Stirb langsam-Klone unter sich: Skyscraper vs. Sudden Death
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Man kann es drehen und wenden, wie man will: Skyscraper mit Dwayne Johnson riecht schon verdammt nach Stirb langsam. Wie macht er sich also als Stirb langsam-Klon? Ein etwas anderer Vergleich…
Mal ein kleines Rätsel für die Nerds – welcher Film ist gemeint: Stirb langsam auf einem Kriegsschiff? Genau, Alarmstufe: Rot mit Steven Seagal. Nächster: Stirb langsam in den Bergen? Richtig, Cliffhanger mit Sylvester Stallone. Nächster: Stirb langsam auf Alcatraz? Ja, The Rock mit Nicolas Cage. Und: Stirb langsam im Flugzeug? Mmh, entweder Air Force One mit Harrison Ford oder Einsame Entscheidung mit Kurt Russell oder Passagier 57 mit Wesley Snipes oder Con Air, wieder mit Nic Cage. Wir können also wohl festhalten: Der Film Stirb langsam mit Bruce Willis hat vor genau 30 Jahren ein eigenes Sub-Genre begründet. Mit einer einfachen Formel, die da lautet: Ein Mann alleine auf verlorenem Posten gegen einen Haufen Bösewichter an einem klar definierten Handlungsort. Beim Original war es ein Hochhaus.
Nun kommt mit Skyscraper der neueste Eintrag in der Liste der Stirb langsam-Klone. Und auch der lässt sich einfach zusammenfassen, nämlich: Stirb langsam in einem… tja, in einem Hochhaus. Klingt ironisch, ist aber so. Man kann Skyscraper zugute halten, dass das Hochhaus ein echt hohes Hochhaus ist. Und dieses hohe Hochhaus brennt auch noch. Und Dwayne Johnson spielt mit, also Hollywoods Allzweckwaffe in Sachen Popcorn-Unterhaltung. Trotzdem: Johnson alleine auf verlorenem Posten gegen einen Haufen Bösewichter in einem Hochhaus, das klingt angesichts einer langen Reihe mehr oder weniger gelungener Actionfilme mit dem Prädikat „langsam sterben“ ein bisschen zu einfach. Wenn Skyscraper also zum erlauchten Reigen der Stirb langsam-Klone gehören will, dann soll er sich zunächst beweisen. Nämlich gegen einen anderen Klon.
Der andere Stirb langsam-Klon
Welcher das ist? Ich gebe einen Tipp: Stirb langsam im Eishockey-Stadion. Exakt, gemeint ist Sudden Death. Der kam 1995 ins Kino und machte keinen Hehl daraus, dass er dem großen Vorbild nacheifern wollte. Auf dem Papier sah das sicherlich auch ganz vielversprechend aus: Es gibt nicht nur eine Handvoll Geiseln wie bei Stirb langsam, darunter die Frau des Helden. Sondern es gibt gleich ein ganzes Stadion voller Geiseln, darunter die Kinder des Helden. Das war´s auch eigentlich schon. Drehbuch: Gene „Police Academy“ Quintano. Oha! Na, immerhin war Regie-Veteran Peter Hyams am Werk. Im Doppel mit dem belgischen Haudrauf-Export Jean-Claude Van Damme. Beide waren ein bewährtes Gespann, hatten sie doch ein Jahr zuvor den launigen Time Cop gedreht.
Wenn Skyscraper also auf Stirb langsam machen will, dann muss er erst mal an Sudden Death vorbei. Grund genug, etwas genauer hinzuschauen…
Der erste Kampf
Skyscraper: verliert keine Zeit. Nach knapp 23 Minuten gibt´s zum ersten Mal auf die Omme. Übrigens ein ganz netter Kampf, aber auch etwas kurz. Der Ort des Geschehens: kein Hochhaus, sondern eine Wohnung.
Sudden Death: lässt sich Zeit. Bis Van Damme zum ersten Roundhouse-Kick ansetzt, vergehen 37 Minuten. Bonus für etwas Selbstironie, denn Van Damme tritt in einer Großküche gegen ein Eishockey-Maskottchen an.
Die USP
Skyscraper: höher. Und heißer. Skyscraper spielt in einem Hochhaus, genauso wie Stirb langsam. Nur ist es dieses Mal das höchste Hochhaus der Welt, und es brennt. Das Plus an Höhe bringt effektiv aber nichts. Denn erstens spielt der Film bei Nacht, man sieht also gar nichts vom Panorama. Und zweitens wirkt der „Blick nach unten“ nicht höher als bei anderen Hochhäusern. Das sorgt zwar für Kribbeln im Magen, aber die Kraxelei am Burj Khalifa im vierten Mission: Impossible war eindrucksvoller.
