Juchhu! Endlich mal kein Marvel-Fortsetzungs-Franchise-Origin-Spin-off-Gedöns. Die Romanverfilmung Mortal Engines ist was Neues! Das will der geneigte Kino-Fan doch! Oder nicht? Naja, mit dem Neuen ist das so eine Sache, und mit dem Wollen auch…

Es herrscht Krieg. Der Widerstand, dessen Flugzeuge von einem gut befestigten Stützpunkt aus angreifen, haben schon mehrere Siege gegen die bösen fahrenden Raubstädte errungen.

Der jungen Frau Hester ist es gelungen, den Abschaltmechanismus für eine absolute Waffe der Raubstadt London in ihren Besitz zu bringen, M.E.D.U.S.A., eine Waffe, deren Feuerkraft ausreicht, um ganze Städte zu vernichten…

Mortal Engines Blu-Ray Steelbook
Große Maschine: Mortal Engines spielt – der Name ist Programm – in einer Welt der Mechanik mit reichlich Retro-Feeling. Der Film selbst ist unlängst im Steelbook erschienen

Kommt das irgendwie bekannt vor? Ja, Mortal Engines wuppt storytechnisch schon mehr als einen Star Wars-Moment auf die große Leinwand. Insbesondere im Finale mag sich der Zuschauer die Augen reiben und sich fragen: So oder so ähnlich habe ich das Ganze doch schon mal im Krieg der Sterne gesehen? Nur dass es hier die Stadt London auf überdimensional großen Rädern hat, die durch die Landschaft fährt und alles auf ihrem Weg plattmacht. Und dass es anstelle einer Handvoll X- und Y-Wings ein paar bunte Fluggefährte hat. Ansonsten ist alles beim Alten: Die Superwaffe der Bösen rückt an, um die Guten in ihre Atome zu zerlegen. Eine kleine Schar wackerer Guter fliegt los, um die Superwaffe lahmzulegen. Kleiner Spoiler vorab: Einen Grabenflug gibt es dabei zum Glück nicht.

Mittendrin statt nur dabei…

Mortal Engines leiht sich noch eine große Stärke beim Sternenkrieg, nämlich die Erzählweise: Star Wars hatte seine Zuschauer anno 1977 einfach mitten hineingeworfen in seine Welt, ohne groß Zusammenhänge und Prinzipien zu erklären. Der Zuschauer durfte sich selbst zurechtfinden zwischen bösem Imperium, Tatooine, Todesstern, C-3PO und Jedi mit lustigen Namen wie Obi-Wan Kenobi. Mortal Engines macht das ganz ähnlich: Man findet sich in einer Welt wieder, in der die Erde verwüstet ist und große Städte mit großen Rädern kleine Städte mit kleineren Rädern jagen. Es gibt auch noch irgendwelche Länder im Osten, aber die werden nur erwähnt. Was der Zuschauer dann für sich daraus macht, das ist ihm überlassen.

Mortal Engines Score CD
Vorsicht, große mechanische Klauen! Oder zumindest eine nette Kulisse für den Score von Tom Holkenborg, auch bekannt als Junkie XL. Wie sich die Musik beschreiben lässt? Man stelle sich vor, Wagner träfe auf Mad Max.

Und sofern der sich auf das schräge Szenario einlässt und etwas Sinn für Steampunk – oder besser: für Dieselpunk – mitbringt, wird er an Mortal Engines auch sicher seinen Spaß haben. Produzent und Drehbuch-Koautor Peter Jackson hat sich nicht lumpen lassen und die Welt der fahrenden Städte so detailverliebt in Filmform gebracht, wie er das schon beim Herrn der Ringe und beim Hobbit gemacht hat. In jedem Bild gibt es tolle Sets und genauso tolle Hintergründe aus dem Computer zu bestaunen. Dabei wecken die Panorama-Aufnahmen der zerfurchten Landschaft mit den riesigen Radspuren der Städte wohlige Erinnerungen an so manche Matte Paintings aus den 80ern. Das bringt die Fantasie auf Trab, was denn in dieser postapokalyptischen und archaischen Welt wohl noch so alles abgeht.

Brexit in der Endzeit

Hinzu kommen ein paar nette Seitenhiebe in der Story. Das beschränkt sich nicht allein auf kleine Gimmicks, wenn unsere heutige Popkultur im Museum von London historisch leicht schräg eingeordnet wird. Viel reizvoller sind einige kleine Seitenhiebe auf aktuelle politische Entwicklungen. Etwa wenn der Londoner Bürgermeister bedauert, die britische Insel verlassen zu haben (Stichwort Brexit) oder wenn Kinder nach ihrer Ankunft in der großen Stadt von ihren Eltern getrennt werden (Grüße an Mr. Trump). Auf der Haben-Seite stehen zudem die unverbrauchten Darsteller: Leute wie die Isländerin Hera Hilmar oder der Ire Robert Sheehan wirken nicht nur angenehm frisch in ihren Hauptrollen, sie funktionieren auch ziemlich gut zusammen. Ein großes Plus dabei ist übrigens der von Stephen Lang verkörperte und ambivalent gezeichnete Shrike.

Mortal Engines Blu.Ray und Soundtrack
Ein Weg nach nirgendwo: Im Film Mortal Engines kommen zwar keine Züge vor, aber stimmungsmäßig versprüht er starke Steampunk-Vibes.

