Es wird einige Spieler gegeben haben, die nicht schlecht darüber staunten, was in Rockstars neuestem Streich von ihnen erwartet wurde. Anstatt genüsslich durch die Prärie zu reiten und ab und zu ein paar böse Jungs über den Haufen zu schießen, mussten sie alltägliche Dinge erledigen, um ihre Kumpanen bei Laune zu halten: vom Holzhacken über die Verpflegung bis hin zur Abgabe von „Steuern“. Und viele Aufgaben sind mit langwierigen Tätigkeiten verbunden. Klingt nach Arbeit, ist es auch. Was die Frage aufwirft: Ist Red Dead Redemption 2 noch ein spielenswertes Spiel?

Die Frage wird jeder Spieler anders beantworten. Ich kann für mich jedenfalls vermelden: ja. Red Dead Redemption 2 ist spielenswert.
Der Vorgänger hatte bereits eine überzeugende Welt geschaffen. Auch dort musste man Aufgaben erledigen, die nicht wirklich für das Hauptspiel notwendig waren. Allerdings fühlten sie sich auch nicht anders an als unzählige Zusatzaufgaben ähnlicher Spiele. Irgendwie erwartete man so etwas halt.

Viele der Kritikpunkte, die auf die lästigen Aufgaben im Spiel abzielen, kann man leicht entkräften. Nichts davon ist spielentscheidend, dafür verzichtet man aber auf einige Erleichterungen und kosmetische Verbesserungen.
Ohne Fleiß kein Preis

Red Dead Redemption 2 treibt diese Aufgaben noch ein bisschen weiter auf die Spitze. Klar, es gibt wieder Jagd- und Sammelaufgaben. Aber es gibt auch alltägliche Dinge zu erledigen. Und damit meine ich nicht die Rasur und das Haareschneiden – auch wenn beides überraschend viel Spaß macht. Die anfängliche Skepsis, die anschließende Bewältigung dieser vorhandenen Möglichkeiten und die daraus entstehenden Pflichten… führen schnell zu purem Spaß. Wenn man sich darauf einlassen kann. Das bestehende Drumherum macht viele nervigen Aufgaben wieder wett. Und vor allem haben auch die banalen Handlungen Auswirkungen, denn sie bieten einige Erleichterungen bei der Bewältigung des Spiels wie zum Beispiel die Schnellreise, die Verwaltung der eigenen Pferde, oder die allgemeine Stimmung der Figuren.

Entschließt man sich, die Pflichten und Aufgaben links liegen zu lassen, so kann man das Spiel ebenso absolvieren. Allerdings verpasst man somit einige unterhaltsame und überraschende Spielinhalte, die – Rockstar-typisch – der Hauptgeschichte in nichts nachstehen.

Die Magie der weiten Welt…

Sowieso die Geschichte… Open World-Spiele bergen immer das Risiko, dass sich die Spieler in ihnen verlieren und die eigentliche Story aus den Augen verlieren. Red Dead Redemption 2 verleitet zwar ebenso dazu, doch erinnert das Spiel immer wieder daran, dass da auch noch mehr auf den Helden vor dem Monitor wartet. So weisen die Kumpanen im Basislager auch mal darauf hin, dass da noch etwas zu erledigen ist, um die Geschichte voran zu treiben.

Besonders spannend war es, als ich tagelang (in Spieltagen) nicht zurück ins Camp kam. Plötzlich schaute Bill – ein Mitglied der Bande, zu der ich gehörte – vorbei und erkundigte sich nach meinem Befinden. Womit er mir den dezenten Hinweis gab, doch wieder zur eigentlichen Story zurück zu kehren. Natürlich ist jedem Einzelnen selbst überlassen, was er daraus macht.

Erst schießen, dann fragen. In Red Dead Redemption 2 ist dieser klassische Spruch eher fehl am Platz. Empathielose Pistoleros werden schnell die Härte des Gesetzes zu spüren bekommen, was wiederum die Handlung massiv aufhält. Also sollte man sich nichts selbst das Leben schwer machen.

Das bringt uns gleich zum nächsten Punkt. Ein Spiel wie Red Dead Redemption 2 lebt von seiner imaginären Welt. Das Hinzufügen von weiteren Möglichkeiten – und wenn sie noch so banal erscheinen – macht das Erlebnis echter, umfassender, greifbarer. Die Immersion ist immens. Auch die schier unendlichen Möglichkeiten, sich mit Kleidung und Ausrüstung auszustatten, sein Pferd anzupassen – inklusive individuell gestaltetem Sattel – tragen dazu bei. Für die Verbundenheit und das Abtauchen in diese Welt eigentlich unerlässlich. Schon mehrere Stunden habe ich damit verbracht, Arthur ein passendes Outfit zusammenzustellen. Mein Revolverheld soll ja auch eine gute Figur machen. Im wahren Leben habe ich schon nach einer halben Stunde keine Lust mehr, nach Klamotten zu suchen.

