So spielt das Leben: Man trifft sich, man findet sich toll, man verliebt sich, man verliert sich aus den Augen. Doch wenn man sich dann wiedersieht, ist es immer noch die ganz große Liebe. Ging uns kürzlich so mit Juggernaut – 18 Stunden bis zur Ewigkeit.
Piraten, Cowboys, exotische Schönheiten – alles dabei auf dem Maskenball. Der Saal ist gefüllt, die Band spielt, eigentlich ist alles so, wie es sein sollte. Nur zwei, drei Dinge sind eben ein bisschen anders: Zunächst wäre da Roy Kinnear, der auf der Bühne singt und tanzt und alles gibt, was eigentlich schon absurd genug ist. Ist ja immerhin Roy Kinnear. Dann wären da die Gäste, die weder tanzen noch lachen, sondern nur höchst angespannt dreinschauen. Weil – und da wären wir beim dritten Punkt – sie wissen, dass gerade Richard Harris in einer dunklen Kammer sitzt und sich daran versucht, eine tickende Zeitbombe zu entschärfen. Die ganze Gesellschaft befindet sich auf einem Kreuzfahrtschiff mitten im Nordatlantik und wird gehörig baden gehen, wenn die Bombenentschärfung nicht gelingt.
Oben im Schiff also Roy Kinnear singend, unten im Schiff Richard Harris schwitzend. Und eine Partygesellschaft in – Achtung, Wortwitz! – Bombenstimmung. Absurdes und Spannendes – es gibt nur wenige Filmemacher, die das so gut zusammenbringen wie Richard Lester. Ja, genau, der britische Regisseur mit dem britischen Humor, der mit den Beatles gedreht hat.
„Ich habe Angst – alles wegen eines einzigen farbigen Drahtes.“ – Richard Harris und die Quintessenz des Bombenentschärfer-Films
Das (Alb-)Traumschiff
Und genau das macht Juggernaut – 18 Stunden bis zur Ewigkeit aus dem Jahr 1974 so besonders. Der firmiert eigentlich als Katastrophenfilm, liefert aber von Beginn an beinahe dokumentarisch anmutende Einstellungen von dem ganzen Wohl und Wehe einer Kreuzfahrt. Da wären eine angestrengte Blaskapelle, die am Hafenkai aufspielt. Oder der nicht ganz so appetitliche Betrieb in der Großkombüse, wo alle Gerichte weggeschmissen werden, weil den Passagieren beim Geschaukel auf dem Meer hundeelend ist. Apropos: Da wäre auch noch die arme Sau vom Bordpersonal, die bei Mistwetter die Hunde der Passagiere auf Deck ausführen darf. Das ist alles so weit weg von einer Traumschiff-Idylle, dass man sich wünscht, der Kahn möge doch sofort in die Luft fliegen und dem Theater ein Ende bereiten.
Hübsch auch einige Impressionen, die eigentlich nur am Bildrand stattfinden und sich eher auf der Tonspur abspielen. Unterhalten sich zwei Nonnen, während das Schiff ablegt. Fragt die eine: „Hast du auch schön gebetet, Schwester?“ Sagt die andere: „Ja, aber ich mache mir Sorgen wegen des gemeinschaftlichen Badens.“ Oder unterhalten sich zwei Männer, die am Kai stehen und dem Schiff nachschauen. Sagt der eine: „Gehen wir zu dir oder zu mir, Humphrey?“
„Das ist schon meine zweite Fahrt, aber… So etwas habe ich noch nie erlebt.“ – Roy Kinnear als Schiffsoffizier zu Shirley Knight
Nichts zu viel, nichts zu lang
Doch mit den satirischen Anklängen führt Lester seine Zuschauer auf die falsche Fährte. Denn gleichzeitig knüppelt er die Handlung mit Nachdruck voran, etwa wenn sich der Erpresser per Telefon meldet und seine Stimme parallel zum Geschehen auf dem Schiff zu hören ist. Keine Szene zu viel ist im Film, kein Dialog ist zu lang, das ist schon ziemlich auf den Punkt gefilmt. Hinzu kommt dann noch eine überaus elegante Inszenierung. Etwa wenn Richard Harris vor einem riesigen roten Gemälde in einem Museum gezeigt oder wenn von einer Einstellung des Schiffsradars auf ein Computerspiel umgeschnitten wird. Da wusste offensichtlich jemand, was er tat. Und wenn es dann ernst wird, die ersten Leute sterben und sich der Film vom Kreuzfahrt-Erpresser-Film zum Bombenentschärfungs-Film wandelt, ist der Kontrast zwischen locker-ironischen Mätzchen und ernstem Thriller umso effektiver.
