Nach Avengers: Endgame kann es nicht mehr besser werden? Stimmt schon. Marvel versucht’s trotzdem – und zwar mit einer Parodie. Spider-Man: Far From Home heißt das gute Stück, das alte Hollywood-Traditionen fortführt. 

Es gibt da einen echt drolligen Ort auf der Welt. Da tragen die Leute komische Kleidung, sprechen komische Sprachen und haben komische Sitten. Nein, die USA sind nicht gemeint, wo Superhelden im bunten Spandex zwischen den Wolkenkratzern turnen und sich mit bösen Außerirdischen herumschlagen. Denn – so lehrt uns der regelmäßige Ausflug ins örtliche Lichtspielhaus – buntes Spandex und Raumschiffe über New York sind ganz normal. Der Ort, der für Amerikaner irgendwo im Spannungsfeld zwischen Faszination und Absurdität, zwischen Folklore und Realität existiert, ist: Europa! Es gibt wohl nur wenige erfolgreiche Hollywood-Filme, die nicht irgendein Sequel erfahren, das nicht den Eiffelturm, die Tower Bridge oder zünftig gekleidete Bajuwaren beim Biertrinken zeigt.

Spider-Man: Far From Home Steelbook
London, wir kommen! Oder vielmehr Spider-Man. Das Finale des jüngsten Beitrags zur Spinnenmann-Reihe spielt in der britischen Hauptstadt. Und da es sich eigentlich um eine Klassenfahrt handelt, darf der Fremdenführer nicht fehlen. Die Karte im Hintergrund zeigt übrigens Peter Parkers Heimatstadt.

Wie wir spätestens seit den 80er Jahren wissen, gehört es zur Initiation eines Jugendlichen aus den USA, eine Reise nach Europa zu unternehmen, die lokalen Gepflogenheiten kennenzulernen und sich von einer Reihe „sexsüchtiger“ Europäerinnen entjungfern zu lassen. Der Inbegriff des „Amerikaner reisen nach Europa“-Sequels dürfte seitdem wohl Hilfe, die Amis kommen! sein: Chevy Chase trifft dort als Oberhaupt der berühmt-berüchtigten Griswold-Familie auf Willy Millowitsch, und seinem Filmsohn Jason Lively springen beim Anblick zweier deutscher – Pardon! – Milchtüten im Dirndl die Augen aus dem Schädel. Nach London wiederum hat es unlängst einen amerikanischen Superhelden verschlagen: Der kommt mit allerlei technischen Gadgets einem Bösewicht auf die Schliche, lernt die Eigenarten der Engländer kennen und hat nebenbei mit ein paar lustigen pubertären Problemen zu kämpfen. Richtig, die Rede ist von… Frankie Muniz in Agent Cody Banks 2.

Klassenfahrt ohne Klasse

Spider-Man: Far From Home passt eigentlich perfekt in die Reihe internationaler Heiterkeit aus Tinseltown. Kurz nach den dramatischen Ereignissen von Avengers: Endgame, also der epochalen Schlacht um das Wohl und Wehe des gesamten Universums, geht Peter Parker erst einmal entspannt auf Klassenfahrt. Und da passiert, was denn so passieren muss. Nein, gemeint ist nicht das Auftauchen eines neuen Bösewichts, der mal wieder nach nicht weniger als der Weltherrschaft strebt. Gemeint sind vielmehr zwei Dinge: Erstens hormonelle Verwicklungen, schließlich ist der gute Peter hinter der guten MJ her und sieht sich plötzlich mit einem Konkurrenten konfrontiert. Und zweitens viele lustige Erfahrungen in fremden Landen, wo das Hostel in Venedig natürlich fast unter Wasser steht, Berlin natürlich nur aus blau-grau glänzendem Stahl und Beton erbaut ist und die Niederlande natürlich eine Anhäufung von Windmühlen und Tulpenfeldern sind.

