Meine! Fresse! – Nein, der Ausruf gilt nicht allein der Harry Potter-Box mit der Filmmusik von John Williams. Sondern dem Umstand, dass ich das Teil schon seit anderthalb Monaten vorstellen will. Das zeigt aber auch, dass es in Arbeit ausarten kann, wenn man sich mit expandierten Scores beschäftigen will…
Di diii diddi di dii diii diiii… – So klingt vertonte Magie.
Na gut, ganz so einfach ist es natürlich nicht. Man stelle sich wirbelnde Geigen vor, dazu ein dezentes Glockenspiel und schließlich einige Bläser im Dreivierteltakt. Schon entsteht ein Bild vor dem geistigen Auge des Zuhörers. So ziemlich jeder, der die vergangenen Jahre nicht zufällig in einer Höhle verbracht hat, dürfte die Melodie kennen und sofort mit einer Welt voller Zauberer in Verbindung bringen. „Hedwig´s Theme“ heißt das Stück, das John Williams da geschrieben hat und das praktisch die musikalische Identität der Harry Potter-Filme darstellt. Die Erkennungsmelodie für die Helden im Film. Das mag nun vielleicht etwas pathetisch klingen: Dem Komponisten gelang damit – einmal mehr – das Kunststück, einer Generation von Kinozuschauern ein Leitmotiv zu geben. Eines, das nicht nur für einen Film steht, sondern für ein ganzes Thema. In diesem Fall eben für Magie.
Es geht also um die Musik der Harry Potter-Filme, genauer: um die Kompositionen von John Williams zu den ersten drei Episoden aus dem Kinoreigen rund um den Zauberlehrling. Und die gehen nicht nur ins Ohr, sondern – und das mag nun deutlich weniger pathetisch klingen – sie verkaufen sich auch ganz hervorragend. So war es eigentlich unvermeidlich, dass nach vielen Jahren eine erweiterte Zusammenstellung des Soundtracks veröffentlicht wird. In Schön-Sprech nennt sich das „Expanded Archival Edition“. Und es meint: 7 CDs in einer Box. Das amerikanische Plattenlabel La La Land-Records, kurz: LLL, hat sich bereits in den vergangenen Jahren durch ausladende Zusammenstellungen von Williams-Musiken hervorgetan. Und auch dieses Mal hat es sich nicht lumpen lassen: Harry Potter und der Stein der Weisen ist gleich auf drei CDs vertreten. Harry Potter und die Kammer des Schreckens sowie Harry Potter und der Gefangene von Azkaban bekommen immerhin jeweils eine Doppel-CD spendiert.
Ein bisschen riecht es schon nach Geldmacherei…
Um das gleich vorweg zu schicken: Ich bin kein Freund von solchen „expandierten“ Veröffentlichungen. Zum einen deshalb, weil der geneigte Filmmusik-Hörer förmlich mit Masse erschlagen wird. Ein gut geschnittenes und knackiges „Höralbum“, das die Musik angemessen repräsentiert, ist mir allemal lieber als ein Archiv in CD-Form, in dem ich jede Sekunde der Musik auch jeder Sekunde im Film zuordnen kann oder muss. Es gibt Sammler, die das glücklich macht, ich gehöre nicht dazu. Zum anderen mag ich solche Veröffentlichungen nicht, weil die Soundtrack-Label stattdessen besser neue Musik anderer begabter Komponisten auf den Markt bringen könnten. So gibt’s nur mehr vom Altbekannten. Aber wer will es ihnen verdenken? Die kleinen Plattenfirmen müssen in ihrer Nische schließlich auch überleben. (Inzwischen hat La La Land übrigens schon eine 4-CD-Version von Hans Zimmers The Thin Red Line veröffentlicht. 4 CDs!)
