Es war einmal… Vor nicht allzu langer Zeit, da sollte die Welt untergehen. Ganz klassisch ohne Virus. Laut Maya-Kalender war 2012 Schicht im Schacht. Tja… Roland Emmerich war geschäftstüchtig und nahm sich des Themas drei Jahre zuvor an. Und das machte er gar nicht so doof. Eine Retrospektive.
Was für ein Arschloch! – Sorry für den kleinen Ausbruch. Aber genau das mag man denken, wenn man diese eine Szene relativ am Anfang sieht: Wissenschaftler Adrian untersucht gerade im Yellowstone Nationalpark die Vorboten des Weltuntergangs, als er auf den erfolglosen Schriftsteller Jackson und dessen niedliche Kinder trifft, die dort zufällig gerade campieren. Adrian weiß, dass die Welt untergehen wird und die kleine Rumpf-Familie damit dem Tode geweiht ist. Doch hält er mit den Dreien nur kurz höflichen Small Talk, lobt den Vater für dessen Buch, outet sich sogar als Fan – und schickt sie dann weg. Bye Bye und fröhliches Sterben noch! Sonderlich selbstlos kommt der Adrian da jedenfalls nicht rüber, sonderlich mitfühlend auch nicht. Dabei ist ihm absolut bewusst, dass nur ein paar Auserwählte in modernen Archen die bevorstehende Apocalypse überleben werden.
Der Film 2012 von Roland Emmerich ist erst mal nur ein Blockbuster. Ein Disaster Movie über eine Katastrophe globalen Ausmaßes, das eine Menge Eye Candy verspricht – für das Emmerich nun mal so bekannt ist. Die Welt geht unter, warum, das ist eigentlich egal. Wichtig ist: Niemand wird diesem Unglück entgehen. Die Erdkruste bröselt, die Kontinente verschieben sich. Vulkane brechen aus, Flutwellen tosen übers Land, Städte und Monumente – darunter mal wieder das Weiße Haus – fallen in sich zusammen. Und mittendrin sind die Helden, eben besagter Jackson, und flüchten, was das Zeug hält. Gerne auch mal mit schlappen zwei Metern Vorsprung vor der sich auftuenden San-Andreas-Verwerfung, die ja bekanntlich ebenso schlappe 1.300 Kilometer lang ist. Das klingt erwartbar doof und verspricht für die Dauer eines Kübels Popcorn und zwei Litern Cola auch eine Menge Spaß. Es gibt was aufs Auge, nicht aufs Hirn. Emmerich halt.
Die Klügsten und Besten? Die Reichsten!
Oder? Ein zweiter Blick lohnt, gerade in der Retrospektive. Denn wie der Weltuntergang rein organisatorisch vonstatten geht, das wirkt in 2012 erstaunlich ernüchternd. Emmerich lässt die Katastrophe jedenfalls nicht plötzlich über die Menschheit hereinbrechen, und es gibt auch keinen einsamen Rufer, auf den niemand hört. Der Kniff ist eher folgender: In den ersten 40 Minuten nimmt sich Emmerich Zeit zu zeigen, wie die Staatenlenker dieser Welt einen Plan zum Überleben der Menschheit schmieden, eben per Arche. Und vor allem: Sie tun dies im Geheimen. Ottonormalverbraucher ist dabei schon mal komplett außen vor, der erfährt von dem dräuenden Unheil erst gar nicht. Ausgewählt werden aber nicht die Klügsten und Besten und Gesündesten, geschweige denn die Visionäre und Empathen, um den Grundstein für ein neues Zeitalter zu legen. Nein, es sind die Reichsten, die sich ihre Kabine auf der Arche für 1 Milliarde Euro erkaufen dürfen. Pro Kopf versteht sich.
Der Film dreht die Idee aber noch weiter: Es gibt eine geheime Organisation. Und sollte jemand dem Plan der Mächtigen auf die Schliche kommen, dann wird er von dieser Organisation kurzerhand um die Ecke gebracht. Derweil wird noch schnell die Mona Lisa aus dem Louvre eingebunkert, schließlich ist die wichtig. Insofern bietet 2012 – auch und gerade in Zeiten von Corona – so einiges für Verschwörungstheoretiker gleichermaßen wie für diejenigen, die noch auf die lenkende Macht von Staaten vertrauen. Heute würde man so etwas wohl eher einem Tech Giganten wie Google oder Apple zuschreiben. Aber um es kurz zu machen: Emmerich, auf dessen Kappe auch das Drehbuch geht, hat hier einen fiesen kleinen Subtext in seinen Hirn-aus-Kabumm-Film eingebaut, der auch so mancher schlauen Dystopie à la Snowpiercer zur Ehre gereichen würde.
