Zurück in die Zukunft – nämlich ins Jahr 1985. Damals entstand der kleine, feine Agententhriller Target – Zielscheibe. Und da wir ja alle wissen, dass die Filme früher besser waren (nicht wahr?), warum nicht mal eine kleine Retrospektive?
Hamburg sehen – und baden gehen! Der größte Stunt in Target – Zielscheibe ist eigentlich recht banal und heute wohl kaum noch als solcher erkennbar: Gene Hackman und Matt Dillon jagen in einem knallroten Fiat Uno quer über die Hamburger Landungsbrücken, fahren mit dem Auto sogar Treppen rauf und runter, springen per pedes über Schiffe und Barkassen. Und am Ende, kurz bevor ein Killer auf Hackman anlegen kann, rettet der sich durch einen Sprung vom Schiff in die Elbe. Es ist wohl kaum nachvollziehbar, wie gefährlich dieser Hüpfer ins Wasser gewesen ist. Nicht wegen des Bootsverkehrs, sondern weil damals, also im Jahr 1985, als Target entstand, die Elbe noch eine dreckige Brühe mit Schwermetallen, Abwässern und eingeleiteten Düngemitteln war. Hackman hatte den Stunt selbst gebracht, und es ist schon etwas erstaunlich, dass er nicht wenigstens irgendeinen Hautausschlag bekommen hat.
Damals – das kleine Wörtchen ist nicht ganz ohne Bedeutung für Target, denn aus dem Damals bezieht der Streifen heute seine größte Stärke. Der letzte große Film von Altmeister Arthur Penn atmet reichlich 80er Jahre-Atmosphäre. Und wer die 80er miterlebt und den Film vielleicht sogar damals gesehen hat, der weiß die kleine Agentengeschichte aus der späten Phase des Kalten Krieges gleich doppelt zu schätzen. Da haben CIA-Agenten noch ein gewisses Flair, da gibt es noch Telefonbücher und nationale Währungen wie den Franc und – das Wesentlichste – da ist Deutschland noch geteilt mit einem Ost- und einem Westberlin. Matt Dillon läuft mit Walkman auf den Ohren herum, auf Flügen ist Rauchen noch erlaubt und, äh, naja, die Deutsche Bahn-Waggons, die im Hamburger Hauptbahnhof zu sehen sind, sehen heute noch immer genauso aus. So viel zum Zeitkolorit.
Abgesang auf Kalte Kriege
Ohne die Gnade der frühen Geburt, also für alle, die nicht mehr der Generation X oder Y angehören, dürfte Target ein kleines bisschen unspektakulärer wirken. Arthur Penn spult da sehr solide und bodenständig einen Abgesang auf die wilden Agentenzeiten irgendwo zwischen den Machtblöcken herunter, ohne dass Vereinigte Staaten und Sowjetunion groß thematisiert werden. Gene Hackmans Protagonist ist ein ehemaliger CIA-Agent, der sich zusammen mit seinen Weggefährten gerne an die alten Zeiten erinnert. Da wirkt Target kurz vor Beginn der Perestroika schon beinahe ein bisschen prophetisch. Ansonsten sind eigentlich alle Zutaten vorhanden für einen zünftigen Agentenfilm. Die Protagonisten treffen gleich nach ihrer Ankunft in Europa auf den ersten Bösen, sie arbeiten mit verdeckten Identitäten, flüchten vor unbekannten Attentätern und setzen stückchenweise das große Puzzle zusammen.
Agentenhatz mit netten Leuten
Einen zusätzlichen Reiz bezieht Target aus der Vater-Sohn-Konstellation. Matt Dillon spielt den aufmüpfigen Nachwuchs, der seinen Papa für einen biederen Familienvater hält und nichts von dessen Agenten-Vergangenheit weiß. Und er guckt nicht schlecht, als der Altvordere plötzlich zum souveränen Alpha-Männchen mutiert, der locker mal hinlangt, wenn es notwendig ist, und sogar Rennfahrer-Qualitäten aufweist. Schönster Dialog zwischen Jung und Alt – gerade aus heutiger Sicht mit 34 Jahren Abstand: „Du bist ein echter Optimist!“ (Hackman) – „Daran ist deine Generation nicht ganz unschuldig.“ (Dillon) – „Deine Generation wird auch Fehler machen.“ (Hackman). Aber nicht falsch verstehen: Target ist weit davon entfernt, den Jung-und-Alt-Konflikt voll auszuspielen und tiefer auszuloten. Der Film nutzt die Konstellation nur als besondere Kirsche auf der Sahne. Ansonsten lässt er keinen Zweifel daran, dass er vor allem unterhalten will.
Und so wird immer nur das Nötigste an Plot erzählt, bevor es wieder ans Rennen und Flüchten geht. Entweder zu Fuß oder in europäischen Kleinwagen vor bekannten französischen und deutschen Kulissen. Da ist man sich sogar nicht zu schade, für eine Szene einfach eine Telefonzelle ganz verloren an einem Hamburger Hafenkai zu platzieren. Nämlich damit man den Blohm+Voss-Schriftzug im Hintergrund platzieren kann. Vor wem letztlich geflüchtet wird und wie die Geschichte am Ende dorthin kommt, wo sie hin muss, das ist dabei zweitrangig. Dass man die Vater-Sohn-Agentenhatz übrigens „kauft“, ist vor allem den Darstellern zu verdanken. Hackman und Dillon agieren grundsympathisch, sogar der Bösewicht wirkt ganz nett, sobald man seine Geschichte kennt. Und für die deutschen Zuschauer gibt es ein Wiedersehen mit Ilona Grübel (im Vorspann: Ilona Grubel). Die kennen Kinder der 80er ansonsten vor allem als (Ex-)Frau von Sascha Hehn aus der Schwarzwaldklinik.
Randbemerkung: die Laufzeit
Da wir ja schon bis zur Halskrause in den 80ern stecken, abschließend vielleicht noch ein paar Sätze zur Laufzeit. Genre-Fans rufen heute ja immer gerne nach knackigen 90-Minütern, wie es sie „früher mal“ gegeben hat. Also in den 80ern. Tja, Target kann mit dem Gerufe schon mal nicht gemeint sein, denn der geht 112 Minuten. Und die sind auch notwendig, um alle drei Ebenen zusammenzubringen: die Agenten-Geschichte, die Vater-Sohn-Geschichte und die Actionszenen. Manchmal malt die Erinnerung halt mit güldenen Farben…
In Kürze: Target – Zielscheibe ist ein grundsolide erzählter Agenten-Thriller aus der Spätphase des Kalten Krieges mit Vater-Sohn-Bonusgeschichte. Die Story ist zweitrangig, viel reizvoller sind die europäischen Handlungsorte und – aus heutiger Sicht – das Zeitkolorit. Da verzeiht man gerne, dass so mancher Twist und so manche Actionszene völlig sinnlos eingebaut sind.
Bewertung: 7 / 10 (mit Nostalgie-Bonus mindestens 8 / 10)