Es gibt Comic-Künstler, da kann man (also ich) bedenkenlos zugreifen. Ed Brubaker und Sean Phillips zum Beispiel. Mit Kill or be killed haben sie ein weiteres Werk vorgelegt. Warum das gut ist und vor allem: Warum es besser ist als die jüngste Joker-Verfilmung

Zufälle gibt’s …! Also, diese Rezension verlangt nach einer kurzen Vorrede. Eine kurze – das heißt: Das hier beginnt nicht bei Adam und Eva, sondern nur vor schlappen drei Jahren. Da stelle ich mir einen neuen Comic in den Schrank, nämlich Kill or be killed, erster Band. Das ist an und für sich noch nichts Besonderes, denn ich stelle mit schöner Regelmäßigkeit Comics in den Schrank, nur damit sie da stehen. Zwar bin ich der Neunten Kunst unverändert verbunden, allerdings: Zum Lesen komme ich kaum noch. Tja, und so wanderte irgendwann auch der zweite Band in den Schrank, dann der dritte und im vergangenen Jahr endlich der abschließende vierte. Da stand der Vierer also mit seinen roten Buchrücken und zusammen mit vielen anderen ungelesenen Comics und sah gut aus. Ok, jetzt könnte ich über den Sinn, den Unsinn und die psychischen Auffälligkeiten einer solchen Sammelleidenschaft schwadronieren. Aber das ist eine Geschichte für sich.

Kill or be killed Comics
Rot, rot, rot sind alle meine Comics … Kill or be killed ist eine gelungene Comic-Reihe zum Vigilanten-Alltag. Was geschieht, wenn wirklich jemand die Waffe in die Hand nimmt und aufräumt? Und tut dies eigentlich nur ein Verrückter? Zu solchen Überlegungen laden die Comics jedenfalls ein.

Wobei … Mit psychischen Problemchen hat dieses ganze Thema tatsächlich zu tun. Denn: Kürzlich habe ich bekanntlich Joker gesehen und den Film anschließend etwas unbefriedigt in den … tja, in den Schrank gestellt. Joker will ja irgendwie alles sein und doch nichts. Ein bisschen Origin-Geschichte zum großen Batman-Gegenspieler, etwas Drama, etwas Psychogramm, sogar etwas Gesellschaftssatire und Sozialkritik. Und letztlich folgt man doch nur einem verrückten Typen durch seinen verrückten Alltag. Nun ja, ein paar Tage später bleibe ich vor einem anderen Schrank stehen und greife aus einer Laune heraus nach einem Comic. Was ich schon lange nicht mehr gemacht habe. Nein, nicht nach Kill or be killed, sondern nach der deutschen Reihe Gung Ho. Lese ich jetzt mal, denke ich mir, halte kurz inne, lese ich doch nicht, denke ich, stelle das Buch wieder zurück – und greife im zweiten Anlauf zu Kill or be killed.

Und: Heureka! Das hier ist der bessere Joker! Der deutlich bessere!

Da fühlt man sich doch angesprochen!

Kill or be killed handelt von Dylan, seines Zeichens Student und nicht sonderlich zufrieden mit seinem Leben. Dieser Dylan wandelt teils so frustriert, teils so neurotisch durch seinen Alltag, dass er damit eigentlich auch bestens nach Gotham City ziehen könnte. Ok, so wie ich hier von meiner unsinnigen Comic-Leidenschaft erzähle, so erzählt Dylan auch aus dem Off von seinem Leben und spricht mich, also den Leser direkt an. Was ein schöner Kniff ist, weil ich mich als Leser – so die logische Folgerung – direkt angesprochen fühle. Und damit bestens in die Story reinkomme. Doch nicht nur das: Dylan erzählt seine Geschichte als Rückblende, er weiß also schon mal mehr als ich und kann es sich zuweilen nicht verkneifen, das Geschehen zu kommentieren. Hinterher ist man schließlich immer schlauer. Das hat den Effekt, dass der Comic mich nur umso stärker für sich einnimmt und auch nicht so schnell vom Haken lässt.

