William Goldman ist eine Legende als Drehbuch-Autor und hat zwei Klassiker über Hollywood geschrieben. Warum es lohnt, die Bücher auch heute noch mal zur Hand zu nehmen…

William Goldman: Das Hollywood-Geschäft
Moderner Klassiker: William Goldmans Rundumschlag zu Hollywood und zum Drehbuchschreiben von 1982.

Filmstars sind ungebildet. Nein, sie sind nicht dumm, aber sie besitzen meist nur eine geringe Schulbildung. Und sie sind eitel. Regisseure wiederum sind gute Helfershelfer. Doch ihre Visionen und Weltsichten sind oft nicht der Rede wert. Produzenten halten alles zusammen, nämlich das wirre Zusammenspiel von Autoren, Regisseuren und Stars. Und Studiomanager stehen unter enormem Druck. Sie stochern im Nebel und wissen nicht, ob ihr neuester Film ein Hit oder ein Flop wird. Denn: „Niemand weiß Bescheid!“ Ach, und übrigens, die Auteur-Theorie ist Blödsinn. Beispiel Der weiße Hai: Spielberg ist vielleicht ein toller Regisseur, aber ist er der „Auteur“ des Films? No way!

„Niemand weiß Bescheid!“ – William Goldman über das Hollywood-Geschäft

William Goldman war ganz offenbar ein sehr meinungsfreudiger Mensch. Zumindest lauten so einige Quintessenzen aus seinem Klassiker „Das Hollywood-Geschäft – Hinter den Kulissen der amerikanischen Filmindustrie“. Das Buch entstand im Jahr 1982, erschien ein Jahr später und beschreibt aus Goldmans Sicht, wie die Traumfabrik so funktioniert. Goldman war damals schon seit 20 Jahren als Drehbuchautor tätig und hatte für Butch Cassidy und Sundance Kid sowie für Die Unbestechlichen zwei Oscars gewonnen. Jetzt habe ich mir das Buch 35 Jahre nach Erscheinen mal wieder vorgenommen und sehr viel Spaß bei der Lektüre gehabt. Und zwei Tage, nachdem ich das Werk abgeschlossen habe, kam die Nachricht, dass William Goldman im Alter von 87 Jahren verstorben ist. Was für ein unschöner, trauriger Zufall.

William Goldman hochaktuell

„Das Hollywood-Geschäft“ ist meiner Meinung nach aus zwei Gründen noch immer absolut lesenswert: Erstens erzählt Goldman darin in einem wundervollen Plauderton zahlreiche Anekdoten aus Tinseltown. Und zweitens wirkt das Buch nach all den Jahren so aktuell, als sei es gerade erst geschrieben worden. Nur dass die damaligen Stars Burt Reynolds (ebenfalls unlängst verstorben), Dudley Moore oder Jane Fonda hießen. Die gefühlte Aktualität rührt vielleicht daher, dass Goldman sein Buch im Jahr des Heaven’s Gate-Desasters geschrieben hatte, also als Michael Cimino bei seinem Western die Produktionskosten explodieren ließ und einen herben Flop einfuhr. Gleichzeitig war es das Jahr, in dem Sylvester Stallone für Rocky III mit 10 Mio. Dollar eine neue Rekordgage einstrich.

Butch Cassidy und Sundance Kid
Hab´ ich eigentlich schon erwähnt, dass ich Butch Cassidy und Sundance Kid geschrieben habe? – Goldman erzählt ziemlich selbstbewusst…

William Goldman schreibt über das Ende des New Hollywood, über den Einfluss und die Eskapaden der Stars und die Rolle der Produzenten mit der Hybris des zweimaligen Oscargewinners. Soll heißen: Er erzählt mit spürbar verletztem Stolz davon, wie Watergate-Aufklärer Carl Bernstein mit seiner damaligen Lebensgefährtin Nora Ephron heimlich ein zweites Skript zum Film schrieb. Er beschreibt, wie Regisseur Bryan Forbes bei der Verfilmung von Die Frauen von Stepford eine eigentlich heiße Frauenrolle mit seiner nicht ganz so heißen Ehefrau Nanette Newman besetzte. Er reagiert merklich verdattert auf einen Verriss eines seiner Drehbuchentwürfe durch den Regisseur George Roy Hill. Ach, und er erwähnt recht häufig, wenn auch beiläufig, dass er Butch Cassidy und Sundance Kid geschrieben hat. Der Vorteil dieses gesunden Egos: Goldman nimmt kein Blatt vor den Mund.

