John Williams kommt! Da müssen wir hin! Dachten wir uns und fuhren nach London. Eine wunderbare Erfahrung – trotz einer Enttäuschung…
Star Wars. Natürlich. Die Star Wars-Fanfare, was auch sonst. Wie sollte ein John Williams-Konzert beginnen, wenn nicht mit den Trompetenklängen aus einer weit, weit entfernten Galaxis. Insofern ist der Anfang dieses Abends vielleicht keine musikalische Überraschung, aber mal ganz ehrlich: Es ist der perfekte Anfang. Die Star Wars-Fanfare ist eine Ikone, vielleicht das bekannteste Stück aus der Feder des Maestros. Und das London Symphony Orchestra liefert in der legendären Londoner Royal Albert Hall eine einwandfreie Performance des Werks – und sogar noch mehr: Die Musiker spielen ganz offensichtlich mit Freude. Ihre Botschaft: „Wir haben richtig Bock auf den Gig.“
Die Botschaft ist auch nicht ganz unwichtig. Denn dieser Abend ist eigentlich mit einer mittelgroßen Enttäuschung verbunden. Dazu vielleicht ein kleiner Rückblick: Im Februar kriege ich Wind davon, dass John Towner Williams Ende Oktober nach London kommen wird, um dort ein Konzert mit dem London Symphony Orchestra zu geben. In der Royal Albert Hall. Die Nachricht lässt mich sofort gerade auf dem Stuhl sitzen. Denn sie bedeutet: John Williams kommt zum ersten Mal seit mehr als 20 Jahren für ein Konzert nach Europa. Und er spielt mit dem Orchester, mit dem er seine berühmtesten Scores eingespielt hat. Und das jetzt bitte nicht falsch verstehen: Er nimmt die Reise mit seinen 86 Jahren auf sich, also wird das vielleicht die letzte Gelegenheit für mich, diese lebende Legende in Aktion zu sehen.
Wie ein kleiner Lotto-Gewinn
Der Tag kommt, an dem der Kartenverkauf auf der Seite der Royal Albert Hall startet. Mit nicht allzu großen Erwartungen logge ich mich ein – und muss schon mal lachen, denn ich bin irgendwo knapp vor Platz 3.000 in der Warteschlange. Wie zu erwarten. Das wird bestimmt nichts mehr. Kann aber auch nicht schaden, dran zu bleiben, oder? Und tatsächlich: Ich rutsche erstaunlich schnell nach vorne. Und dann passiert das, womit ich nicht gerechnet habe: Ich kann Karten bestellen. In freudiger Erregung kaufe ich sofort zwei Tickets. Und lande schließlich bei den vordersten Sitzen in einer Second Tier Box, also einer Loge in der oberen Reihe der Royal Albert Hall, auch noch in guter Sichtweite. Bingo! Mit einer gewissen Erschöpfung stelle ich fest: Ich habe gerade irgendwie im Lotto gewonnen. John Williams, ich komme!
Meine Begleitung und ich sind die nächsten acht Monate ein bisschen euphorisiert, wenn wir an den bevorstehenden London-Trip denken. Natürlich wandert die Vorfreude auf die Reise irgendwann in den Hinterkopf, schließlich gibt es ja noch genug anderes zu tun (unter anderem den richtigen Urlaub zu planen). Aber zwischendurch denken wir immer mal wieder: Juchhu! Was wir noch denken: Nun darf dem 86-jährigen John Williams nur nichts mehr passieren! Aber wird schon nicht, warum sollte er ausgerechnet zum Konzert krank werden? Hahaha! Das wäre ja zu unwahrscheinlich! Die Monate vergehen, dann sind es nur noch Wochen, Tage… Und wieder bingo: Zwei Tage vor dem Konzert bekomme ich eine Mail der Royal Albert Hall mit der Nachricht: John Williams ist erkrankt. Der Gute ist zwar in London, aber liegt im Krankenhaus. Jemand anderes wird dirigieren. Tja…
Die Royal Albert Hall… haut einen um
Die Enttäuschung ist sicherlich vorstellbar. Aber sie hält nicht lange. Wir wünschen dem Maestro gedanklich und virtuell gute Besserung und machen uns auf den Weg nach London. Und um das mal abzukürzen: Der erste Blick in die Royal Albert Hall haut uns um. Nicht wortwörtlich, aber dieser geschichtsträchtige Ort, an dem so viele berühmte Konzerte stattgefunden haben, versprüht schon eine besondere Atmosphäre. Und dann kommen auch schon die Musiker auf die Bühne. Und schließlich der Dirigent, der für John Williams einspringt: Dirk Brossé. Eine gute Alternative, denn Brossé ist Williams nicht nur freundschaftlich verbunden, er komponiert auch selbst Scores und hat schon auf der ganzen Welt Konzerte mit der Musik von Williams gegeben.
