hinein, das entweder interpretiert werden kann und / oder auch mal nur cool aussieht, Ledermäntel, Sonnenbrillen, dicke Knarren und Bullet Time inklusive. Damit einhergehend macht sich bemerkbar, dass der Film an sich heute doch irgendwie „kleiner“ wirkt, als er in der Erinnerung ist: Die Handlungsorte sind sehr komprimiert, die Möglichkeiten der Matrix werden nur angeschnitten, viele Elemente wie Zion werden allenfalls erwähnt, aber nicht gezeigt. Und die Actionszenen sind cool gefilmt, aber doch noch überraschend bodenständig – mal von extremen Zeitlupen und umherfliegendem Kleinkram abgesehen.
The Matrix profitiert massiv davon, dass die Wachowskis ihre Zuschauer zwar ohne größere Erklärungen mitten ins Geschehen schubsen, gleichzeitig aber genug Freiraum für deren Fantasie lassen. Insofern verhält sich der erste Matrix-Film zur Trilogie wie der erste Star Wars zur Saga. Ach ja, und sie waren alle noch so jung, so jung. Das ist übrigens auch eine Stärke des Films: Er spiegelt diese End-90er-Endzeit-Stimmung mit Big Beat, Trip Hop und Industrial Metal sowie mit diesem neuen Ding namens Internet perfekt wider. Lange Rede, kurzer Sinn: The Matrix ist ein kleiner Solitär in der Filmgeschichte, gleichermaßen fürs Köpfchen wie für die Magengrube. Ein Traum in Giftgrün, Gelb und Schwarz. – 10 / 10
Matrix Reloaded
Von Hugo Weaving kann man einfach nicht genug bekommen, oder? Jedenfalls gibt es unser liebstes Computerprogramm nun plötzlich nicht mehr nur einmal, sondern gleich im Dutzend und im Hundertfachen. Und so darf sich Held Neo in Matrix Reloaded mit einem ganzen Haufen schlecht gelaunter Weavings herumschlagen. Die erste große Kampfszene zwischen den beiden beziehungsweise den vielen erinnert an eine surreale Schulhof-Klopperei: Das macht eine Menge Laune und ist hübsch anzuschauen, wirkt aber ein bisschen hohl und deshalb vielleicht auch ein bisschen zu lang.
Damit ist sie zugleich ein Sinnbild für diese Fortsetzung: Nach dem Überraschungserfolg der Matrix hat Produzent Joel Silver den Wachowski-Geschwistern wohl Unmengen von Dollars in die Hand gedrückt und ihnen gesagt: „Setzt noch einen drauf. Und mit einen meine ich ne Menge!“ Die Wachowskis taten, wie ihnen geheißen: Wo der erste Teil mit einer lustvoll zusammengewürfelten Erkenntnistheorie spielte, gibt es nun erst mal ein Zion mit Steampunk-Attitüde. Mit Leuten, die keine löchrigen Lumpen mehr tragen, sondern Multikulti-Mode, und die nicht mit Eiweiß-Schleim, sondern mit einem orgiastischen Gangbang-Rave in den Krieg gegen die Maschinen starten. Und mit einem Senat, der lang und breit diskutiert, während der Feind bereits vor den Toren steht. Das sieht alles unheimlich teuer aus und unheimlich schick und gleichermaßen hilflos.
Aber Entwarnung: Nach der ersten halben Stunde startet Matrix Reloaded dann doch noch durch. Die Kampfszenen sind zweifellos lang, aber ein Erlebnis für Augen und Ohren. Und die Philosophie-Studenten im dritten Semester kriegen nach Baudrillard nun Nietzsche und Luhmann um die Ohren gehauen. Was übrigens eine große Stärke des Films ist: Anstatt sich standardmäßig an der klassischen Heldenreise abzuarbeiten, drehen die Wachowskis das Heldenbild einfach mal um: Neo ist nicht der Erlöser, sondern eine bessere Anomalie, ein Kreislauf mit der schlichten Aufgabe, die Matrix zu rebooten, wenn es zu bunt wird.
