Shrek – weniger eine Filmkritik, mehr eine kleine Rückschau und Stimmungslage angesichts der 20 (einhalb) Jahre seit der Kinopremiere. Die irgendwie einfach verflogen sind. Keine Ahnung, wohin. Als wäre es gestern gewesen, und es hat sich doch so viel getan …
Ach, es ist doch einfach schön: ein Film, der mit dem Aufschlagen eines Märchenbuchs beginnt. Eine Erzählstimme erzählt von wahrer Liebe und von einem Paar, das eigentlich unterschiedlicher nicht sein könnte. Eine Prinzessin und ein gemeiner Kerl, aber beide treten eine gemeinsame Reise an, bestreiten allerlei Kämpfe, raufen sich zusammen, entdecken ihr Herz füreinander, und am Ende wartet ein blaublütiger Widerling mit übersteigertem Besitzanspruchsdenken, dem es auf die royalen Fingerchen zu hauen gilt. Es gibt ein paar lustige Wegbegleiter, die für die spaßigen Momente zuständig sind, davon einer kleiner als alle anderen, einer davon größer. Es gibt ein paar märchenhafte Fantasiegestalten, die sich aber nicht anders verhalten als du und ich. Und es gibt viele ironische Seitenhiebe auf das Genre Märchenfilm. Und ja, richtig geraten, diese Rundum-Packung guter Laune mit reichlich Fantasy, das ist … Die Braut des Prinzen!
„Oger sind wie Zwiebeln.“
„Sie stinken?“
„Nein!“
Shrek, der Erste, hat in diesem Jahr bereits 20 Jahre (nun etwa 20,5 Jahre) auf seinem grünen und runzligen Buckel. Und was in dieser ganzen Zeit an ihm kleben geblieben ist wie zähflüssiger Schlamm aus dem Sumpf, das ist der augenscheinliche Verdienst, das Märchen-Genre mal ordentlich auf die Schippe genommen und von der zentimeterdicken Patina befreit zu haben, die sich in vielen, vielen Disney-Dekaden darauf abgelagert hat. Aber es ist nun mal nicht so, dass es das vorher nie gegeben hätte, also solch eine ironische Brechung der altbekannten Erzählmuster. Und dann auch noch so respektlos. Die 80er Jahre erlaubten sich so manchen Spaß mit den Konventionen, allen voran die genannte Brautprinzessin nach dem gleichnamigen Roman von William Goldman. Und wenn man genau hinschaut, dann erkennt man solche ironischen Motive auf Kosten des Genres nicht zuletzt bei Jim Henson, ob nun in Person der Muppets oder in Form der Reise ins Labyrinth.
Ein grüner, runzliger Mittelfinger
Der Verdienst, den sich Shrek aber auf die wild flatternde Fahne schreiben kann, ist: Er hat das Prinzip „Märchenfilm mal anders“ erfolgreich ins Medium des Animationsfilms transferiert, genauer: in das Medium des Computer-Animationsfilms. Und damit hat er nicht nur eine Reihe an Rekorden an den Kinokassen gebrochen, sondern Branchenprimus Disney den grünen und ebenfalls runzligen Mittelfinger gezeigt. Das ist übrigens die Legende hinter der Legende, die seit 20 Jahren Bestand hat: Trickfilmproduzent Jeffrey Katzenberg war damals bei Disney rausgeflogen, beteiligte sich prompt mit Steven Spielberg und David Geffen an der Gründung des neuen Hollywood-Studios DreamWorks SKG und klemmte sich eifrig dahinter, eine neue Trickfilmsparte aufzubauen, um seinem alten Arbeitgeber zu zeigen, wie man zeitgemäße Animationen macht. Katzenberg stritt diese Motivation zwar vehement ab. Doch gilt Shrek noch immer als Ergebnis einer gekränkten Hybris unter Hollywood-Alphatieren.
„Es gibt kein Wir, es gibt kein Unser, es gibt nur mich und meinen Sumpf. Und als Erstes werde ich eine drei Meter hohe Mauer um mein Land errichten!“
Und es liegt ja auch nahe: Die Geschichte rund um den hässlichen Oger, der eine wunderhübsche Prinzessin befreit, die ein dunkles Geheimnis hütet, und sich in sie verliebt, und das zusammen mit einem sprechenden Esel, der wiederum mit einem weiblichen Drachen anbandelt, wirkt wie ein einziger Seitenhieb auf Disney. Der böse Lord Farquaad, ein Giftzwerg mit Napoleon-Komplex, wies – wie kolportiert wird – eine gewisse äußere Ähnlichkeit mit dem damaligen Disney-Chef Michael Eisner auf. Und sein Königreich DuLoc samt phallusartiger Burg erinnert in seiner hohlen Sterilität nicht nur zufällig an Disneyland, den Inbegriff einer gelackten Kunstwelt frei von Ecken, Kanten und echtem Leben.
