Ja, ja, ja, mit dem Joker bin ich spät dran. Aber wie es halt so ist: Je größer der Tanz ist, der um einen Film aufgeführt wird, desto mehr halte ich erst mal Abstand. Hype nervt halt auch manchmal. Lustigerweise erinnert mich Joker an einen anderen Film, und nein, es ist nicht Taxi Driver.
Schon gut, schon gut, wir haben es kapiert. Dieser Mann ist verrückt! Jawohl, der Typ in dem Clowns-Kostüm mit dem Clowns-Make-up hat ganz offensichtlich nicht mehr alle Tassen im Schrank. Den Verstand verloren. Einen amtlichen Dachschaden. Den Schuss nicht gehört. Einen Knall. Einen Schatten. Eine Meise. Eine Macke. Eine Schraube locker. Der ist Panne, plemplem, nicht ganz bei Trost. Und das alles auf einmal. Zumindest gibt er sich reichlich Mühe, damit wir das auch glauben: Dieser Typ, also der Arthur Fleck, wir dürfen ihn gleich zu Beginn zu seiner Therapeutin begleiten, und da kriegt er erst mal einen sinnlosen Lachkrampf. Dann zuckt er nervös mit den Beinen. In Großaufnahme, man kennt das ja. Und dann kommt der ebenfalls vertraute Satz: „Bilde ich mir das nur ein, oder wird es da draußen immer verrückter?“
Wir haben es in Joker also mit einem Verrückten zu tun, der an der Welt leidet. Das geborene Opfer, das irgendwann genug hat und mal ordentlich ausrastet. Und irgendwie scheint es so, als wollte Joker, also der Film, daran auch ja keinen Zweifel aufkommen lassen. Sprich: Joaquin Phoenix darf in der titelgebenden Rolle des Joker gleich mehrmals sein Innerstes nach außen kehren. Der eindrucksvoll abgemagerte Schauspieler führt insgesamt fünf Nervenzusammenbrüche vor, wobei er wahlweise einfach nur grimassiert, sich streckt, durchbiegt oder unentschlossen mit einem Revolver hantiert, gerne oben ohne. Zweimal wird der Mann zusammengeschlagen, einmal öffentlich vorgeführt, und zwar so richtig im Fernsehen, und zweimal von imaginären Vaterfiguren enttäuscht, bevor dann alles eskaliert. Ach ja, und irgendwann zwischendrin darf der Arthur seine geriatrische Frau Mama auch noch baden, was einen mittleren Ödipus suggeriert. Denn merke: Verrückte haben Ödipus!
Kalkulierte Brillanz
Was uns dieses Konvolut an Depressionen, Psychosen und Demütigungen also sagen will: Joaquin Phoenix ist ein toller Schauspieler. That’s it! – Naja, fast … Joker ist einer dieser Filme, denen man handwerkliche Brillanz attestieren muss, weil irgendwie alles passt – oder zumindest zu passen scheint. Da wäre eben der Hauptdarsteller, der den Film in der Rolle des geborenen Losers mühelos trägt. Dann wäre da noch die Regie von Todd Phillips, die sich zwar bewusst ist, dass sie hier den großen Bösewicht aus den Batman-Comics zum Thema hat. Die ihren Joker aber irgendwie realistischer angehen will, indem sie ihn nicht als bonbonbunten Comic-Clown zeigt, sondern eher als Travis Bickle aus Martin Scorseses Taxi Driver. Und dann wäre da noch die Ausstattung, die den Handlungsort Gotham City nicht nur comichaft-düster, sondern realistisch-ranzig und dreckig gestaltet, eben wie ein New York Anfang der 1980er (Taxi Driver zum Zweiten). Joker ist also eine Comic-Origin im „echten“ New Hollywood-Retro-Look – das ist mal was Neues.
Doch zugleich ist Joker auch ein irgendwie unsympathischer Film. Nein, nicht weil es zweifellos unangenehm anzuschauen ist, wie Arthur Fleck zwei Stunden lang leidet, geistig immer weiter abdriftet und den Boden unter den Füßen weggezogen bekommt. Sondern weil all das Gebotene auf dem hohen Niveau, auf dem es stattfindet, einfach schrecklich berechnend und kalkuliert wirkt. Eben die Taxi Driver-Anspielungen, die Großaufnahmen des irre lachenden Phoenix, die siffigen Kulissen, selbst die Twists in der Story, die gar nicht so twistig sind, weil man ja weiß, dass man der Figur des Joker bei ihrer Reise in den Wahnsinn beiwohnt. Wobei auch das nicht ganz zutrifft. Denn wie wir im Filmverlauf erfahren, ist der Joker bereits von Beginn an verrückt.
Sohn einer verrückten Mutter, quasi Dachschaden per Sippenhaft. Und da der Film nicht kleckert, sondern klotzt, wurde der arme Arthur als Kind auch noch geschlagen und missbraucht. Das ist nicht gerade ein komplexes Psychogramm, das dem berühmten Bösewicht da angedichtet wird.