„Die meisten Stars verfügen über keine besondere Schulbildung. […] Ich glaube, Barbara Streisand hat die Highschool abgeschlossen. Ich bin nicht sicher, ob das auch für Hoffman oder die Minelli gilt. Ich glaube, dass Jane Fonda ein Jahr auf dem College war, Redford genauso lange oder kürzer… […] Travolta… […] Nicholson…“ – William Goldman dazu, dass man früh ins Showgeschäft starten muss

William Goldman: Niemand weiß Bescheid
Niemand weiß Bescheid: Der Satz wurde von William Goldman geprägt und ist ebenfalls ein Klassiker der Branche. Denn niemand kann wirklich kalkulieren, ob ein Film ein Hit wird oder ein Flop.

Filme wie Popcorn – wenig gehaltvoll

Lange Rede, kurzer Sinn, das Buch gibt natürlich eine Menge her, auch zum Thema Drehbuchschreiben. Weshalb ich es für besonders erwähnenswert halte, liegt aber auch an einem kurzen Kapitel zur Ökonomie Hollywoods. Goldman gibt darin sein Verständnis des gerade erstarkenden Popcornkinos wieder. Im Jahr 2018, in dem Filmfans die Welle an Superhelden-Filmen und Fortsetzungen noch ein bisschen lauter beklagen als in den Vorjahren, zeigt „Das Hollywood-Geschäft“ von 1982: Das ist alles ein alter Hut, das gab´s schon damals. Filmfans wissen das natürlich irgendwie, aber es ist schön, wenn dies in einem Zeitdokument so lebhaft festgehalten ist. Was schreibt William Goldman nun also? Er schreibt davon, dass Hollywood zwei Wunderkinder hervorgebracht hat, die das Geschäft komplett dominieren: George Lucas und Steven Spielberg. Dominieren deshalb, weil die beiden die damals fünf erfolgreichsten Filme aller Zeiten hervorgebracht haben. Da wären Star Wars, Das Imperium schlägt zurück, Der weiße Hai, E.T. und als Gemeinschaftswerk Jäger des verlorenen Schatzes, also Indiana Jones.

Goldman bezeichnet diese Filme als „Comicheft-Filme“. Und er liefert auch gleich eine Definition dessen, was er mit solchen Comicheft-Filmen meint. Um auch das sinngemäß zu zitieren…

  1. In Comicheft-Filmen sterben nur die Bösen. Und sollte auch mal ein Guter abtreten, dann nur in heroischer Weise.
  2. Die Nachwirkung solch eines Films ist sehr gering – genauso wie Popcorn, das nicht sonderlich gehaltvoll ist.
  3. Der Comicheft-Film bezieht seine Einflüsse meist aus anderen Filmen, so wie das Indiana Jones mit den Abenteuer-Serials der 30er Jahre tut.
  4. Comicheft-Filme haben nichts mit dem wirklichen Leben zu tun.

Nur am Rande erwähnt: William Goldman erklärt seine Regeln ausgerechnet an dem Vietnam-Drama Die durch die Hölle gehen und dem Disney-Klassiker Bambi. Die durch die Hölle gehen hält er für einen Comicheft-Film, während Bambi „ein beängstigendes Gefühl von Realität“ ausstrahlt. Hut ab.

„Wenn die Duschszene in Psycho der Schocker der sechziger Jahre gewesen ist, und für mich ist das so, dann war das Äquivalent der gesamten vierziger Jahre die Szene, als Bambis Mutter stirbt.“ – William Goldman zum Film Nicht-Comicheft-Film Bambi

Damals und heute – Comic contra Qualität

Die Entwicklung, die Goldman nun beobachtet, ist folgende: Die wesentlichen Filme, die im Sommer 1982 ins Kino kommen, sind durch die Bank Comicheft-Filme. Conan der Barbar, Rocky III, Poltergeist, Tote tragen keine Karos, Annie, Star Trek II, E.T., Grease 2, Blade Runner, John Carpenters Ding aus einer anderen Welt, Megaforce und Tron. Jetzt liegt Goldman triumphal daneben, wenn er diese Reihe von Filmen mit den Worten einleitet: „Bis Sie dies lesen, werden die meisten hoffentlich dem Vergessen anheim gefallen sein.“ Aber man muss ihm zumindest zugute halten, dass er selbst solche späteren Kultfilme wie Blade Runner oder Das Ding zum damaligen Zeitpunkt noch nicht gesehen hatte und dass der Replikantenjäger allenfalls optisch wie ein verfilmter Comic wirkt.

