Na, da haben wir uns aber Zeit gelassen: Captain Marvel haben wir nicht zur Kinopremiere geschaut und auch nicht zur Heimkinopremiere. Warum? Dazu später, zunächst zum Film selbst. Übrigens Vorsicht: Spoiler voraus!
Als Superman hat man es ja echt nicht leicht! Da gibt es kein Ziel, zu dem man nicht hinfliegen kann. Es gibt keine Naturgewalt, die sich nicht mit Super-Muckis zur Seite wuppen ließe. Und es gibt keinen Gegner, den man nicht per Hitzeblick wegbrutzeln könnte. Kurzum: Als Superman lebt man sein Leben permanent im Cheat-Modus. Wäre es ein Computerspiel, hätte man schon alle Karten, alle Schlüssel, alle Waffen, unendlich Munition. Auf Dauer wäre das echt langweilig. Als Drehbuchautor hat man es in solch einem Fall auch nicht leicht: Wie soll man eine spannende Geschichte über solch einen Charakter schreiben, wenn es kein Ziel gibt, dass man nicht… na, ihr wisst schon. Also greift man zu einigen Tricks, etwa zu Kryptonit.
Eine verschachtelte Erzählweise wäre noch so ein Trick. Man of Steel hat das vor ein paar Jahren vorgemacht: Da galt es, mal wieder die Origin-Geschichte und Übermensch-Werdung des Stählernen zu erzählen, also Prolog auf Krypton, Reise zur Erde, Adoption durch die Kents, Vermittlung menschlicher Werte, Umgang mit Superkräften, die Hormone und Lois Lane, General Zod und so weiter. Und da Superman eben Superman ist, wäre es viel zu langweilig gewesen, das alles linear abzuspulen. Was hat man also gemacht? Man hat die Geschichte durch lauter Flashbacks unterbrochen und ist immer wieder zu den Schlüsselmomenten aus Clark Kents Jugend zurückgesprungen. Dieser Kniff hatte nur auch wieder einen Preis: Die Handlung kam nicht so recht in Fluss, die Hauptfigur wirkte distanziert, der emotionale Unterbau ging flöten.
Was soll das eigentlich alles?
Moment, sollte es hier nicht um Captain Marvel gehen? Brie Larson, nicht Henry Cavill! Und überhaupt: Marvel, nicht DC! Ja, sollte es. Aber die lange Vorrede hat einen Grund: Diese Captain Marvel, oder bürgerlich: Carol Danvers, ist der Superman des Marvel-Universums – oder eben die Superfrau. Die kann alles: Statt glühender Augen hat sie glühende Händchen, aber ansonsten ist die Gute einfach perfekt und unbesiegbar. Wie baut man also eine einigermaßen interessante Geschichte um so jemanden herum? Genau! Indem man ihre Vorgeschichte in Flashbacks erzählt. Genial! Da wird also ein Mysterium um ihre Herkunft aufgebaut, der Film liefert immer wieder Bildfragmente aus ihrem früheren Leben und um einige Nebenfiguren – eine davon sieht aus wie Annette Benning – und lässt sich Zeit, bis Captain Marvel eben endgültig zu Captain Marvel wird. Sprich: Bis diese unbesiegbare Person aus eigener Kraft durchs Weltall fliegt und ein paar Raumschiffe zerstört.
Das Problem ist nur: Als Zuschauer weiß man anfangs nicht, warum man nun unbedingt mit dieser Carol Danvers mitfiebern sollte. Und warum das alles so spannend sein soll, wenn man doch die ganzen anderen Figuren nur bruchstückhaft zu sehen bekommt. Hinzu kommt, dass Brie Larson ihre Rolle irgendwie so kalt runterspielt, als wüsste sie selbst nicht, was das alles soll. Das Erstaunliche daran ist, dass die Origin von Captain Marvel die schon nicht sonderlich spannende Origin vom Man of Steel mindestens eine Stufe besser aussehen lässt. Das beginnt beim Prolog (Gymnastikrunde auf Hala vs. Staatsstreich auf Krypton), setzt sich über die Wertevermittlung (Papa Kevin Costner gegen Hologramm Annette Benning) und die Bestimmungsfindung (Jesus-Motiv contra Haltebolzen im Genick) fort und endet im Finale (wuchtige Stadtzerstörung durch Superwesen vs. Weltraumschiffeversenken durch Superwesen). Überflüssig zu sagen, dass Regisseur Zack Snyder beim Man of Steel die schöneren Bilder findet.
