Der Wahnsinn vor der Tür – H.P. Lovecraft Teil 2

Auch wenn viele von Lovecrafts Geschichten nach heutigen Standards eher als Kurzgeschichten durchgehen würden, so geben viele von ihnen doch genug Stoff her, um eine ordentliche Einzelveröffentlichung zu rechtfertigen. Nach Berge des Wahnsinns hat sich der FESTA-Verlag nun an Der Flüsterer im Dunkeln gemacht. Eine weitere Geschichte, die das Zeug hat, den Wahnsinn näher zu bringen…

Ich werde verfolgt!
Es ist keine paranoide Vermutung, sondern ich weiß, dass ich verfolgt werde. Hätte ich damals bloß nie dieses verdammte Buch gekauft. 

Einige Wochen nach dem Kauf erhielt ich ein mysteriöses Paket. Es war ohne Absender oder Poststempel versehen. Auch meine Adresse suchte ich vergebens. Einzig mein vollständiger Name, Frederic Alistair McBrine, stand in einer Ecke geschrieben. Schon zu diesem Zeitpunkt überkam mich ein unheilvolles Gefühl. Alistair wurde ich seit meiner Kindheit nicht mehr genannt. Niemand außer meinen Eltern kannte diesen Namen. Und die waren kurz nach meiner Geburt ums Leben gekommen!

Vorsichtig öffnete ich das Päckchen. Ich musste mich mit aller Kraft zusammenreißen, um es nicht fallen zu lassen. Schon die kleinste geöffnete Ecke gab mir schreckliche Gewissheit. In diesem Paket  befand sich ein weiteres Buch. All der Mut, den ich aufbringen konnte, ermöglichte mir weitere Untersuchungen. Das Bild auf dem Buchdeckel war noch schrecklicher als auf dem erworbenen Exemplar. Auch sonst schien es aus der selben Manufaktur zu stammen wie das unsägliche Buch, welches ich an den Docks gefunden hatte. Sein Aufbau glich ihm haargenau. Eine Erzählung, noch schrecklicher als zuvor, untermauert mit grausamen Bildern, die den Horror und den Wahnsinn nur ansatzweise wiedergaben. Erläuterungen und klägliche Versuche, einen Sinn in diesen Albtraum zu bringen, befanden sich am Ende. Es wundert mich nicht, dass man von diesen Forschern des Grauens nie wieder etwas gehört hatte.

Es kostete mich all meine Energie, dieses Buch zu lesen. Immer wieder musste ich Pausen von mehreren Tagen einlegen, um nicht vollständig dem Wahnsinn zu verfallen. Die Vorarbeit, die das andere Buch bei mir geleistet hatte, tat ihr Übriges. Ich war ein geistiges Wrack und vermutete hinter jeder Ecke, in jedem Schatten das große Unheil. Ab da an verließ ich mein Haus nur noch in Begleitung meines Revolvers. Ein zaghafter Versuch, mir selbst Sicherheit zu geben.

Zu dieser Zeit bemerkte ich zum ersten Mal, dass mir jemand folgte. Leider kann ich mit keinen handfesten Beweise dienen. Zeugen, die meinen Verfolger ebenfalls ebenfalls gesehen haben könnten, gibt es nicht. Aber ich habe ihn gesehen und ich hatte sogar Kontakt zu ihm.

Es war ein schreckliches Ereignis, von dem ich mich noch immer nicht ganz erholt habe, aber es öffnete mir die Augen. Der Wahnsinn war bereits unter uns. Er war in der Stadt und er würde uns alle überkommen.  Der Fremde trug einen weiten Mantel und einen Hut mit breiter Krempe. Nachdem ich ihn aus der Nähe kennen gelernt hatte, weiß ich auch warum. Seine rechte Hand war verstümmelt. Ein schmaler weicher blasser Schlauch ohne Festigkeit, so als ob keine Knochen in ihm steckten. Dazu Pusteln und Blasen auf der Haut, die sich, so weit ich erkennen konnte, auch sein Gesicht befallen hatten. Dazu gesellte sich ein übelriechender Duft, der mich entfernt an die Docks erinnerte. Ich kann es nicht einordnen, aber er kam mir bekannt vor.
Ein Gespräch kam nicht zustande. Im Moment, als ich mich näherte, ergriff er – oder sie – die Flucht. Die Person wusste, dass mir die Verfolgung bewusst war.

Seit diesem Ereignis achte ich noch mehr darauf, stets meinen Revolver mit mir zu tragen. Täglich reinige ich ihn und kontrolliere seine Funktionen. Ich will nicht unvorbereitet auf diese Person, dieses Wesen treffen. Egal wie schrecklich die Erscheinung der Person auch war. Diese Erscheinung und dieser Gestank. Dieser widerliche Gestank…

Hier erhältlich: Der Flüsterer im Dunkeln