Allerdings zieht William Goldman auch den Vergleich mit den wesentlichen Filmen, die zehn oder zwanzig Jahre vorher ins Kino gekommen waren. Also Lawrence von Arabien, Der Gefangene von Alcatraz, der Mann, der Liberty Valance erschoss, Lolita, Der Pate, Beim Sterben ist jeder der erste, Jeremiah Johnson oder Schlachthof 5. Offensichtlich allesamt keine Comicheft-Filme.

Drehbuch zu Butch Cassidy und Sundance Kid
Das Drehbuch: Goldmans Buch beschäftigt sich nicht nur mit der Branche, sondern auch damit, ein Drehbuch zu schreiben. So enthalten die aktuelleren Ausgaben auch das komplette Skript zu Butch Cassidy und Sundance Kid und eine anschließende kritische Analyse von Goldman.

Der Bruch mit alten Traditionen

Goldman fährt fort: Aufgrund von Der weiße Hai und Star Wars haben Studiomanager mit einer alten Tradition gebrochen. In früheren Zeiten hätten sie pro Jahr ein gewisses Spektrum von Filmen ins Kino gebracht. Filme, von denen sie wussten, dass einige Nieten sein würden, dass einige profitabel sein würden und – das ist der Kern des Ganzen – dass einige wenige die Art von Filmen sein würden, auf die sie stolz sein konnten. Doch neuerdings grübelten die Studiomanager nur noch darüber, wie sie Star Wars den Rang ablaufen können. Goldman räumt zwar ein, dass das letztlich ihr Job ist. Aber sie hätten damit aufgehört, die Profite auch in eine Reihe anderer – also gehaltvollerer – Filme zu reinvestieren.

„Demnach können wir uns gegenwärtig getrost auf weitere sieben Star Wars-Folgen und ein halbes Dutzend Abenteuerfilme mit Indiana Jones einstellen. Es könnte durchaus sein, dass wir gegen Ende des Jahrzehnts E.T. Meets Luke Skywalker zu sehen bekommen.“ – William Goldman über den Erfolg von Popcornfilmen

Wie gesagt: Wir schreiben heute das Jahr 2018, und Filmfans bemängeln unverändert die fehlende Risikofreude und Kreativität in Hollywood. Es gibt einige Filmserien, also Franchises, die sehr zuverlässig Unmengen von Geld einspielen, während jeder originäre Film – ob nun ein Comicheft-Film im Sinne von William Goldman oder eben ein Film über das echte Leben – ein Risiko darstellt. Bemerkenswert daran finde ich allerdings, dass diese Kritik heute von einer Generation Filmfans vorgebracht wird, die in den 1980er Jahren aufgewachsen ist. Die ihre Filmleidenschaft also dank Fortsetzungs- und Comicheft-Filmen entdeckt hat. Die Kritik gleicht ein bisschen der ewigen Kritik an der Jugend, die heute in beinahe dem gleichen Wortlaut von älteren Menschen vorgebracht wird wie vor Tausenden von Jahren bei den Sumerern und Griechen.

Wie William Goldman George Miller wütend macht

William Goldman: Wer hat hier gelogen?
Standardwerk Nr. 2: Goldmans Fortsetzung seines Hollywood-Buchs aus dem Jahr 2000 namens „Wer hat hier gelogen?“. Dort kriegt ganz nebenbei der Fortsetzungsfilm sein Fett weg.

