Ach, Wes Anderson… ja… Habe ich da gerade Bock drauf? The Grand Budapest Hotel sieht mal wieder ziemlich verstiegen aus. Wie alle Andersons. Gebe ich mir einen Ruck?
The Grand Budapest Hotel wirkt wie eine Film gewordene Schneekug… Ne, Moment. Bevor es zum Film selbst geht, sei eine kurze Vorgeschichte erlaubt. Vier Jahre habe ich mir Zeit gelassen, bis ich den Film gesehen habe: Erst zwei Jahre nach Kinostart habe ich mir die Blu-Ray gekauft, und weitere zwei Jahre stand diese eingeschweißt im Regal. Warum? Ich nenne das den Wes Anderson-Effekt. Oder auch den „Ach, schaut mal alle her, wie originell ich bin“-Effekt. Ich brauche nur einige Bilder eines Anderson-Films zu sehen, schon weiß ich, wo es langgeht: Es wird künstlich und künstlerisch, und zwar mit Vorsatz. Also die Art von Film, auf die Kritiker abgehen. Trotzdem: Habe ich diese Hemmschwelle erst überwunden, wartet dahinter immer wieder eine Überraschung.
Also! The Grand Budapest Hotel wirkt wie eine Film gewordene Schneekugel: Ein kitschig-buntes kleines Modell in einer Winterlandschaft. Und wenn man es schüttelt, dann wirbeln künstliche Schneeflocken umher. Wir befinden uns in einem künstlichen Alpenland, das man grob verorten kann, in einer künstlichen Vorkriegszeit, die man ebenfalls grob verorten kann, und kriegen es mit einigen künstlichen Typen zu tun, die aber trotzdem irgendwie authentisch rüberkommen. Alles klar soweit? Dabei ist die Story rund um ein wertvolles Erbe und eine kleine Hetzjagd auf den Erben zwar sehr nett, aber – man vermutet es fast – nur ein Aufhänger, um genussvoll das vorhandene Figurenkabinett auszuspielen.
Starke Charaktere unter Zuckerguss
Und das hat es in sich. Anderson zeigt uns eine ganze Riege schräger Typen, die eben schräg aussehen, aber unter dem künstlichen Zuckerguss doch „nur“ Menschen sind. Das schafft Kontrast, das macht´s interessant. Allen voran wäre die Hauptfigur zu nennen: Concierge M. Gustave H., gespielt von Ralph Fiennes. Im einen Moment ist er ein Feingeist, der Gedichte rezitiert, von Ehre und Respekt erzählt, immer einwandfrei auftritt. Im anderen Moment plaudert er von seinen betagten weiblichen Hotelgästen und bemerkt beinahe beiläufig: Diese 84-Jährige, die gerade verstorben ist, die war übrigens eine Granate im Bett. – Wie bitte? Hat er das gerade wirklich gesagt?
„Siehst du, noch gibt es ein Fünkchen Zivilisation in diesem barbarischen Schlachthaus, das man früher die Menschheit nannte. Dafür sorgen wir mit unserer bescheidenen, demütigen… Ach, scheiß drauf!“ – M. Gustave H.
Diese kleinen, aber feinen Stilbrüche lassen den Film zu keinem Zeitpunkt langweilig werden. Und sie bieten eine ganz wunderbare Grundlage für Situationskomik. Etwa wenn Ralph Fiennes aus dem Gefängnis ausbricht: Anstatt sich schleunigst aus dem Staub zu machen, kostet er den Moment bis aufs Äußerste aus, um seinem jungen Ausbruchshelfer ein Hohelied auf die Freundschaft unter Männern vorzutragen. Apropos, auch in der Besetzung bietet der Film Kontraste, indem er dem Briten Fiennes den jungen Tony Revolori als gleichwertigen Partner gegenüber stellt. Und als weiteren Kontrast setzt es kleine launige Actionszenen. Eine Verfolgungsjagd im Schnee per Ski und Schlitten zum Beispiel. Oder eine Schießerei im Hotel. Hübsch künstlich gefilmt natürlich.
Wenn auch spät, so hat mich dieser Anderson wieder gekriegt: Das Äußere von The Grand Budapest Hotel mag artifiziell, verkopft, geradezu selbstverliebt wirken. Wenn man sich aber einen Ruck und dem Film eine Chance gibt, dann entdeckt man unter dieser Hülle eine knackige und herzige Abenteuergeschichte mit gelungenen Charakteren.
In Kürze: Optisch höchst artifizielle, aber inhaltlich überzeugende Posse rund um die Jagd auf ein Erbe. Unter dem künstlichen Zuckerguss warten starke Charaktere und teils absurd-lustige Situationen.
Bewertung: 8 / 10