… und ihre Tücken

Man kann dem Spiel aber auch einige Schwächen vorwerfen. Die Steuerung ist sehr gewöhnungsbedürftig und sorgte dafür, dass ich zu Beginn mehrere Unschuldige ins Gras beißen ließ, obwohl ich sie nur grüßen wollte. Es bedarf mehrerer Stunden, um einigermaßen zurechtzukommen. Ja, auch das ist Arbeit, und diese ist nicht unbedingt spaßig. Auch das „Wanted-System“ ist im direkten Vergleich zum Vorgänger deutlich sensibler. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass man die Leute nur schief angucken musste, um sie schnurstracks zum nächsten Ordnungshüter laufen zu lassen.

Dass die Spielwelt, trotz ihrer enormen Vielfalt, irgendwann die schöne Fassade bröckeln lässt, ist unvermeidlich. Es ist beeindruckend, dass scheinbar jede Figur einen eigenen Tagesablauf besitzt, aber am Ende ist es nur Illusion. Besonders deutlich wird das bei tragenden Figuren, die nach Abschluss ihrer Aufgabe mit einem neuen Protokoll „resettet“ werden und plötzlich völlig anders agieren als bisher. Da drängt sich der Vergleich mit der Handlung in Westworld auf: Man ist Gast in dieser Welt und kann alles machen, was man möchte. So weit es die Regeln des Parks, äh, des Spiels halt zulassen.

Revolverheld mit/ohne Herz. Je nachdem wie ehrenhaft man durch die Welt streift, so unterschiedlich reagieren die Charaktere auf den Spieler. Das geht so weit, dass ganze Zwischensequenzen anders ablaufen und sogar anderes Personal bieten. Wer alles sehen will, muss das Spiel mindestens zweimal spielen.
Meisterwerk mit Ecken und Kanten

Red Dead Redemption 2 ist ein Spiel mit Makeln. Viele davon sind klein und lassen sich leicht wegwischen. Andere nerven nur. Man könnte nun sagen, dass es zum Realismus des Spiels beiträgt, da das wirkliche Leben auch oft nervig ist. Wahrscheinlich ist diese Herangehensweise aber zu hoch gegriffen. Trotz alledem hat es das Spiel verdient, gespielt zu werden. Zu viele Ideen und Geschichten stecken darin, die man erleben kann und die Stoff für unzählige Anekdoten bieten.

Denn eines ist sicher: Rockstar kann Geschichten erzählen. Egal ob es die Hauptstory ist, die erschreckend gut ausgearbeitet ist, oder ob es die vielen kleinen Nebenschauplätze sind, die sich durch Missionen oder einfach nur Notizen und Briefen ergeben. In allen stecken viel Arbeit und Ideenreichtum. Und alleine dafür lohnt es sich, in diese Welt des Wilden Westens einzutauchen, den Hut zu richten, den Colt zu holstern, das Pferd zu striegeln und Holz zu hacken.

Red Dead Redemption kam 2010 heraus und eroberte die Herzen der Konsolenspieler. Ganze acht Jahre später kam nun der Nachfolger auf den Markt. Allerdings nicht als Fortsetzung, sondern als Prequel. Die Geschichte setzt ein Jahrzehnt vor den Ereignissen des ersten Teils ein. Arthur Morgan ist der Protagonist und Teil der Bande um Dutch van der Linde. Genau, die Bande, deren verbliebene Mitglieder John Marston in Teil 1 zur Strecke bringen musste. Der ist übrigens auch dabei. Noch nicht so cool wie damals, aber das gehört zum Teil der Geschichte. Die zeigt sich erfreulicherweise als sehr gut auf den Vorgänger/Nachfolger abgestimmt. Keine wirklichen Logiklöcher sind auszumachen, und am Ende fügen sich beide Spiele perfekt zusammen. Erstaunlich, dass ein „Telespiel“ so etwas besser schafft, als so manche Hollywood-Produktion. Die New Yorker Spielefirma Rockstar nimmt sich dafür viel Zeit, liefert dafür aber auch einen Kracher.

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