Samuel L. Jackson rettet den Tag
Captain Marvel ist insgesamt sicherlich ganz unterhaltsam geraten. Dafür sind die Marvel-Filme einfach zu professionell produziert. Die Schauwerte stimmen, die Witze sitzen, die Querverweise innerhalb des MCU sowieso. Aber bei genauerer Betrachtung wirkt der Film schon erstaunlich unrund. So wandelt sich die Superfrau-Geschichte nach dem Prolog mit Auftritt von Samuel L. Jackson zum Buddy-Movie, später zum Verschwörungsthriller, es gibt einen Twist, und die bislang bösen Aliens sind plötzlich freundliche Aliens, die so menschlich dargestellt werden, dass sie die spitzohrigen Verwandten der guten Lectroiden aus Buckaroo Banzai sein könnten. By the way: Samuel L. Jackson, per Computer erstaunlich gut verjüngt, hat wirklich die besten Szenen des Films und bringt reichlich Spaß und Ironie in das Superhelden-Treiben. Lashana Lynch wiederum als alleinerziehende Kampfpiloten-Kollegin von Brie Larson mit Hang zum Overacting dürfte der nervigste Charakter des Films sein.
Abschließend wirft der Film dann noch ein paar Fragen auf. Zum Beispiel: Warum zitiert man im Finale beinahe eins zu eins eine Verfolgungsjagd per Düsenflieger im Canyon aus Independence Day, die ja ihrerseits ein Zitat des Grabenflugs aus Star Wars war? Oder: Warum präsentiert man auf Menschenseite eine taffe Kampfpilotin, die nebenbei noch ein Kind großzieht, aber auf Alienseite eine Klischeefamilie mit passiv-defensiver Mutterfigur? Und: Warum hat Marvel nicht einfach Pepper Potts aus Iron Man zur Superheldin aufgebaut? Weil Gwyneth Paltrow mit ihren 46 Jahren schon zu alt ist?
Warum so spät?
Was uns auch bereits zur Eingangsfrage bringt: Warum kommen wir hier auf dem Blog so spät nachgekleckert mit unserer Meinung zum Film? Zunächst mal, weil wir ja schon immer gesagt haben: Wir rezensieren, wenn wir gerade Bock haben, ganz ohne Aktualitätsdruck. Doch warum hatten wir so lange keinen Bock? Das liegt vielleicht am Marketing des Films. Marvel hatte es bei Black Panther im vergangenen Jahr geschafft, vor allem in der US-amerikanischen Bevölkerung einen immensen Hype rund um den ersten schwarzen Superhelden aufzubauen. Ganze 20 Jahre nach Blade. Und 40 Jahre nach dem Blaxploitation-Kino. Das ist als Beitrag zu einem gesellschaftlichen Emanzipationsprozess natürlich sehr löblich, bitte nicht falsch verstehen. Aber es ist halt auch Marketing und Hype.
Nun drängte sich bei Captain Marvel ein knappes Jahr später ein ähnlicher Eindruck auf. Denn es sollte das weibliche Geschlecht seine (ihre) eigene Superheldin bekommen, so schien es. Nach Pepper Potts. Nach Black Widow. Und nach der Scarlet Witch. Oder nach Wonder Woman auf der DC-Seite. Aber eben Superheldin! Bitte wieder nicht falsch verstehen: Das ist auch sehr löblich. Aber es war auch noch ein Tickchen mehr als Holzhammer-Marketing zu durchschauen. Und drückte auf die Motivation. Aber sei’s drum: Abseits des ganzen Theaters ist Captain Marvel ein ganz netter Zwischenschritt zu Endgame mit Bonuspunkten für Sam Jackson und das 90er Jahre-Setting.
In Kürze: Unrunde und langatmige Übermensch-Werdung mit hinlänglich bekannten Story-Versatzstücken, die im direkten Vergleich den DC-Kollegen Man of Steel um eine Stufe aufwertet. Als solches aber allemal unterhaltsam und mit zwei klaren Superstärken: Samuel L. Jackson und 90er Jahre-Setting.
Bewertung: 6 / 10
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