Die europäische Klischee-Parade in Spider-Man: Far From Home wirkt einerseits natürlich weniger witzig als vielmehr ermüdend, denn so oder so ähnlich hat der geneigte Kino-Zuschauer Europa schon unzählige Male in Hollywood-Filmen gesehen. Sie wirkt aber auch irritierend, denn die Superhelden aus dem Hause Marvel sind in den bis dahin 22 Filmen des Marvel Cinematic Universe bereits mehrere Male nach Europa gereist – etwa nach Stuttgart im Avengers-Film von 2012 oder nach Dresden im dritten Captain America von 2016 – und haben dabei auf drollige Stereotype verzichtet. Natürlich soweit es sich vermeiden ließ. Nun wirkt es aber so, als hätten die Studios Sony und Marvel keinen Superhelden-Film im Sinn gehabt, sondern eine Parodie auf Superhelden-Filme. Und zwar mit so dümmlich abgegriffenen Gags wie zwei trotteligen Lehrern, einer missglückten Hose-runter-Aktion in den Alpen, prüde verliebten Teenager-Tussis oder einem Beinahe-Anschlag auf einen unliebsamen Klassenkameraden per Hightech-Satellit aus dem All. Jahaaa, hier ist alles dabei!

Als Caterina Valente im MCU landete

Bemerkenswert fällt dabei der Soundtrack aus: Sobald die juvenile Reisegruppe das Italien des Jahres 2019 erreicht, spielt aus dem Off natürlich in logischer Konsequenz der typisch italienische Gassenhauer „Bongo Cha Cha Cha“ von 1960 – von Caterina Valente und dem Werner Müller Orchester. Aber gut, den kleinen Anachronismus könnte man noch wohlwollend als Augenzwinkern der Filmemacher verstehen.

Sehnsuchtsort Europa


Exotisch! Abenteuerlich! Gefährlich! Und lustig! – Ja, das ist Europa. Wohlgemerkt aus US-amerikanischer Sicht. Das ist jedenfalls der mutmaßliche Grund, warum wohl so viele Fortsetzungen erfolgreicher Filme (vornehmlich Komödien und ihre vielfältigen Derivate) nicht mehr im vertrauten Umfeld spielen, sondern Fisch-aus-dem-Wasser-Humor-mäßig in den Heimatländern der amerikanischen Gründerväter – inklusive Linksverkehr in England und Baguettes in Frankreich. Ein Best of ohne Anspruch auf Vollständigkeit…



  • Hilfe, die Amis kommen! – London, Paris, Rom, irgendwo in Bayern

  • Agent Cody Banks 2: Mission London – London

  • Garfield 2 – Faulheit verpflichtet – England

  • Deuce Bigalow: European Gigolo – Amsterdam

  • London Has Fallen – London

  • Men in Black: International – London

  • Ocean’s 12 – Amsterdam, Paris, Rom, Monte Carlo, Comer See

  • Red 2 – Paris, London, Moskau

  • Shanghai Knights – London

  • Police Academy 7 – Moskau

  • Taken 1 und 2 – Paris, Istanbul

  • Cars 2 – London

  • Madagaskar 3: Flucht durch Europa – Monte Carlo und der Rest von Europa
Spider-Man Steelbooks
Einmal hui, einmal pfui: Das zweite Spider-Man-Reboot namens Homecoming, das in New York spielt, war zwar überflüssig, aber noch charmant. Der zweite Teil ist eine typische Fortsetzung: größer, bunter, lauter, dümmer. Schade. Das Brandenburger Tor auf dem Steelbook-Cover ist übrigens ein Marketing-Gag, das Wahrzeichen taucht im Film nicht auf.
Erwachsenwerden kann so schwer sein

Läuft denn wenigstens der Rest vom Superhelden-Fest? Leidlich. Da wäre erst mal der Hauptcharakter: Peter Parker alias Tom Holland plagt sich nun bereits seit mehreren Filmen damit herum, seine Verantwortung als vollwertiger Superheld im Reigen der Avengers anzunehmen und ein bisschen erwachsener zu werden. Letzteres funktioniert schon deshalb nur in Maßen, weil man dem 23-jährigen Holland das 16-jährige Highschool-Kid kaum noch abnimmt. Es wird interessant sein zu sehen, was sich die Autoren wohl ausdenken werden, wenn der Schauspieler die 30 erreicht – sollte es bis dahin nicht noch ein drittes (oder viertes?) Reboot des Netzschwingers geben.