Sudden Death: größer. Und mehr. Sudden Death präsentiert kein kleines Grüppchen an Geiseln, sondern gleich ein ganzes Eishockey-Stadion nebst US-Vizepräsident. Doof nur, dass die Besucher im Stadion weiter dem Eishockey-Spiel folgen und von Geiselnahme sowie tickenden Bomben gar nichts mitbekommen. Die Leute gehen ganz normal aufs Klo, bestellen Hot Dogs und stören sich auch nicht groß daran, wenn Van Damme mal zwischendurch über einige Sitzreihen stolpert.
Der Bösewicht
Skyscraper: Wer? Ja, stimmt, es hat da einen Bösewicht. Glaube ich. Hat das Charisma eines Hausmeisters. Und was will der noch gleich? Kein Geld, denn das hat er schon vorher gekriegt. Eigentlich will der nur einen Fehler ausbügeln, der ihm unterlaufen ist, als er das Geld bekam, und deshalb steckt er gleich das Hochhaus in Brand, um… Ach, das ist eigentlich völlig egal.
Sudden Death: Powers Boothe! Noch Fragen? Der Mann kam fies auf die Welt – nur um noch fieser zu werden. Ein sadistischer Drecksack, der böse Oneliner im Sekundentakt raushaut und kaltblütig Frauen (und beinahe Kinder) um die Ecke bringt. Ein Kerlchen, das jedem die Schau stiehlt, selbst wenn es nur auf der Couch rumlümmelt. Ihm geht´s natürlich auch um Geld.
Der Held
Skyscraper: Johnson spielt einen Ex-Spezialeinheit-Typen, der ein Ex-Marine gewesen ist. Das erklärt zumindest, warum er mit Waffen umgehen und die Fäuste fliegen lassen kann. Mit viel gutem Willen erklärt das auch, warum er die Sicherheitstechnik im Hochhaus versteht. Johnson spielt übrigens sympathisch und nicht überzogen selbstironisch. Das steht ihm hier ganz gut.
Sudden Death: Van Damme spielt einen Ex-Feuerwehrmann, der nun ein Brandinspektor ist. Das erklärt nicht, warum er in Kampfkünsten bewandert ist. Und es wirft die Frage auf, ob Brandinspektoren Bomben mit Fernzünder entschärfen können. Das Glühbirnen-Wechseln nehme ich ihm aber ab. Ansonsten gibt Van Dammes Rolle auch wenig zum Schauspielern her.
Sein Handycap
Skyscraper: Ein Einsatz ging schief, seitdem humpelt Johnson mit einer Unterschenkel-Prothese durch die Gegend. Diese Prothese wird im Film auch ausgiebig genutzt, mal als Nahkampfwaffe, mal als Kletterwerkzeug.
Sudden Death: Ein Einsatz ging schief, seitdem arbeitet Van Damme nicht mehr als Feuerwehrmann. That´s it. Von Trauma keine Spur. Immerhin: Wäre er nicht Brandinspektor, wäre er nicht zur falschen Zeit am falschen Ort.
Der Gewaltfaktor
Skyscraper: harmlos. Ok, ein paar Leutchen werden erschossen, aber das geht schnell und recht unblutig. Johnson soll halt auch Teenies ins Kino locken.
Sudden Death: Kann sich sehen lassen. Fröhlicher Massenmord mit hohem Kaltblütigkeits- und Kopfschuss-Faktor. Hier machen die Bösen keine Gefangenen.
Die kreativste Tötungsart
Skyscraper: Man sprenge ein Loch im obersten Stockwerk eines Wolkenkratzers in den Boden, werfe dort einen Bösen herunter und schicke ihm noch eine Handgranate hinterher, auf dass es ihn in der Luft zerreißen möge. Wirkt übrigens ein bisschen von James Bonds Diamantenfieber inspiriert (Bösewicht geht mit Sprengsatz über Bord).
Sudden Death: Ich bin unschlüssig. Entweder ist es die Strangulation des Eishockey-Maskottchens durch den Geschirrspüler oder der Hähnchenknochen im Hals des nächsten Schergen. Ich tendiere zu dem Geschirrspüler. Beides wirkt übrigens ein bisschen von Stirb langsam 2 inspiriert (Paketband-Walze und Eiszapfen im Auge).
Der Twist
Skyscraper: Dem Verräter sieht man den Verräter an der Nasenspitze an, sobald er durch die Tür kommt. Sehr vorhersehbar. Immerhin handelt Skyscraper die Nummer schnell ab, bevor es an die eigentliche Story geht.
Sudden Death: Der böse Verräter ist zunächst wirklich nicht als böser Verräter zu erkennen. Kleine Überraschung also garantiert. Die Nummer verspricht sogar mal kurz etwas Suspense, doch in wirklich homöopathischen Dosen.
Der MacGyver-Faktor
Skyscraper: geht so. Johnson darf sich mal selbst verarzten, macht also mehr auf Rambo. Ansonsten gibt´s einen mal mehr, mal weniger gelungenen Running Gag mit Klebeband.
Sudden Death: recht hoch. Van Damme nimmt sich eine kleine Auszeit vom Terroristen-Töten und bastelt in der Werkstatt fröhlich Geschosse, Bomben und Flammenwerfer.