Im Angesicht des Untergangs, so die Moral von der Geschichte, zählt dann halt doch, was man auf dem Konto und nicht im Kopf oder im Herzen hat. Klingt naiv, fühlt sich als solches aber irgendwie irritierend wahrscheinlich an.
Kaputt und Spaß dabei!
Apropos irritierend: Wenn man sich in der Retrospektive die professionellen Kritiken der größeren Medien zum Kinostart anschaut, dann gingen die Wenigsten wirklich auf diesen Punkt ein. Erwartungsgemäß konzentrierte man sich auf das Futter für die Augen. Der Master of Disaster hatte mal wieder abgeliefert, so der Tenor, mit Hilfe einer – Achtung, Wortwitz! – Flut an Computereffekten. Der Spiegel immerhin erkannte eine schöne symbolische Szene in der gezeigten Zerstörung von Michelangelos „Erschaffung des Adam“ im zerberstenden Petersdom. Die Süddeutsche lobte eine Riesenwelle und ein Erdbeben und die Lust am Kaputtmachen. Auch Die Welt befand: Emmerich kann zerstören wie kein Zweiter. Der Stern berichtete glamourmäßig von der Deutschland-Premiere und von der, äh, gezeigten Zerstörung im Film. Und die FAZ befand: „So viel Spaß muss sein“. Natürlich beim Kaputtgehen. Was zeigte: Das Feuilleton tat sich erwartungsgemäß schwer mit dem kunterbunten Knallbonbon.
Die neue Lust an der Katastrophe
Katastrophenfilme sind schwer angesagt seit Corona. Jedenfalls fällt auf, dass plötzlich alles, was mit Viren, Weltuntergang und Zombies zu tun hat, neue Popularität erhielt, als die Pandemie so richtig durchgriff. So landete auch Emmerichs 2012 knapp elf Jahre nach seiner Kinopremiere auf dem siebten Platz in den Netflix-Charts. Derlei Dinge gaben so manchem Psychologen die Gelegenheit, selbst etwas Popularität zu erlangen und in den Medien zu erklären, warum Katastrophenfilme in Corona-Zeiten so beliebt sind. Nämlich weil das Publikum eine „beherrschbare“ Krise erlebt mit einer Karthasis, also einem Happy End. Kürzlich gab es sogar eine Studie der Universität von Chicago, wonach diejenigen besser mit Pandemien zurechtkommen, die postapokalyptische Filme mögen. Schließlich lernte man in sogenannten „Prepper-Filmen“, wie man sich nach dem Zusammenbruch der Gesellschaft selbst versorgt, und werde mental widerstandsfähiger. Merke: Wer viel Emmerich schaut, flippt auch nicht so schnell aus, wenn er im Supermarkt eine Maske tragen soll. Hoffentlich …
Wenn John Landis lästert
Allerdings verwundert es doch ein bisschen, dass irgendwie so keiner auf das Kleine im Großen einging. Oder dass er bzw. sie die aufgemachte Dystopie ignorierte. Da drängt sich die Frage auf, ob man die Idee mit der Rettung der Reichen und Mächtigen als zu abwegig befand oder vielmehr als zu selbstverständlich. Schließlich zeigt die aktuelle Corona-Krise sehr schön, dass zwar alle Menschen gleich sind, aber manche Menschen eben ein bisschen gleicher, zum Beispiel wenn sie einem „systemrelevanten“ Beruf nachgehen oder nicht älter als 80 Jahre sind. Eigentlich lädt der Streifen zum Diskutieren ein: Wäre es im Ernstfall wirklich so anders als im Film? Und wenn es genauso wäre: Würde es uns überraschen? Da bekommen die ganzen Popcorn-Bilder schon einen interessanten Beigeschmack.
Vielleicht wollte man dem Streifen derlei Gedanken aber gar nicht zutrauen, auch wenn 2012 in seiner epischen Laufzeit von 2,5 Stunden wiederholt auf das Thema zu sprechen kommt. Nur am Rande: Selbst die beiden Regie-Veteranen Terry Gilliam und John Landis ließen es sich in einer Folge der arte-Sendung „Durch die Nacht mit…“ nicht nehmen, mal kurz über 2012 abzulästern. Landis bemängelte dort das ewige Gerenne und Geflüchte der Protagonisten vor überdimensionalen Naturgewalten, lachte und fragte Emmerich indirekt: „Meint er das ernst?“ Von Subtext kein Wort.