The Toxic Avenger
Womit wir beim Knackpunkt des Ganzen wären. Der Joker, also wieder der Film, musste vor, während und nach seiner Premiere als Projektionsfläche für so manche Interpretationen herhalten. Seine Hauptfigur sei ein Underdog, also ein Sinnbild der Unterprivilegierten, die zur Rache an den Reichen und Mächtigen anstifte. Der Joker sei ein Wutbürger, der zur Anarchie motiviere. Nein, der Joker sei sogar ein Incel, also einer dieser untervögelten Frauenhasser mit faschistoiden Tendenzen, die das Netz verpesten und Angst verbreiten. Schlimmer noch: Der Joker motiviere zu Gewaltfantasien und ihrer Umsetzung in die Realität. Kurzum: Der Film sei – Achtung, Modewort! – „toxisch“. Zugegeben, der Film macht es dem Zuschauer, sofern dieser die entsprechende „Brille“ trägt, auch sehr leicht, solche Schlüsse zu ziehen. Schließlich stellt er seinem isolierten und gedemütigten Antihelden Bilder von wildgewordenen Yuppies, gewaltbereiten Jugendlichen, von Straßenschlachten, Mord und Totschlag gegenüber.
Aber: Joker taugt einfach nicht zur Kritik an Gesellschaft und Kapital. Arthur Fleck wird nicht verrückt an den Strukturen. Er spiegelt sie auch nicht. Der Joker ist kein subversiver Underdog, dem irgendwann der Druck auf dem Kessel zu groß wird, weil der Alltag vollgepackt ist mit eben dem alltäglichen Wahnsinn. So wie das der von Robert De Niro dargestellte Travis Bickle in Taxi Driver erlebt. Oder – um einen anderen naheliegenden Vergleich zu ziehen – Michael Douglas als D-Fens in Falling Down. Der Joker dreht ganz einfach nur am Rad, von Haus aus. Er ist bereits wahnsinnig, ohne dass es dazu einen Auslöser gebraucht hätte. Der einzige Auslöser ist allenfalls: Man nimmt ihm seine Pillen weg, gleich zu Beginn. Insofern führt sein Satz, ob nun er verrückt sei oder die Welt, in die Irre.
Kopfschuss und Schluss
Der Film ist kein Statement dafür, mal richtig auszuticken und es „denen da oben“ zu zeigen. Keine Frage: „Die da oben“ sind hier nicht gerade nett, allen voran Thomas Wayne, der Vater von Bruce Wayne, der wiederum mal zum Batman wird. Thomas Wayne wird hier nicht als visionärer Menschenfreund gezeichnet wie in früheren Adaptionen des Stoffs. Sondern stellvertretend für die herrschende Klasse als großkapitalistisches Arschloch, das am Ende seine „gerechte“ Strafe erfährt. Da kriegt die seit jeher bestehende Ambivalenz zwischen der Fledermaus und dem Clown einen interessanten neuen Spin. Aber Batman ist ja nicht das Thema des Films. Und indem sich der Film ein Retro-Gewand à la Taxi Driver gibt, nimmt er sich auch die aktuelle Relevanz. Joker ist damit nur schwerlich ein Schutzpatron für Anarchisten, Verschwörungstheoretiker oder eben Incels.
Besonders deutlich wird das im Finale. Da wird der Arthur nämlich von Robert De Niro (Taxi Driver zum Dritten) in eine Talk Show eingeladen zur Belustigung des johlenden Publikums. Weil er eben so ein Loser ist. Es kommt, wie es kommen muss: Dem Arthur springt vor laufenden Kameras der Draht aus der Mütze, und er setzt zu einem Monolog an. Keinem langen Monolog und auch keinem entlarvenden, in dem man auch aktuelle Missstände erkennen mag. Denn es fehlt der Figur einfach die Fähigkeit, sich entsprechend zu artikulieren. Nein, es ist ein relativ kurzer und generischer Monolog, dessen Quintessenz da lautet: „Die Menschen sind ja so gemein.“ Somit fehlt irgendwie die letzte Eskalationsstufe, die große Pointe, die den Zuschauern den Spiegel vorhält.
Der „Killing Joke“, der so schockiert wie belustigt. Stattdessen zieht der Joker einfach nur eine Knarre und schießt jemandem in den Kopf – was auf seine Weise natürlich auch schockierend ist, keine Frage.
Man redet nicht über den Fight Club!
Am Ende des Films ist durch Zufall eine gesellschaftliche Protestbewegung entstanden. Und zwar eine, die zu Gewalt greift anstatt zu Worten. Das wird so ein bisschen nebenher erzählt, was zwar nett ironisch ist, aber auch ein bisschen wenig. Nicht falsch verstehen: Natürlich ist die Geschichte des Jokers logisch aufgebaut und gut strukturiert, da greift eines ganz sinnvoll ins andere. Der Joker erschießt drei pöbelnde Yuppies in der U-Bahn, nicht um andere oder sich selbst zu schützen, sondern eher ungewollt. Thomas Wayne gibt in den Medien einen ungeschickten Kommentar dazu ab, und schon gehen die Leute auf die Straße und setzen Mülltonnen in Brand. Und das alles geschieht, während der Joker eigentlich nur mit sich und seiner Familiengeschichte beschäftigt ist.