Der Nervige-Kinder-Faktor
Skyscraper: mittel. Johnson ist zwar Familienvater mit Junge und Mädchen. Aber die beiden sind angenehm ernsthaft in die Handlung eingebunden, nicht vollkommen hilflos und müssen auch nur wenige dumme Sprüche von sich geben. Übrigens: Im Finale muss das Mädchen gerettet werden.
Sudden Death: hoch. Van Damme ist geschiedener Familienvater mit Junge und Mädchen. Und meine Güte, der Junge ist die Fehlbesetzung des Jahrzehnts. Das Drehbuch lässt ihn dann auch noch doofe Sachen machen. Das Mädchen ist aber ganz niedlich und – Überraschung! – muss im Finale gerettet werden.
Die blödeste Szene
Skyscraper: Ich war davon ausgegangen, dass das der Sprung vom Kran ist, den man aus dem Trailer kennt. Aber nein, die ganze unrealistische Kletterei am Hochhaus ist zwar unrealistisch, aber wirklich spannend. Die blödeste Szene ist eine Familienszene. Johnson fragt seine Kinder: „Daddy liebt wen?“ Und wieder: „Daddy liebt wen?“ Und wieder… Argh…
Sudden Death: Ich bin unschlüssig. Van Damme nimmt sich eine weitere Auszeit vom Terroristen-Töten, ignoriert tickende Bomben und spielt mal eben eine Runde Eishockey. Aber nein, die Szene ist ganz charmant und passt zu den ironischen Ansätzen des Films. Ne, die blödeste Szene kommt am Ende: „Mein Daddy ist der Feuerwehrmann!“
Die Inszenierung
Skyscraper: routiniert. Regisseur Rawson Marshall Thurber bringt seine Story sauber auf und über die Bühne und bietet einiges – Trickschmiede Industrial Light & Magic sei dank – fürs Auge. Das alles ist nicht sonderlich innovativ, wartet aber mit einigen spannenden Sequenzen am Hochhaus auf.
Sudden Death: Klarer Punkt für Peter Hyams. Von der Plansequenz am Anfang über die dynamische Kameraführung in den Actionszenen bis hin zu den Lensflares (jawohl, wie in Stirb langsam und lange vor J.J. Abrams) bei den Szenen rund ums Stadion: Das Ding ist optisch echt schick gemacht.
Freier Bonus
Skyscraper: Neve Campbell. Von der Dame hat man lange nichts mehr gehört – völlig zu Unrecht. Tolle Frau. Und hier darf sie ein bisschen mehr spielen als das Weibchen an der Seite des Helden. Die Rolle hätte gerne noch etwas größer ausfallen dürfen.
Sudden Death: Peter Hyams. Und John Debney, der Komponist. Beide knüppeln die Handlung mit ihren jeweils eigenen Mitteln zügig nach vorne. Und jetzt bitte keine Kritik à la „Style over Substance“: Wir reden hier schließlich von einem Stirb langsam-Klon.
Ich muss sagen: Ich bin von Skyscraper positiv überrascht. Der Film erreicht zwar nicht die Sphären eines Stirb langsam. Aber er schlägt sich beachtlich. Meine Erwartungen waren ein laues Familienfilmchen im Actionfilm-Gewand mit ein paar abgedrehten Einfällen und ein paar altbekannten Klischees zu viel. Und wenn man meckern wollte, dann könnte man die auch finden. Aber Skyscraper liefert ein paar spannende Szenen im und vor allem am Hochhaus, und er nimmt sein ganzes Actionfilm-Brimborium ausreichend ernst. Insofern zieht er auf seine ganz eigene Weise locker mit Sudden Death gleich.
A bisserl Katastrophe geht allerweil
Allerdings muss man Skyscraper auch unter die Nase halten: Er mogelt. Der Streifen bedient sich nicht nur beim Actionfilm à la Stirb langsam, sondern genauso beim Katastrophenfilm, genauer: bei Irwin Allens Flammendes Inferno. Und von dort bezieht er eigentlich seine spannendsten Szenen. Denn genauso wie sich anno 1974 eine Riege von Hollywood-Stars durch einen brennenden Wolkenkratzer kämpfte, nutzt auch Skyscraper jede Gelegenheit, um seinen Helden abwechselnd in den Abgrund oder ins Feuer stürzen zu lassen (natürlich nur beinahe).
Eine Frage lässt sich abschließend leider nicht klären: Der geneigte Actionfan mittleren Alters greift auch heute noch zu Sudden Death, wenn ihm nach etwas Krachbumm mit Nostalgiefaktor ist. Der Film ist auch nicht besser als Stirb langsam, aber er ist nach 23 Jahren noch in relativ guter Erinnerung. Wie sieht das nun mit Skyscraper aus? Wird der in 23 Jahren ebenso gefragt sein? Ich nehme Wetten an…
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