Si vis pacem para bellum: Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor. – Das Zitat geht schon auf Platon zurück. Für den neuen John Wick-Film ist das aber nur ein kleines martialisches Wortspiel. Ok, genug mit Bildung, kommen wir zum Film…
Es gibt da so einen launigen kleinen Dialog. Ich glaube, der stammt aus den 80ern. Jedenfalls hatte er amerikanische Actionfilme und Actionserien zum Thema und lautete etwa so: „Warum ist denn jetzt die Tankstelle explodiert?“ – „Was sollte sie denn sonst tun, dafür sind Tankstellen schließlich da!“ Der Spruch offenbart ein geradezu entwaffnendes Verständnis vom Genre. Denn er sagt: „Lieber Schlaumeier, komm mir hier gefälligst nicht mit Logik. Das da ist ein amerikanischer Actionfilm, da herrschen andere Regeln!“ Der dritte Teil der John Wick-Reihe überträgt diese Logik überaus eindrucksvoll von der Tankstelle auf den menschlichen Schädel. Jedenfalls ist der Film sehr kreativ darin, die Köpfe von Wicks Gegnern mit Kugeln, Messern, Äxten, Schwertern, ja, sogar mit Büchern zu penetrieren.
Es werden Kiefer gebrochen, Augen ausgestochen und Gesichtshälften weggeballert, dass es eine wahre Freude ist. Und wem das zu rüde ist, dem sei gesagt: „Ja, wozu ist der menschliche Schädel denn sonst da!“
Vom Thrill und von der Optik
John Wick steht wohl wie keine andere Actionreihe der vergangenen Jahre für ein wahres Ballett des gegenseitigen Abschlachtens. Bereits im ersten Teil setzte es unzählige Kampfszenen, die vorzugsweise darin mündeten, dass Keanu Reeves seinen Gegnern aus nächster Nähe eine Pistole vor das Gesicht hielt und abdrückte. Der dritte Teil ist sich dieser Tradition bewusst. Was sich aber verändert hat: Zum Auftakt der Reihe mochte man vielleicht noch die leise Kritik äußern, dass die Action zwar schön anzuschauen ist, aber den berühmten Thrill vermissen lässt. Also das Gefühl, dass es dem Held auch mal an den Kragen gehen könnte – so dass man „mitfiebert“. Das neueste Kapitel im „Buch Wick“ ist längst über solche Kritik erhaben. Man schaut nicht, um mitzufiebern. Sondern um zu staunen und zu schwelgen, welch faszinierende Schönheit von der kunstvoll fotografierten Beschädigung des menschlichen Körpers ausgehen kann.
So erinnert John Wick 3 – oder im vollen Titel John Wick: Kapitel 3 – Parabellum – noch ein bisschen mehr als seine Vorgänger an den Altmeister, den Mozart der Zerstörung, der den Nahkampf mit Feuerwaffen so berühmt gemacht hatte: nämlich an John Woo. Auch bei ihm war es schrecklich schön anzuschauen, wie seine Helden mit wehenden Mänteln und vor explodierender Kulisse Pirouetten drehten, nur um dem Gegner eine Pistole in den Bauch zu drücken und ein ganzes Magazin darin zu entleeren. Und insofern ist John Wick eigentlich schon ein richtig altmodischer Actionfilm. Doch er weiß auch, dass der dritte Teil einer Reihe noch etwas mehr bieten muss als bisher. Und so reichert er das übliche Hauen und Schießen um zwei Komponenten an.
Worldbuilding light
Die eine Komponente wäre sein Killer-Szenario. Von Teil 1 über Teil 2 bis zu Teil 3 entwerfen und erweitern die Macher der Reihe eine so absurde wie faszinierende Welt voller Auftragsmörder mit ihren eigenen Regeln und eigenen Strukturen jenseits der normal erscheinenden Welt. In New York, so scheint es, gibt es sowieso keine normalen Menschen mehr. Jeder lebt in irgendeiner Form vom gegenseitigen Töten und nach dem Kodex einer diffus angedeuteten „hohen Kammer“. Das geht soweit, dass es selbst an der Grand Central Station keinen der unzähligen Passanten mehr juckt, wenn mal eben jemand erstochen und entsorgt wird. Das Worldbuilding in John Wick ist sehr gut darin, mehr anzudeuten als zu erklären, so dass man gerne auf Erkundungstour geht in Wicks Welt.
Die andere Komponente wäre der fließende atmosphärische Wandel. Verkaufte sich John Wick 1 als handgemachter Actionfilm, was er realistisch betrachtet nur in Ansätzen war, bekam John Wick 2 mehr und mehr die Züge eines Comics mit immer absurderen Situationen und immer schrägeren Gegnern. John Wick 3 erweitert diesen Comic-Touch jetzt um das Flair des Computerspiels. Wenn sich Keanu Reeves in Marokko zusammen mit Halle Berry durch eine Unmenge an Kanonenfutter arbeitet und Frau Berry zusätzlich noch zwei gepanzerte Schäferhunde als Waffe einsetzt, erinnert das unheimlich an einen Shooter im Kooperationsmodus mit Power-up in Hundeform. Im Gebrauchshunde-Sportverein mag vielleicht der eine oder andere jubeln. Als Tierfreund sollte man das aber einfach ignorieren und sich an der minutenlangen Dynamik des Gefilmten erfreuen.
Dramaturgie nach Waffengattung
Spätestens in der überbordenden Finalschlacht, also im legendären Hotel Continental, beugt sich die Dramaturgie vollkommen der verwendeten Waffengattung. Level 1: Pistolen. Level 2: Shotguns. Dann Level 3: Nahkampf. Und schließlich Level 4: Schwerter. Alles schön Schritt für Schritt aufgebaut und abgearbeitet. Das ist keineswegs kritisch gemeint, denn John Wick war und ist weniger die Geschichte eines Killers als vielmehr die Anatomie des Kampfes. Regisseur Chad Stahelski hat lange genug als Stuntmen gearbeitet, um aus dem gesamten Actionfundus Hollywoods (und Hongkongs) zu schöpfen, ihn zu zitieren und fortzuschreiben. Und das tut er auch so begeistert, dass jede einzelne Actionsequenz beinahe ein Tickchen zu lang wirkt. Doch für das Auge wird umso mehr geboten.
Die Rückkehr des Mark Dacascos
Wenn es innerhalb dieses eigenen kleinen Actionkosmos etwas zu bemängeln gibt, dann vielleicht das: John Wick 3 läuft endgültig Gefahr, einfach zu viele Kopfschüsse pro Minute zu präsentieren. Und: Ausgerechnet die Rückkehr von Mark Dacascos ins Kino hätte in der Charakterzeichnung ein bisschen stringenter und in den Kämpfen ein bisschen spektakulärer ausfallen dürfen. Der Mann ist immerhin Kult. Und er hatte sichtlich Bock auf den Job. Freuen wir uns deshalb auf Teil 4 und hoffen darauf, dass den Machern noch genug einfällt, um die Action interessant, aber nicht zu abgehoben zu gestalten.
In Kürze: John Wick 3 ist noch mehr als seine Vorgänger ein Action-Ballett im Stil eines John Woo. Dabei gelingt es ihm, die Action aus Teil 1 und 2 zu steigern, ohne sie zu abgehoben erscheinen zu lassen. Also ein rundum gelungener Zugang im kleinen Wick-Auftragskiller-Kosmos mit nur kleineren Schwächen.
Bewertung: 8 / 10
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