Jake Gyllenhaal wiederum fällt die undankbare Aufgabe zu, den wohl durchschaubarsten und am wenigsten bedrohlichen Bösewicht spielen zu müssen, den das MCU bislang fabriziert hat. Das ist beinahe schon tragisch, denn eigentlich steht sein Mysterio für das Spiel mit Echt und Falsch, also das, was man sieht, aber was trotzdem nicht real ist. Was wäre da storytechnisch drin gewesen in Zeiten von virtuellen Realitäten und Fake News! Aber nein, es hat nicht sollen sein, Far From Home nutzt die Zeit lieber für ein paar überkandidelte Actionszenen und den nächsten lauen Gag aus der zwölften Klasse. Immerhin: Gyllenhaal ist mit einer gewissen Spielfreude dabei, das ehrt ihn.

Jung und jünger

Für eines dürfen sich die MCU-Filme derweil wirklich auf die Schulter klopfen: Es ist ihnen endgültig gelungen, auch rein formell in der Zielgruppe der 15-Jährigen (und jünger) angekommen zu sein. Wenigstens lernt man dabei, dass man sich doch eben noch einen VPN auf dem Smartphone einzurichten habe, um beim Europa-Trip nicht von der eigenen Regierung lokalisiert werden zu können – aha, klingt cool. Aber warum überträgt Peter Parker dann bei nächster Gelegenheit ein Weltraum-Waffensystem an Mysterio, den er kaum kennt? Wenn er die Hightech-Satelliten-Raketen-Drohnen-Projektor-Kombi seines kürzlich verblichenen Mentors Tony Stark schon nicht haben will, hätten sich da nicht eher Nick Fury oder einer der bewährten Avengers angeboten, mit denen er gerade noch gegen Thanos gekämpft hat? Egal, auf solche sprunghaften An- und Einsichten muss man wohl gefasst sein in Highschool-Hausen.

Bleibt festzuhalten: Wo der Vorgänger Homecoming noch einen gewissen Charme versprühte, wirkt der neue Spider-Man eher hilflos witzig und überladen. Und noch ein großes Rätsel bleibt: Warum entwickelt Peter Parker angesichts einer Tante wie Marisa Tomei nicht einen mittelschweren Ödipus, äh, Tantipus?

Spider-Man und Avengers auf Blu-Ray
Was für eine Reihe! Avengers: Infinity War, Avengers: Endgame, Spider-Man: Far From Home. Würde nicht auf allen Filmen das Label „MCU“ kleben, man würde kaum glauben, dass Marvel seine epische erste Kino-Reihe ausgerechnet mit einer Highschool-Klamotte beschließt.
Abenteuer eines Busfahrers


Irgendwann widerfährt es jedem Film- und Serien-Helden: Er macht mal Urlaub – und erlebt im Feriendomizil doch nur wieder die gleichen Abenteuer. Die sogenannte „Vacation Episode“ hat eine schöne Tradition in amerikanischen Film- und Fernsehwerken, genauso wie die obligatorische Weihnachts-Episode. Eine Sonderform stellt das sogenannte „Busman’s Holiday“ dar. Wörtlich ist damit ein Busfahrer gemeint, der in die Ferien fährt – und zwar per Bus. Das Prinzip lautet also: Der Held macht das Gleiche wie immer, nur eben an einer Urlaubs-Destination. Prominentes Beispiel? John McClane. Der erlebt den gleichen Mist im Nakatomi Plaza und am Flughafen in Washington. Die Mädels und Jungs der Police Academy schaffen es immerhin an den Strand von Miami, um Verbrecher zu jagen. In Speed 2 läuft Sandra Bullock am Urlaubsort Verbrechern über den Weg. Und ist dabei in guter Gesellschaft: Sherlock Holmes hatte im Urlaub schon mit den Baskervilles Bekanntschaft geschlossen und ist in Watsons Flitterwochen über Prof. Moriarty gestolpert. Und so kann auch Spider-Man aka Night Monkey auf seinem Euro-Trip nicht vom Spandex lassen.

In Kürze: Spider-Man besucht Europa und wandelt damit auf den ausgetretenen Pfaden diverser „Amis besuchen das Ausland“-Komödien. Was schon bei der Familie Griswold nicht funktionierte, sorgt hier eher für ein müdes Gähnen. Viel schlimmer: Die Klischee-Parade wird locker von einigen lauen Gags und einigen himmelschreienden Story-Twists unterboten. Unwürdiger Abschluss des ersten großen Story-Bogens im MCU und verstörend klamottig nach dem epischen Endgame.
Bewertung: 4 / 10

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