Im Katastrophenland nichts Neues
Aber im Kern hat der Herr Landis ja auch Recht. 2012 ist in seiner Erzählung nicht gerade Shakespeare, denn über den sozialkritischen Ansatz hinaus wird gut durchgekaute Hausmannskost geboten. Um das nur mal anzureißen:
- Das Familiendrama: Der Protagonist ist geschieden, seine Ex hat einen Neuen, die Scheidungskinder sind erwartungsgemäß bockig. Die beiden Exen kommen im Angesicht des Untergangs wieder zusammen, der Neue – obwohl eigentlich ein ganz netter Typ – wird geschreddert, die Kinder sind nicht mehr bockig. Fin.
- Der aufrechte Wissenschaftler: Geologe Adrian – der oben Genannte – ist kompetent, brillant, aufrecht, integer, macht seinen Job. Irgendwann auf halber Strecke entdeckt er auch Ethik und Gewissen und ruft nicht nur zur Rettung der Menschheit, sondern zum besseren Menschsein auf. Was das Interesse seines Love Interests weckt.
- Die naive Idealistin: Engagierte Kunstexpertin, im Nebenjob – Zufall! – die Tochter des US-Präsidenten und das genannte Love Interest, rettet weltweit Kunstgegenstände, ohne zu wissen, warum eigentlich. Irgendwann auf halber Strecke merkt sie, wie der Hase läuft, entwickelt auch ein Gewissen und ein Herz für den Geologen. Auf dem Weg zu den Archen unterhalten sich beide über ihre College-Zeit.
- Der skrupellose Geldsack: Russe Yuri symbolisiert wohl das verkommene Kapital und das dazugehörige Mindset. Immerhin kriegt er eine Szene spendiert, in der er erzählt, wie er auf die harte Tour das Überleben gelernt hat. Irgendwie faszinierend der Mann – und am Ende offenbart er doch noch einen weichen Kern.
- Der Aluhut-Träger: Ja, das gab es auch schon vor Corona. Mel Gibson hat so etwas in Fletchers Visionen gespielt, hier übernimmt Woody Harrelson den Part des Durchgeknallten mit dem Durchblick. Wohlgemerkt noch mit langen Haaren. Paraderolle. Schöner Anachronismus: 2012 bläst Woody seine Verschwörungstheorien noch per Radio in die Öffentlichkeit.
Die Regeln des Spiels
Die Versatzstücke an Handlungen und Schicksalen sind also reichlich und nicht gerade originell. Das mag man kritisieren, was ja auch sehr leicht fällt. Aber wenn man ehrlich ist: So funktionieren Katastrophenfilme nun mal, das war schon bei den Airport-Streifen und dem Flammenden Inferno so. Oder auch bereits im Jahr 1936 in San Francisco, also dem Film zum historischen Erdbeben. Was bei solchen Filmen gefragt ist, ist weniger Originalität, sondern ein funktionierendes Vehikel für das große Spektakel mit einigen halbwegs sympathischen Protagonisten. Klingt kritisch, aber exakt das verlangt das Genre – und ein Budget von knapp 200 Mio. Dollar lässt auch wohl kaum Experimente zu, wenn es wieder eingespielt werden will. Insofern kann man Emmerich wohl attestieren, dass 2012 recht versiert umgesetzt worden ist.
Und doch: Wenn man sich anschaut, auf welche Weise im Film die Menschen sterben, nämlich beinahe beiläufig, ohne sichtbaren Blutverlust, aber doch recht grausam, dann entwickelt er beinahe einen subversiven Charme. Ob das nun ein paar trutschige Omis sind, die in ihrem alten Straßenkreuzer an einer aufgerissenen Fahrbahn hängen bleiben. Oder ob das Menschenmassen sind, dazwischen übrigens immer wieder Kinder, die wie Ameisen von einer großen Flutwelle weggespült werden oder in ein Erdloch mit glühendem Magma fallen. Da mag man den Regisseur und seinen Stab vor dem geistigen Auge beinahe breit grinsen sehen…
In Kürze: Groß, bunt, laut – Spektakel. 2012 liefert als Weltuntergangsfilm erst mal das Erwartbare: spektakuläre Bilder der Zerstörung. Regisseur und Autor Roland Emmerich war das aber wohl nicht genug. Denn er hat einen kleinen Subtext in die Handlung eingebaut, der fies-nüchtern präsentiert wird und sich beinahe irritierend wahrscheinlich anfühlt. Die Zweitsichtung lohnt also allemal.
Bewertung: 8/10