Ironischerweise bringt der kleingewachsene, aber größenwahnsinnige Farquaad die ganze Geschichte mit dem Oger und der Prinzessin überhaupt erst in Gang, indem er die Horde klassischer Märchenfiguren wie Schneewittchen oder die drei kleinen Schweinchen aus dem Märchenwald vertreibt.
Siegeszug des CG-Kinos
Die Rückschau darauf zu beschränken, würde dem „Phänomen“ Shrek aber nicht ganz gerecht. Wer im Jahr 2001 noch recht unbedarft im Kino saß und sich an den ungewohnt ruppigen Späßen von Oger und Esel erfreute, der wusste noch nicht so recht, was da auf ihn zukommen sollte in den – sagen wir mal – folgenden zehn Jahren. Das Jahr 2001, das war, um das zu verdeutlichen, noch nicht allzu weit entfernt vom Kino der 90er, also von Matrix, von den Bruckheimer-Action-Extravaganzen, vom Tarantino-Beben. Nicht zuletzt von der Renaissance des Katastrophenkinos mit Twister & Co. und der Wiedergeburt des Fantasy-Kinos mit dem Herrn der Ringe. Die CGI-Revolution mit Terminator 2 und Jurassic Park dank Industrial Light & Magic lag knapp zehn Jahre zurück, und der Animationsfilm-Urknall Toy Story von Pixar war noch sechs Jahre jung.
Mit anderen Worten: Computer-Animationsfilm waren frisch und neu und – Pardon! – der heiße Scheiß. Pixar und DreamWorks lieferten sollten sich fortan ein Kopf an Kopf-Rennen in der jungen Filmgattung liefern: Pixar veröffentlichte eine ganz bemerkenswerte Reihe an meisterhaften Werken, welche die Grenzen des Animationsfilms sprengten, von Die Monster AG bis Wall-E, von Findet Nemo bis Ratatouille. Und DreamWorks ließ ebenfalls die Kinokassen klingeln mit Madagaskar oder Kung Fu Panda. Die Kehrseite der Medaille: Der klassische Animationsfilm hatte ausgedient. Disney versuchte mit Lilo & Stitch eine direkte Antwort auf Shrek ins Kino zu schicken, schnitt am Boxoffice aber enttäuschend ab. Und den Filmen Bärenbrüder und Die Kühe sind los sollte es nicht anders ergehen.
„Aber das läuft ganz verkehrt! Ihr solltet mit gezogenem Schwert und wehendem Banner hineinstürmen. So haben es jedenfalls die anderen Ritter getan!“
„Ja. Bevor sie in Flammen aufgingen!“
Die obligatorische Übersättigung
Doch zurück zu Shrek: Der zog noch drei Fortsetzungen nach sich, oder vier, wenn man ein Weihnachts-Special mitzählt. Oder fünf, man denke an den gestiefelten Kater und sein Spin-off. Und kein Filmfan, ach was, kein Mensch konnte sich in den Nuller Jahren vor dem grünen Monster und seinen neuen Begleitern retten – bis die obligatorische Übersättigung einsetzte. Erst nach Shrek, dem Vierten, im Jahr 2010 und nach dem genannten Kater im Jahr 2011 hatte DreamWorks ein Einsehen und legte eine weitere für 2013 geplante Fortsetzung auf Eis.
Wenn man heute also 20 Jahre zurückschaut, auf den ersten Kinobesuch beim grünen Antihelden, dann wirkt die Zeit noch etwas jungfräulich, sprich: unschuldig. Was sie natürlich nicht war, schließlich war der Kinogänger damals bereits fest eingekeilt zwischen den großen Franchises der Zeit, eben dem Herrn der Ringe, Harry Potter, Matrix oder den X-Men. Trotzdem wirkte Shrek mit seinen respektlosen Witzen damals erfrischend anders und erstaunlich einzigartig. Ein miesgelaunter hässlicher Kerl, der gerne allein sein möchte, als Protagonist. Und eine Prinzessin, die nur einmal im ganzen Film in bester Disney-Manier ein Liedchen trällert, damit aber prompt einen niedlichen kleinen Vogel zum Platzen bringt und dann noch zu allem Überfluss dessen Eier aus dem Nest klaut, um sie zu braten – das war schon etwas Besonderes. Und ein Brüller im Kinosaal, der auch heute noch auf UHD funktioniert.