Sowieso: Es ist schon erstaunlich, wie Lester mit einfachsten Mitteln eine ziemliche Portion Spannung erzeugt. Ein Mann sitzt vor einer Bombe und muss sich entscheiden, ob er einen roten oder einen blauen Draht durchschneidet. Mehr braucht es nicht. Keine aufwendigen Kamerafahrten, keine schrägen Einstellungen, keine Spezialeffekte mit Makro-Einsichten in die Bombe – nur Mensch und Maschine. Mal ist die Kamera nah dran am Gesicht von Richard Lester und zeigt jede Schweißperle, die ihm im Angesicht der Gefahr von der Stirn rinnt. Mal ist die Kamera distanziert und filmt einen langen dunklen Gang entlang, um zu zeigen, wie einsam der Bomben-Fachmann bei seiner Arbeit ist. Damit setzte Lester einen Standard, der in den folgenden Jahrzehnten noch häufig im Genre strapaziert werden sollte.
Gestatten, Anthony Hopkins von Scotland Yard
Parallel dazu sieht man Anthony Hopkins, der auf dem Festland den Erpresser jagen darf. Und man erfährt noch das Notwendigste über Omar Sharif als Kapitän und über einige ausgewählte Passagiere. Dabei hat’s übrigens eine wunderhübsche Szene zwischen Clifton James (ja, der Sheriff aus den Roger Moore-Bonds) und seiner Film-Ehefrau.
„Ihr erster Sprung? Keine Sorge, Sie haben die Schwerkraft auf Ihrer Seite. Das ist, als wenn man aus einem Flugzeug fällt.“ – Richard Harris zu einem Soldaten kurz vor dem Fallschirm-Sprung über dem Atlantik
Unmenge an guten Ideen
Ganz nebenbei liefert Lester ein schönes Psychogramm des von Harris gespielten Bombenentschärfers. Der macht sich schon beinahe über jede Bombe, die er „besiegt“ lustig und erklärt mit großer Geste: „Ich bin der Champion!“ Doch steckt dahinter kein übergroßes Ego sondern vielmehr Angst und Unsicherheit. Harris muss sich selbst beweisen, dass er der Größte ist, um überhaupt in dem Job weitermachen zu können. So gewährt er einen Blick hinter die Fassade, als – Spoiler! – einer seiner Kompagnons von einer Bombe getötet wird.
Es ist – bei aller Spannung – die Unmenge an hübschen kleinen Ideen, die Juggernaut so besonders machen. Da wäre etwa das Mitglied der britischen Spezialeinheit, das beim Absprung aus dem Flugzeug seine Maske verliert und herzhaft flucht – man stelle sich dieselbe Szene in einem amerikanischen Actionfilm vor, das würde dort nie geschehen. Oder da wären die Passagiere, die bei der Ankunft der Bombenentschärfer an Bord alles eifrig mitfilmen – wir befinden uns wohlgemerkt im Jahr 1974 und nicht in Zeiten von Smartphone und Instagram. Nach knackigen 108 Minuten Laufzeit ist dann alles vorbei, und man hat gar nicht gemerkt, wie schnell die Zeit vergangen ist. Ok, um die lange Vorrede zu beenden: Der Lester, der hat’s drauf. Und der Juggernaut, der ist einfach ein gelungenes Stück Spannungskino.
„Ist man auf einem Schiff eigentlich geerdet?“ – Zwei Passagiere am Bildrand
In Kürze: Impressionen einer Kreuzfahrt – Richard Lester ringt dem absurden Treiben an Bord ein paar wundervoll ironische Szenen ab. Nur um dann umso effektiver auf Ernst umzuschalten und dem Zuschauer einen hochspannenden Bombenentschärfungs-Thriller auf hoher See zu präsentieren. Tolles Katastrophenkino, das weniger durch Schauwerte, als vielmehr durch die kompetente Inszenierung punktet.
Bewertung: 9 / 10