Das hat genauso etwas von ewiger Wiederkehr wie von ewigem Leben (im buddhistischen Sinne) – oder selbstreferentiell gesehen vom Sequelwahn im Kino. Und ist so gar nicht das, was das Publikum nach dem ersten Teil erwartet. Aber ob diese eine Erkenntnis den ganzen Film trägt? Nun, sagen wir es mal so: Ohne die episch gedehnten Actionszenen wäre Matrix Reloaded deutlich kürzer. Aber so sieht er immerhin sehr teuer und sehr schick aus. – 8 / 10
Matrix Revolutions
Kommen wir erst mal zum Guten, und das ist vermutlich mehr, als so mancher wahrhaben möchte. Die Wachowski-Geschwister können sich hier zwei Dinge auf die Fahne schreiben: Erstens haben die beiden munteren Transgender-Typen wohl den ersten BDSM-Streifen im Blockbuster-Gewand ins Kino geschmuggelt. Jedenfalls wurde selten eine solche Fetisch-Parade in einem sündteuren Sci-Fi-Film so abgefeiert, wie sie hier zu Anfang im Club des Merowingers zu bestaunen ist. Hut ab, dazu braucht man schon Eier – oder eben nicht. Und zweitens haben die Wachowskis wiederum am Ende die Dimensionen eines reinrassigen Live Action-Animes erreicht.
Wenn sich Neo und Erzrivale Smith gegenseitig gepflegt aufs Maul hauen, dann erinnert das nicht mehr ans gute alte Kung Fu-Kino, sondern an die Dragon Ball-Serie, nur mit Regen und in weniger bunt. Sowieso: Die Matrix-Filme lebten von Beginn an von ihrer Optik, aber Revolutions ordnet sich letztlich ganz der Ästhetik unter. Der Angriff der Maschinen auf Zion mit dem kaum enden wollenden Kampf um das Dock erinnert an eine apokalyptische Knochenmühle im äußeren Höllenkreis. Da gibt’s auf die Augen, dass man auch nach fast 20 Jahren noch über die schiere filmische Materialschlacht staunen mag.
Allerdings: Wenn man dann zwischendurch doch mal wieder Luft holt und von Optik auf Substanz umschaltet, dann merkt man, dass der Matrix hier endgültig der philosophische Unterbau flötengegangen ist. Welcher den ersten Teil bekanntlich so einzigartig gemacht hatte. Neben allem Gescheppere und Geballere und Explodiere fällt den Wachowskis zum großen Finale nichts Konsequenteres mehr ein, als nach reihenweisen schlauen Philosophie-Exkursen nur noch das gute alte Christentum zu bemühen. Neo wird hier doch wieder zum Erlöser, zum blinden Messias, wie es an einer Stelle heißt, der die Wahrheit im Glauben erkennt, mit reichlich Kreuzigungs- und Märtyrer-Symbolik. Am Ende wird alles eins, und kein Feind wird besiegt, man einigt sich im Friedlichen. Wohlgemerkt nachdem Neo sein Leben für die Sünden von Menschen- und Maschinenwelt hingegeben hat.
So faszinierend das Spiel mit der eigenen Wahrnehmung im ersten Teil war – Stichwort Konstruktivismus – und so reizvoll anders der Gedanke vom ewigen Reboot und vom geschlossenen System im zweiten Teil – Stichwort Luhmann -, so bleibt am Ende des dritten leider nur die hohle Pose von Keanu Christus. Erkennen, dann verstehen, dann glauben, das ist nicht unbedingt eine Steigerung. Es ist ein versöhnliches Ende, aber kein so wirklich zufriedenstellendes. Vielleicht sagt das Orakel deshalb auch ganz zum Schluss, dass Neo doch noch mal auferstehen wird. Und inzwischen wissen wir: So sei es. – 7 / 10