„So, wo sitzt denn diese feuerspuckende Nervensäge?“
„Da drin. Und wartet darauf, dass wir sie retten! Hä, hä.“
„Ich habe vom Drachen gesprochen, Shrek!“
Stars aus dem Computer?
Es war auch insofern eine jungfräuliche Zeit, als dass man zwar schon sah, zu was CGI fähig sind, aber noch nicht wusste, wohin das alles führen sollte. Um sich das zu verdeutlichen: Shrek war weltweit der vierterfolgreichste Film des Jahres 2001 – nach den jeweils ersten Teilen von Harry Potter und Herr der Ringe. Und nach der Monster AG. Was bedeutet: Zwei der vier größten Kassenknüller des Jahres basierten nicht auf bekannten Buchreihen, sondern auf originärem Material. Und, das war der Knackpunkt, sie kamen ganz ohne menschliche Stars aus, hatten aber fotorealistische Figuren in der Hauptrolle, auch wenn das Monster waren. Das gab zwei Jahre nach dem allseits „geliebten“ Jar Jar Binks aus der dunklen Bedrohung von Star Wars natürlich Anlass zur Spekulation: Würde man künftig noch eine Cameron Diaz brauchen und eine Angelina Jolie? Oder würden die Schauspieler künftig direkt aus dem Computer stammen.
Kino-Dystopist Andrew Niccol lieferte im selben Jahr die Antwort mit seinem Film S1m0ne um eine künstliche Hauptdarstellerin. Dumm nur, dass ebenfalls im selben Jahr ausgerechnet der Film eine gigantische Bauchlandung an den Kinokassen hinlegte, der die ersten richtigen CG-Schauspieler versprach: Final Fantasy. Das wollten die Zuschauer dann doch wieder nicht sehen. Und ganz ehrlich: So schön die Bilder in Final Fantasy waren, das Uncanny Valley war noch sehr tief. Heute, 20 Jahre später, in Deep Fake-Zeiten sieht das beinahe wieder anders aus. Beinahe … Noch …
„Glaubst du, dass er damit irgendetwas kompensieren will?“
Respektlose Witze, brave Moral
Heute hat die Optik von Shrek übrigens doch einige Federn gelassen. Die Animationen sind noch immer gut, die Texturen vor allem vieler Hintergründe aber sehr grob und wenig detailliert. Und der Entstehungszeit geschuldet auch noch nicht hochaufgelöst gerendert – zumindest gemessen am heutigen 4K-Standard. Zeitlos dagegen ist die Geschichte, die nicht nur respektlose Witze bietet, sondern eigentlich eine sehr brave Moral: Der Hässliche bekommt die Schöne, die aber gar nicht so schön ist. Ergo: Es kommt nicht auf Äußerlichkeiten an, solange das Herz am rechten Fleck sitzt. Eigentlich sogar schon wieder eine Geschichte, der man in heutigen Empowerment-Zeiten allzu schnell Political Correctness vorwerfen würde, schließlich hat man zwei „People of Color“, nur eben in Grün.
Apropos Herz am rechten Fleck: Shrek mag aus Einsen und Nullen bestehen, funktioniert auf der rein emotionalen Ebene aber noch immer hervorragend. Dabei fällt auch auf, dass der Film bis auf ein, zwei Raufereien und eine Drachen-Hatz gar nicht so viel Action hat. Vielmehr haben die Figuren auf ihrer kleinen, in 90 Minuten flott erzählten Fantasy-Quest durchs Märchenland einfach eine gute Zeit. Das reicht auch schon. Ach, übrigens: Die Braut des Prinzen hat heute auch nichts von ihrer Faszination eingebüßt. Dabei hat sie hübsch künstliche Studiokulissen, ebenfalls gelungene Gags und noch immer mitreißende Fechtszenen. Und mit André the Giant (R. I. P.) gewissermaßen auch einen Oger.
„Gut gerülpst ist halb verdaut, sage ich immer!“
Fazit: Shrek ist heute, also 20 (einhalb) Jahre nach seiner Kinopremiere noch immer ein großer Spaß – wenn man die Übersättigung durch die Reihe an Sequels und Spin-offs ausblendet (die teils nicht schlecht waren, aber eben viele). Shrek war und ist aber noch mehr, nämlich die damalige Initialzündung in Sachen CG-Animationsfilm (sechs Jahre nach Toy Story). DreamWorks und Pixar sollten die Kinolandschaft die Nuller Jahre hindurch nachhaltig verändern.
Bewertung: 8 / 10