Sowieso: In gewisser Weise ist an diesem Abend jeder mit Williams verbunden. Nicht nur Dirigent Brossé, der von seinen ersten Begegnungen mit Williams erzählt. Oder natürlich das Publikum, das vermutlich mit der berühmten Filmmusik aufgewachsen ist. Auch das Orchester nutzt die Gelegenheit, und so erzählen einzelne Mitglieder zwischen den bekannten Musikstücken zahlreiche Anekdoten, wie sie Bekanntschaft gemacht haben mit Williams und seiner Musik. Gareth Davis zum Beispiel, der Chairman des Orchesters und die Principal Flute: Für ihn fing alles mit Star Wars an, und zwar 1978. So wurde er Musiker, kam zu den Londoner Symphonikern und nahm mit Williams die Musik zu den Star Wars-Prequels auf.
Ein ganz persönlicher Abend mit 5.000 Zuhörern
Ähnlich die Geschichte von Ginette Decuyper: Die erste Violine reckt ihren Geigenbogen in die Höhe und vermeldet: „This is my lasersword!“ Mit einem charmanten Akzent erzählt sie, wie sie als Studentin erstmals A New Hope sah und schließlich auch die Prequel-Scores mit aufnahm. Oder Maxine Kwok-Adams, ebenfalls erste Violine. Sie erinnert sich an ein Gespräch mit Williams, der sich aufrichtig gefreut hatte, dass sich die Musikerin ihren großen Traum erfüllt habe und Teil der Londoner Symphoniker geworden sei. So wird dieses Konzert ohne John Williams mehr als ein Konzert, nämlich ein sehr persönlicher Abend mit ganz persönlichen Eindrücken vom Komponisten – und das bei mehr als 5.000 Zuhörern im Auditorium. Schließlich wird Williams mit seiner Musik wohl jeden der Anwesenden auf die eine oder andere Weise berührt und inspiriert haben.
Apropos Musik: Das Programm des Abends bietet wenig Überraschungen, aber das muss es auch gar nicht. Star Wars, Close Encounters of the Third Kind, Harry Potter, E.T., Jurassic Park, Superman, auch der BFG – das Orchester liefert die zeitlosen Klassiker aus Williams´ Schaffen. Einziger Ausreißer: Dracula, die Musik zu dem Gruselfilm von 1979 und auf Williams-Konzerten eher seltener zu hören. Alle Stücke haben eines gemein: Das Orchester spielt die Musik souverän und makellos, es wirkt beinahe so, als sitze man im Kino und als fehlten nur noch die Bilder. In der zweiten Hälfte nehmen die Standing Ovations zu, woran der Orchester-Leiter Carmine Lauri nicht ganz unbeteiligt ist: Er spielt die Solo-Violine und damit das traurig-schöne Hauptthema aus Schindlers Liste.
Düdüpp. Düdüpp. Düdüppdüdüppdüdüpp…
Insgesamt drei Zugaben lässt sich das Orchester schließlich abringen. Und gleich mit der ersten Zugabe bringt Dirigent Brossé das Publikum zum Lachen. „Düdüpp“, tönt es markant von der Bühne, und jeder weiß sofort, dass gleich der Weiße Hai auftauchen wird. Die zweite Zugabe gehört Jedi-Meister Yoda und seinem Thema. Und mit Zugabe Nummer drei wird eine große Lücke im bisherigen Programm geschlossen: Es gibt den Raiders-Marsch aus dem ersten Indiana Jones-Film. John Williams ist an diesem Abend übrigens in gewisser Weise doch die ganze Zeit dabei: Er hat im Krankenhaus ein paar Grußworte geschrieben, die dem Publikum vorgelesen werden. Und angeblich hört er auch von seinem Krankenbett aus der Live-Übertragung des Konzerts im Radio zu. Da bleibt zu hoffen, dass er die ganzen Standing Ovations wenigstens erahnen kann.
Ein kleiner Epilog sei vielleicht noch erlaubt: Nach dem Konzert können wir uns irgendwie nicht so recht von der Royal Albert Hall trennen. Wir wandern noch etwas durch die Stockwerke, schauen in die First Tier Boxen und auf den Rausing Circle quasi im vierten Stock. Als wir dann schließlich draußen sind, bemerken wir eine Gruppe von Leuten vor dem Artist´s Entrance – und stellen uns mal dazu. Und siehe da: Nein, Dirk Brossé läuft mir leider nicht über den Weg, aber Carmine Lauri wagt sich in Jeans und Jacke durch die Menge und wird sofort für Selfies und Autogramme in Beschlag genommen. Und so bekomme auch ich mein Programm von dem – übrigens sehr freundlichen – Musiker signiert. Was für ein besonderer Abend!
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