„It´s really remarkable how with those first notes, John reaches out and brings you into the world with that haunting theme, even after other composers came in, they still used that theme. It´s been in all eight Harry Potter movies.“ – Chris Columbus über „Hedwig´s Theme“
John Williams ist ja für Leitmotive bekannt, und Der Stein der Weisen ist nun wirklich nicht arm an eben solchen. Etwa zehn Stück sind im Score zum Film enthalten, unter anderem für Voldemort oder selbst für die Winkelgasse und das Quidditch-Spiel. Berühmt ist aber vor allem das Hauptthema: „Hedwig´s Theme“. Ungewöhnlich an dem Stück ist, dass Williams es nicht auf den Film selbst komponiert hatte, sondern auf den Trailer – oder vielmehr: auf das Buch. Williams hatte den Roman gelesen, bevor er ans Werk ging, was der Meister sehr selten tut. Anschließend spendierte er Harry Potters Eule Hedwig ein eigenes Musikstück, das dann im Trailer eingesetzt wurde. So wurden die Zuschauer weltweit bereits lange vor der Filmpremiere auf den Potter-Sound eingeschworen.
„Hedwig´s Theme“ wurde danach eine Art Signature-Stück für alle folgenden Scores, auch für die Ableger mit den fantastischen Tierwesen und die Computerspiele. Übrigens hatte Williams zuletzt zehn Jahre zuvor eigens Musik für einen Trailer geschrieben, nämlich für Spielbergs Hook.
Man kommt einfach nicht dran vorbei…
Aber gut, bei John Williams neigen Filmmusik-Fans sowieso zur Schizophrenie. Der Mann ist ein verdammtes Genie – darüber sind sich die meisten wohl einig. Auch wenn sie es so vielleicht nicht formulieren würden. John Williams ist gleichzeitig aber auch immer wieder das: in seinem romantischen Klangkabinett verhaftet, gerne ein bisschen sehr harmonisch. Oder ketzerisch ausgedrückt: Warum klingt Williams´ Heidi von 1968 schon so erstaunlich vertraut nach dem Liebesthema aus Indiana Jones? Und warum klingt Williams Monsignore von 1982 so frappierend nach… naja, da wären wir wieder beim Thema: nach Harry Potter?
All that said: An Williams komme ich einfach nicht vorbei. Außerdem ist das nun genug gekrittelt. Das hier ist kein Mecker-Blog. Deshalb folgt auch schon mal eine gute Nachricht: Williams kann man auch in expandierter Form gut „weghören“. Immerhin remastert, äh, remastered.
Alles, was das Fanherz begehrt
Apropos weghören: An der Box hat man im wahrsten Sinne lange Freude. Quantitativ schießt sie die Eule ab, das zeigen bereits die Zahlen:
- Der Stein der Weisen bot auf dem ursprünglichen Album 19 Tracks mit einer Gesamtlänge von immerhin schon knapp 73 Minuten. Und eine CD-Rom mit Trailern und Merchandise-Werbung. Das neue 3-Disc-Set bietet insgesamt 63 Tracks mit knapp drei Stunden Spielzeit. Alles schön film-chronologisch präsentiert mit einer End Credits-Suite, bestehend aus „Harry´s Wondrous World“ in der Langversion und „Hedwig´s Theme“. Als besonderes Goodie findet sich auf der dritten Disc die „Children´s Suite for Orchestra“, die in neun Miniaturen die Highlights des Scores zusammenfasst. Das Stück fand zunächst nur auszugsweise Eingang in den Film-Score und wurde gänzlich bislang im Konzert aufgeführt. Jetzt findet es erstmals den Weg auf CD. Der restliche Platz ist für zusätzliche Stücke wie „Harry´s Theme for Harp“ oder „Hogwarts forever“ in einer gesungenen Version reserviert.