Kill or be killed Comic Dämon
Stimmt was nicht? – Naja, wenn man plötzlich diesen Herrn (oder diese Dame? Apropos: Dame kommt von Dämon, oder? Ok, blöder Witz) vor sich sieht, dann darf man an seinem Verstand zweifeln. Abgesehen davon: Die Zeichnungen in Kill or be killed sind schon sehr schick und schick-grauslig.

Aber worum geht’s in Kill or be killed nun? Ich mache es kurz: Dylan ist verliebt in die falsche Frau, will sich das Leben nehmen, wie man das in solch einer Situation halt so tut, und – Überraschung Nr. 1 – überlebt durch eine Verkettung seltsamer Umstände. Überraschung Nr. 2: Kurz darauf wird bei ihm ein gehörnter Dämon vorstellig. Der eröffnet ihm, dass er Dylan gerettet habe, dafür aber eine Gegenleistung verlange: Der Depri-Student soll jeden Monat ein Opfer darbringen, idealerweise jemand, der es verdient hat. Sonst stirbt Dylan doch noch. Tja, und so zieht sich unser erzählender Antiheld eine rote Skimaske über, greift sich erst Revolver, dann Schrotflinte, und nimmt sich nach und nach Kinderschänder, Russenmafia und korrupte Blödmänner vor. Doch nicht falsch verstehen: Das ist nicht die ganze Geschichte, sondern erst der Anfang. Und was zunächst so klingt wie eine düstere Variante von Kick-Ass oder die leicht esoterische Variante einer Vigilanten-Story Marke Batman, der irrt.

Film Noir und 70s Exploitation

Kill or be killed stammt von einigen guten Bekannten unter den Comicschaffenden. Ed Brubaker hat die Geschichte geschrieben, Sean Phillips hat sie gezeichnet, Elizabeth Breitweiser hat koloriert. Brubaker und Phillips „zeichneten“ schon für mehrere Serien verantwortlich, die sich wiederum durch eine ganz bestimmte Stimmung „auszeichneten“ und damit vom Krimi-Einerlei abhoben. Soll heißen: Ihre Serien wie Sleeper, Criminal, Fatale oder Incognito wirkten – selbst wenn sie einen Hauch Fantasy enthielten – eher wie ein Film Noir oder wie 70er Jahre-Exploitation-Kino. Im Mittelpunkt stand stets ein Antiheld, der weniger an moralischen Konventionen als vielmehr an Kohle interessiert ist, der aber trotzdem noch einen guten Kern besitzt. Und der es gewohnt ist, ordentlich einzustecken, bis er am Ende ebenso ordentlich austeilt. Kill or be killed reiht sich in dieses Werk ziemlich nahtlos ein, nur eben mit dem kleinen Dämonen-Bonus.

Kill or be killed Comic Panels
Szenen eines Vigilanten-Alltags: Antiheld Dylan ist Autodidakt beim Arschlöcher-Abknallen. Aber er macht den Job gar nicht so schlecht. Das hat schon eine gewisse Spannung, wie er sich einen Blödmann nach dem anderen vorknöpft. Nur über seine Motivation darf man rätseln.

Nun ist es oft so, dass die Geschichte des Vigilanten in sich schon genug Spannung birgt, ganz einfach weil es da einen gewissen Mechanismus gibt: Welchen Bösewicht nimmt man sich als nächstes vor? Was hat der sich zu Schulden kommen lassen? Wie lauert man ihm auf? Was kann dabei alles schiefgehen? Und kommt einem irgendwann die Polizei auf die Schliche? Ach ja: Und gelingt einem der Job überhaupt, immerhin ist man als Vigilant selten Elitesoldat, sondern Autodidakt. All das ist in Kill or be killed auch drin und das ist auch spannend präsentiert, also keine Sorge. Allein darauf verlässt sich der Comic aber nicht. Denn wir erinnern uns: Dem Helden ist ein Dämon erschienen, was zwar im Comic-Metier zuweilen vorkommt, aber im Vigilanten-Alltag nicht ganz normal ist.