Aber da drängt sich dann doch der Vergleich mit einem anderen Film auf, der in der großen Revolte endet. Nein, nicht Taxi Driver, sondern Fight Club. Der Film war 20 Jahre vor dem aktuellen Joker entstanden und damals eigentlich ein wunderbarer gesellschaftlicher Kommentar auf die 90er Jahre. Edward Norton -der lange Zeit als bester Schauspieler seiner Generation galt, so wie das nun Joaquin Phoenix zugeschrieben wird – spielt da auch einen Loser, allerdings keinen ärmlichen Straßenclown, sondern einen frustrierten Lohnsklaven. Der erduldet tagsüber die Tristesse im Büro, nur um sich vom verdienten Geld die Wohnung mit überflüssigem Ikea-Schrott vollzustellen. Die Ausgangslage ist dann beinahe dieselbe wie beim Joker: Der Jack, den Norton da spielt, leidet an Schlaflosigkeit und verlangt von seinem Arzt ein paar Pillen. Doch die werden ihm verweigert.
Der in die Suppe pinkelt
Jack bricht aus seinem Alltag aus, und zwar mit Hilfe von Tyler, gespielt von Brad Pitt. Der macht allerlei subversiven Kram, was ein bisschen befreiend wirkt, wenn auch anfangs noch im kleinen Maßstab: Er pinkelt im Nobelhotel in die Suppe, er schneidet im Kino Pornobilder in eigentlich harmlose Streifen und er verarbeitet das abgesaugte Fett aus Schönheitskliniken zu teurer Seife für reiche Ladies. Beide, Jack und Tyler, begründen schließlich den Fight Club, in dem sich zahlreiche Alltagsleidensgenossen finden. Die sich Erlösung versprechen, indem sie sich aufs Maul hauen. Die schließlich eine Armee bilden, um wirklich die bestehende Ordnung zu unterwandern und Wolkenkratzer zu sprengen. Und am Ende gibt es einen riesigen Mindfuck, der dem ganzen Treiben die Krone aufsetzt.
Fight Club spiegelte alles, was in den 90ern noch ein bisschen pervers wirkte und bis heute noch ein bisschen perverser geworden ist. Das reichte von proletenhaften Talkshows bis hin zu Amokläufen, Anschlägen und dem Krieg gegen Terrorismus (und führte damit konsequent den berühmten „Sag ja zum Leben!“-Monolog aus Trainspotting fort). Aber gut, das soll kein Exkurs in die 90er sein. Die Pointe ist vielmehr: Joker, dem eine ähnliche entlarvende Funktion zugeschrieben wurde und der damit auch liebäugelt, der tut nichts dergleichen. Nach Sichtung des Films mag man sich fragen: „Was wollte uns der Dichter sagen?“ Also in diesem Fall der Joker? Er liefert vorrangig eine One-Man-Show, gibt seinem Hauptdarsteller eine Plattform, um mal alles Menschliche rauszulassen.
Twist as twist can
Am Ende bleibt aber auch nicht viel mehr als das: Der Abschluss ist dreigeteilt und spielt letztlich in der Klapse. Das mag nach der Regel, nach der ein Film heutzutage möglichst noch einen großen Twist zu präsentieren hat, schlau gedacht sein. Legt es doch nahe, dass alles nur eine Wahnvorstellung des Antihelden gewesen ist. Doch leider ist es irgendwie egal, ob das nun zutrifft oder nicht.
Eine kleine Beobachtung vielleicht noch am Rande: So sehr Joker mit seiner Retro-Optik kokettiert, an einer zentralen Stelle funktioniert er doch ganz nach modernen Regeln: Da versucht sich der gute Arthur als Stand-up-Comedian bei einer Talentshow – ein Auftritt, der hemmungslos in die Hose geht. Jemand filmt die peinliche Darbietung mit und lässt die Aufnahme einem Fernsehsender zukommen, der sie sogleich in der Talkshow von Robert De Niro zeigt. Klingt eigentlich ganz logisch und vor allem gegenwärtig. Denn heute hat jeder sein Smartphone in der Tasche, kann mal eben eine Aufnahme machen und sie verschicken – oder eben bei Youtube hochladen. Aber der Film spielt Anfang der 1980er Jahre. Wer also hat die Aufnahme gemacht? Und womit?
In Kürze: Joker ist vor allem eines – ein Vehikel für Joaquin Phoenix und sein schauspielerisches Vermögen (wenn es um die Darstellung eines Wahnsinnigen geht). Joker ist aber nicht: ein Psychogramm eines Comic-Bösewichts und vor allem nicht der gesellschaftliche Kommentar, als der er gerne gesehen wird.
Bewertung: 7/10 (weil: gut gemacht)