- Die Kammer des Schreckens umfasste in ihrer ersten CD-Inkarnation 20 Tracks mit einer Gesamtlänge von knapp 70 Minuten. Und fünf verschiedene Charakter-Cover als Sammlerobjekt. Jetzt setzt es 60 Tracks mit einer Spielzeit von mehr als zweieinhalb Stunden. Darunter befinden sich verlängerte Versionen etwa von „The Dueling Club“ oder „Meeting Tom Riddle“ sowie eine End Credits-Suite mit den drei Tracks „Harry´s Wondrous World“, „Fawkes the Phoenix“ und „The Chamber of Secrets“. Die musikalische Resterampe (sorry, ich meine die Additional Music) führt eine ganze Reihe an Alternativ- und Kurzversionen sowie Musiken für TV-Spots auf.
- Bleibt noch Der Gefangene von Azkaban. Im Original hat´s da 21 Tracks, verteilt auf etwas mehr als 68 Minuten Lauflänge. Und wieder etwas digitalen Inhalt wie einen Bildschirmschoner, Wallpaper und eine Foto-Galerie. Neuerdings darf man sich über 61 Tracks freuen, erneut mit etwas mehr als zweieinhalb Stunden Gesamtlänge. Die zweite CD bietet dabei (nicht ausschließlich) einen kleinen Happen an Source Music wie etwa „Hogsmeade Candy Box“ sowie einen großen Bissen an Alternativ-Versionen und zusätzlichen Stücken wie „The Demetors Converge“.
Nicht nur zum Hören – auch zum Lesen
La La Land Records hat sich aber nicht nur in musikalischer Hinsicht verausgabt. In der Box aus hübsch bedruckter harter Pappe findet sich auch ein kleines Sträußchen an Booklets. Ein größeres Booklet bietet dabei einen Überblick über die Tracklists – die zugegeben auch niemals auf die Backcover der CD-Hüllen gepasst hätten. Darin sind auch die knappen Lobeshymnen der Regisseure Chris Columbus und Alfonso Cuarón auf John Williams enthalten, die bereits in den alten Booklets abgedruckt waren („Gracias Maestro!“ – O-Ton Cuarón). Ergänzt wird das Ganze durch die Lyrics zu gesungenen Soundtrack-Stücken wie etwa „Hogwarts Forever“ und „A Winter´s Spell“. Wer also mal inbrünstig „Hogwarts forever, we hail and praise thee“ mitschmettern will, der findet hier die Anleitung. Ergänzt wird das alles durch Infos zu den Potter-Konzerten und ein paar zusätzliche Zitate von Columbus, Harry-Darsteller Daniel Radcliffe und von Williams selbst.
Die einzelnen Filmscore-Boxen beherbergen dann nochmals jeweils ein nicht allzu dünnes Booklet. Darin lässt sich Filmhistoriker und Soundtrack- sowie Mastering-Experte Mike Matessino mehr oder weniger erschöpfend über Williams, dessen Schaffen und die Entstehung der Potter-Scores bis hin zum Hintergrund einzelner Tracks aus. Da erfährt der Hörer und Leser alles über den „Nimbus 2000“ oder auch über „Hogwarts“. Den Inhalt nur ansatzweise wiedergeben zu wollen, würde einen eigenen Blog verdienen. Aber auch hier lässt sich sagen: Manche Filmmusik-Fans werden die Booklets verschlingen und manche Filmmusik-Fans werden mal eben einen Blick auf die Heftchen werfen und nur schwerlich ein Gähnen unterdrücken.
Die Booklets mit den Texten von Mike Matessino sind randvoll mit Daten und Fakten zu den drei Williams-Scores. Beispiel gefällig? Für den Stein der Weisen schrieb John Williams mehr als 4.200 Takte an Musik für mehr als 150 Minuten Film. Die Boxen mit den Noten, die in der Londoner Air Lyndhorst Hall, einer ehemaligen Kirche, mit dem London Symphony Orchestra aufgenommen werden sollten, wogen 415 Pfund und beherbergten rund 1,25 Mio. Noten. Der vorletzte Tag der Einspielung war der 11. September 2001, und auch die Musiker verfolgten an einem Fernseher in der Kantine, was zeitgleich in New York geschah. Williams ließ allen Beteiligten die Wahl: den Tag freinehmen oder weiterarbeiten. Man entschied sich fürs Weiterarbeiten.