All that said… Mortal Engines hat einen recht markanten Schwachpunkt. Und das ist die Laufzeit. Der Film geht zwar annähernd 130 Minuten, aber das reicht spürbar nicht aus, einen Roman in einen Film zu drücken. Zu viele Figuren, zu viele Konstellationen und dann noch eine Story, die vernünftig zu Ende erzählt werden will… Fängt der Film noch in einem hohen, aber angenehmen Tempo an, geht es spätestens im letzten Drittel zu sehr hopplahopp. Zu gerne würde der Zuschauer etwas in der Welt des Widerstands verbleiben und sie erkunden, doch schon geht es weiter in die finale Schlacht, erst in der Luft, dann in der Londoner St. Paul´s Cathedral. Jedes Bild schreit da: Epos! Nur gefühlsmäßig wirkt es eher so wie: Fast Food! Da wären mindestens 20 Minuten Laufzeit mehr oder wenigstens eine Expanded Edition fürs Heimkino nach Herr der Ringe-Vorbild angemessen gewesen.

Steampunk – Teil 1: Vom Dampf und vom Punk…


Riesige Städte auf riesigen Rädern, angetrieben von riesigen Motoren und Maschinen. Es raucht, es zischt, doch moderne Technik gibt´s nischt. Oder so ähnlich. Jedenfalls dürfte dem Fantasy- und Science-Fiction-Fan beim Anblick von Mortal Engines sofort ein Begriff einfallen: Steampunk. Aber trifft es das? Steampunk besitzt eigentlich zwei literarische Wurzeln. Zum einen sind das die Werke von H.G. Wells und Jules Verne, die eine Zukunft aus Sicht des Viktorianischen Zeitalters entwarfen, als Dampfmaschinen und Elektrizität die Industrialisierung einläuteten und allgemein ein großer Optimismus auf eine bessere, weil technisierte Welt herrschte. Zum anderen ist da der Cyberpunk, der Anfang der 1980er entstand und deutlich pessimistischer daherkam. Das Vertrauen in die Technik ist dort enttäuscht, große Konzerne steuern das Wohl und Wehe der Gesellschaft allein aus kommerzieller Motivation. Die Punks sind in dieser Welt diejenigen, die gegen die bestehende Ordnung aufbegehren. Steampunk zeichnet also eine dampfgetriebene futuristische Welt im Retro-Look. Aber passt das so genau auf Mortal Engines?

Im Schnelldurchlauf zum Flop

Dass Peter Jackson hier im Gegensatz zu seinem Tolkien-Zyklus eher den Schnelldurchlauf gewählt hat, ist aber wohl einem veränderten Kinomarkt geschuldet. Mortal Engines ist keine bekannte Marke gewesen wie etwa Marvel. Da wäre eine lange Laufzeit nur ein zusätzliches Risiko für ein erfolgreiches Box Office. Hat aber so oder so nichts genützt: Mortal Engines ist an den Kinokassen erwartungsgemäß abgesoffen. Was sehr schade ist, denn die Welt der insgesamt vier Romanvorlagen von Reeve wäre sicherlich auch in ein paar Fortsetzungen schön anzuschauen gewesen – die nun wohl leider ausbleiben werden.

Mortal Engines Steelbook Blu-Ray
Karge Landschaft: Die Welt in Mortal Engines ist weitestgehend zerstört. Erst durch einen großen Krieg, dann durch die riesigen Furchen, welche die fahrenden Städte hinterlassen.
Mortal Engines / Darum geht´s: Mortal Engines ist eigentlich Young Adult-Futter. Soll heißen: Menschen, die gerade geschlechtsreif geworden sind, legen sich mit einem übermächtigen Regime an – anstatt brav BWL zu studieren. Sturm und Drang und Hormone also, mit Dystopie gemixt und trotzdem ohne Akne. Aber genug gescherzt: In Mortal Engines finden wir uns in einer dystopischen Zukunft wieder, in der Rohstoffe knapp und Städte auf der Jagd nach eben diesen mobil geworden sind. Die junge Hester will sich an dem Mörder ihrer Mutter rächen, der zufällig der Obermotz von London ist und eine Superwaffe entwickelt. Dabei stolpert sie über den ebenso jungen Tom, der charakterlich genau das Gegenteil von Hester ist. Aber wie es so oft mit Gegensätzen ist… Nun ja, reizvoll ist am Szenario übrigens noch die Gesellschaftsordnung: Ausgerechnet die Archäologen haben das Sagen, weil sie die Technik ihrer Vorfahren ausbuddeln und verstehen. Die Ingenieure dagegen sind eine ziemlich skrupellose Bande. Wie im echten Leben halt.

In Kürze: Mortal Engines ist eine bildgewaltige und fantasievolle Umsetzung der Romanvorlage von Philip Reeve mit angenehm unverbrauchten und sympathischen Darstellern. Der Film hat viel auf der Haben-Seite und eine große Stärke: Er schmeißt seine Zuschauer einfach rein in seine dystopische und schräge Steampunk-Welt. Allerdings ist er etwas zu kurz geraten und wirkt vor allem im letzten Drittel viel zu gehetzt für ein gelungenes Epos. Da wäre eine längere Laufzeit wünschenswert gewesen.
Bewertung: 7 / 10

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