Kill or be killed Comic Panels
Er will doch nur helfen! Vigilanten haben es nicht leicht: Sie legen sich mit Gangstern an, die darüber nicht gerade erfreut sind. Aber sie verstoßen auch gegen das Gesetz, worüber die Polizei nicht gerade erfreut ist. So auch in Kill or be killed.
Reif für die Klapse

So verläuft die Geschichte gleich auf mehreren Ebenen: Da wären natürlich die Action-Episoden, sowieso das Katz- und Maus-Spiel mit Mafia und Polizei, das sich aus genanntem Vigilantentum ergibt. Hinzu kommen noch – ohne geht es nicht – ein, zwei Frauengeschichten, die von Dylans Doppelleben mehr oder weniger tangiert werden. Und dann kommt unser Antiheld auch noch einem persönlichen Familiengeheimnis auf die Spur. Kill or be killed gelingt es ziemlich gut, in diese Handlungsstränge immer wieder ein paar „Störgeräusche“ und falsche Fährten einzuarbeiten. So fange ich als Leser – genauso wie Dylan als Erzähler – immer mal wieder an zu überlegen, ob das, was da gerade erzählt wird, echt ist oder nur Wahnvorstellung. Ob Dylan reif ist für die Klapse oder doch mit einem Dämon im Bunde steht.

Das alles ist nicht halb so anstrengend, wie es sich anhört, denn die Geschichte wird vom Erzähler locker und launig vorgetragen. Und sowieso erzeugt diese permanente Verunsicherung ihre eigene Spannung. Schließlich will ich ja wissen, was hinter dem Ganzen steckt – bis ich dann im vierten Band lande, der nicht ganz so abläuft, wie vielleicht erwartet.

Kill or be killed Comic Panels
Schießübungen: Antiheld Dylan geht dann doch zuweilen auf den Schießstand mit Knarre und Freundin. Apropos: Die rothaarige Freundin spielt in der Geschichte eine nicht ganz unwesentliche Rolle. Ist sie daran schuld, dass Dylan tut, was er tut? Unten schneit’s.
Ed Brubaker und Sean Phillips – Film Noir in Panel-Form


Das Gespann Brubaker/Phillips hat wohl eine kleine Schwäche für den Film Noir. Harte-Schale-weicher-Kern-Helden, eingefangen in düster-atmospärischen Bildern, das können die beiden ziemlich gut. Deshalb kurz etwas Werbung: Aufmerksam wurde ich auf das Werk des Duos durch die Reihe Sleeper, im Deutschen erschienen bei Cross Cult. Da geht es um einen Anti-Superhelden, der eine Superschurken-Organisation unterwandern soll. Das Magnum Opus – zumindest in meinen Augen – von Brubaker/Phillips ist aber die Reihe Criminal, erschienen bei Panini. Da geht es, wie der Name schon sagt, um Kriminelle. Teils sehr sympathische Kriminelle. Behandeln die Bände zunächst abgeschlossene Einzelgeschichten, überschneiden sich die Wege der Protagonisten im weiteren Verlauf immer häufiger. Großartig erzählter Comic in sechs Bänden. Ach ja, die Reihen Incognito und Fatale waren auch gut.

Verrückte unter sich

Aber da war ja noch der kleine Clou, dass ich kurz vor Sichtung des Comics den Film zum Joker gesehen habe, womit sich ein Vergleich aufdrängt. Und die Parallelen sind schon reichlich: Der Dylan im Comic ist wie der Joker psychisch leicht angeschlagen und setzt irgendwann seine Pillen ab. Dylan kommt ebenso einem kleinen Familiengeheimnis auf die Spur. Er erlebt zwei mehr oder weniger irreale Frauengeschichten. Und er spielt – Achtung, Spoiler! – am Ende in der Irrenanstalt, äh, in der Psychiatrie. Sowieso ist der Look recht ähnlich, da Kill or be killed mit düsteren und dreckigen Bildern aufwartet, Stichwort: 70s Exploitation. An einer Stelle ähneln sich sogar die Dialoge. So sagt der Joker – wir erinnern uns – eingangs: „Bilde ich mir das nur ein, oder wird es da draußen immer verrückter?“. Dylan wiederum sagt am Ende irgendwann: „Die Welt drehte vor mir durch, ich passe mich nur der neuen Realität an.“

Kill or be killed Comic Malereien
Endstation Klapse? Darüber darf man spekulieren: Ist Dylan ein Held oder nur ein Bekloppter? Im Bonus-Material der Hardcover-Ausgabe von Kill or be killed gibt es jedenfalls ein paar hübsche Cover der amerikanischen Einzelausgaben.