Zeitsprung zum Gefangenen von Askaban: Auch dort schrieb Williams wie schon bei „Hedwig´s Theme“ das Stück „Double Trouble“ Monate vor dem eigentlichen Score. Es sollte Harry Potters Rückkehr nach Hogwarts beschreiben, und Regisseur Alfonson Cuarón gab Williams als Referenz unter anderem die Hexen-Szene aus Shakespeares Macbeth. Heraus kam ein Song, der auch gleich die Lyrics von Shakespeare übernahm. Für den Score bat Cuarón übrigens darum, dass die Musik die Handlung nicht wie bisher „beschreiben“, sondern vielmehr die Emotionen der Hauptfiguren widerspiegeln sollte. Und so wurde es etwas atonal und experimentell.
Gut bekannt – in kurz und lang
Ansonsten ist das alles auch in der Langfassung wie gehabt. Soll heißen: auf zweifellos hohem Niveau. Der erste Potter-Score entführt in eine vertonte Zuckerbäcker-Welt, in der es durch Kinderaugen und Kinderohren eine ganze Menge Magisches zu bestaunen gibt. Der zweite Teil überrascht dann mit einer für Williams eher befremdlichen Schwäche: Denn die Kammer des Schreckens klingt nicht nur zufällig über weite Strecken nach dem zweiten Star Wars-Prequel Angriff der Klonkrieger, das Williams damals etwa zur gleichen Zeit vertonte. Da hatte der Maestro aus Zeitgründen mal in die Recyclingkiste gegriffen und etwas Musik einfach der weit, weit entfernten Galaxis entnommen.
Der erste Score hatte vielleicht den Grundstein für die Klangwelt aller acht Potter-Filme gelegt. Highlight der Reihe dürfte aber für viele der Score zum Gefangenen von Azkaban sein. Bekanntlich wurde es mit dem Film von Alfonso Cuarón etwas düsterer in der Filmreihe und damit auch etwas abwechslungsreicher und dynamischer. Und die Musik musste da mit. So lieferte Williams gerade für diesen Teil einige sehr interessante Stücke ab wie „Aunt Marge´s Waltz“, „Buckbeak´s Flight“, „A Window to the Past“ oder „The Patronus Light“. Die Stücke sind in der neuen Edition auch teilweise in alternativen Versionen enthalten.
Ein lachendes und ein weinendes Auge
Wer es bis jetzt noch nicht gemerkt hat: Die Box ist in vielerlei Hinsicht ganz großartig. Die Scores sind – für mich – über jeden Zweifel erhaben. Und im Produkt steckt viel Fleißarbeit. Aber so ganz kann und will ich nicht in Begeisterungsstürmen ausbrechen. Zum einen ist die Box auch ein musikalischer Overkill, der ein Hobby zum Vollzeitjob macht, wenn man sich denn eingehend damit beschäftigen will. Zum anderen weisen Sets wie diese die Richtung, in die sich das Sammeln von Filmmusik seit einiger Zeit bewegt: mehr vom Gleichen, Hauptsache, es steht ein bekannter Name oben drüber. Im Regal macht sich das Ganze aber sehr gut, im Player übrigens auch. Und dem befreundeten, aber fachunkundigen Hausgast wird es einige erstaunte Blicke ob dieses „Kuriosums“ entlocken. Ist doch auch was.
„When younger members of the audience come to me and are able to sing the Harry Potter themes or play them on their instruments, that´s the kind of reward that, at least for me personally as a musician, is the most meaningful, that connection to a young audience is one of the aspects of the Harry Potter series that is so worthwile.“ – John Williams
Di diii diddi di dii diii diiii…
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