Apropos Fortsetzungen… In seinem zweiten großen Werk über Hollywood namens „Wer hat hier gelogen?“ aus dem Jahr 2000 widmet sich Goldman noch einmal dem Fortsetzungsfilm. Er fokussiert sich dabei – trotz des zeitlichen Abstands zum Erstling – erneut auf Lucas und Spielberg. Denn diese waren zum damaligen Zeitpunkt die beiden reichsten Menschen in Hollywood und die beiden Filmschaffenden mit den meisten Fortsetzungen in ihrer Filmografie. Lucas hatte kurz zuvor Star Wars Episode I ins Kino gebracht und Spielberg im Laufe der Jahre viele Fortsetzungen wie Gremlins 2 oder Zurück in die Zukunft II und III produziert. Goldman findet auch eine ganz direkte Bezeichnung für Fortsetzungen: Hurenfilme.

Hurenfilme, so William Goldman, dienen einzig und allein dem Zweck, Geld zu verdienen. Da lässt er auch keine Gegenrede zu. Er selbst habe auch schon Fortsetzungen produziert, aber eben fürs Geld. Allerdings: Goldman erzählt auch, wie er einmal den Mad Max-Regisseur George Miller getroffen und ihm seine Hurenfilm-Theorie unterbreitet hatte. Und Miller hatte entrüstet aufgeschrien. Immerhin war er zum damaligen Zeitpunkt auch der Regisseur von Mad Max 2, und er erklärte: „Für die erste Folge standen mir nur sehr begrenzte Geldmittel zur Verfügung, und ich habe den zweiten Teil gemacht, weil ich hoffte, es diesmal so hinzukriegen, wie es mir schon beim ersten Teil vorschwebte.“ Goldman reagiert darauf nur konsequent: Mad Max 2, erzählt er, ist die einzige Fortsetzung, die besser ist als das Original. Was noch nicht mal auf Der Pate 2 zutrifft, so Goldman.

„Die Leute führen als Rechtfertigung für solche Hurerei allerlei Unsinn an. Ich weiß noch, dass ich den Leuten erzählt habe, es hätte da noch so viel Interessantes über Butch und Sundance zu erzählen gegeben… […] Wundervolles neues Material. Quatsch. Da sprach die Hure aus mir.“ – William Goldman über Fortsetzungen

Ich sage ja: William Goldman ist lesenswert.

William Goldmans Bücher über Hollywood
Lesenswert: Die beiden „Standardwerke“ über Hollywood von William Goldman.
Die Anfänge – und das Lächeln der anderen


Werden erfolgreiche Kreative als erfolgreiche Kreative geboren? Einige vielleicht, wenn man auf die Filmbranche schaut. Zumindest haben sie es etwas einfacher. Colin Hanks zum Beispiel oder Emma Roberts, Max Landis oder Jake Kasdan oder Jason Reitman oder… Weil ihre Eltern oder näheren Verwandten es in der Industrie schon zu etwas gebracht haben. William Goldman war nicht so ein Fall. Mit Blick auf seinen Tod am 16. November 2018 ist eine kurze Passage aus „Das Hollywood-Geschäft“ ganz interessant. Diese schlägt den zeitlichen Bogen hin zu den Anfängen und handelt von einem jungen William Goldman. Der hat gerade die Schule absolviert und will auf das Oberlin College in Ohio gehen. Sein Berufswunsch: Schriftsteller. Doch immer wenn er diesen Wunsch äußert, erntet er nur eine Reaktion: Schriftsteller ist kein ernstzunehmender Beruf. Das Scheitern ist vorprogrammiert. Auf einer Party lässt ihn sogar ein Mädchen stehen, als sei er ein Aussätziger.


„Ich glaube“, erzählt William Goldman im Buch, „den meisten Leuten ist – warum auch? – gar nicht bewusst, wie viel erniedrigenden Unsinn man sich gefallen lassen muss, wenn man einen künstlerischen Beruf anstrebt. Ich meine, wenn man ein Medizinstudium anfangen will, dann kann man das auch erhobenen Hauptes sagen. Oder wenn man Bankier werden oder ins Versicherungsgeschäft einsteigen oder den Familienbetrieb übernehmen will – alles kein Problem.“ Aber Schriftsteller? Es war sicherlich hart, aber richtig, dass sich der junge William Goldman nicht beirren ließ. Zumal ausgerechnet er im Schreibseminar auf dem College immer die schlechtesten Noten haben sollte. Er starb als einer der bedeutendsten Drehbuchautoren, als erfolgreicher Romanautor – und nicht zuletzt als wohlhabender Mann.

Wer selbst mal reinschmökern will, wird hier fündig:

 

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