Gleichzeitig wird in den beiden Dialogen der große Unterschied zwischen den Werken deutlich: Joker ist über weite Strecken ein Opfer, ein teilnahmsloser Beobachter. Einfach jemand, der durchs soziale Raster fällt und sich nicht wirklich auflehnt, bis sich ihm eine Gelegenheit bietet. Kill or be killed dagegen hat den Mut, sich für einen Weg zu entscheiden. Nicht falsch verstehen: Der Comic ist kein Plädoyer für Selbstjustiz. Er spielt aber sehr schön durch, was geschieht, wenn der Held wirklich das Recht in die eigene Hand nimmt – und was es mit dem Helden macht. Die Faszination daran überträgt sich auch auf den Leser: Dylan findet es irgendwann ganz logisch, die Waffe in die Hand zu nehmen und schlechte Menschen abzuknallen. Wenn er sich dann einen Kinderschänder vornimmt und die Polizei erst auf die Spur eines ganzen Pädophilen-Netzwerks bringt, dann entbehrt das nicht einer gewissen Ironie. Hat doch was Gutes, das Vigilantentum, oder? Oder?

Kill or be killed Band 1
Kein Film Noir ohne Jalousien. Immerhin brechen die das Licht so schön – zumindest in den alten Schwarz-Weiß-Filmen. Hier muss es für ein Fotomotiv bei Tageslicht reichen…
Auf den Geschmack gekommen

Kill or be killed ist natürlich in Hollywood nicht unbemerkt geblieben – schließlich ist Ed Brubaker auch als Drehbuchautor aktiv, etwa für die Serie Westworld. Der Comic wird als eines der nächsten fünf Projekte von Chad Stahelski, dem Regisseur von John Wick, gelistet. Mit Blick auf die Optik ist das sicherlich keine schlechte Wahl. Allerdings bleibt zu hoffen, dass der Film genauso doppelbödig gerät wie der Comic und sich nicht im reinen Actiongewitter ergeht. Dass Kill or be killed ziemlich gelungen ist, zeigt sich auch daran: Durch die Lektüre bin ich wieder auf den Geschmack in Sachen Comics gekommen. Da stehe ich also vor dem Schrank, greife nach dem Gangster-Comic Smoke City, der da – ungelogen! – schon seit 2011 steht. Lese ich jetzt mal, denke ich mir, halte kurz inne, lese ich doch nicht, denke ich, stelle das Buch wieder zurück – und greife im zweiten Anlauf zu den neuen James Bond-Comics. Aber das ist eine andere Geschichte…

Kill or be killed Comic Panels
Ertappt! Schon klar, wohin der Blick des Betrachters hier zuerst wandert (natürlich zu der Omi in den Panels rechts, wohin sonst?). Die diabolischen Zeichnungen sind aber nicht nur pures Eye-Candy, sondern haben für die Handlung auch eine tiefere Bedeutung. Also Entwarnung…

In Kürze: Kill or be killed von Ed Brubaker und Sean Phillips wandelt eigentlich auf den ausgetretenen Pfaden einer Vigilanten-Geschichte. Doch gelingt es dem Comic-Gespann einmal mehr, die Geschichte spannend, emotional packend und nicht zuletzt mit ein paar falschen Fährten zu erzählen. Übrigens Kill or be killed hat mehr als nur eine Ähnlichkeit zur jüngsten Joker-Verfilmung, ist aber die deutlich bessere Geschichte.
Bewertung: 9/10

Kill or be killed Comics
Noch mal die ganze Reihe. Der Splitter-Verlag ist für hochwertige Hardcover-Ausgaben diverser Comicreihen bekannt. Normalerweise druckt der Verlag frankobelgische Comics ab, hier hat man sich mal einen Leckerbissen aus dem amerikanischen Umfeld ausgesucht. Bitte mehr davon!

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