Manche Filme altern mit der Zeit und manche Filme reifen. So reibt man sich bei Neusichtung die Augen und denkt: „Hallo? Wer bist du denn?“ Was trifft nun auf die Alien-Invasion Independence Day zu – gealtert oder gereift?

In Steven Spielbergs Ufo-Film Unheimliche Begegnung der dritten Art gibt es diese kleine, bezaubernde Idee: Da nehmen die Menschen mit ihren außerirdischen Besuchern nicht etwa Kontakt auf, indem sie sagen: „Willkommen, wie war die Reise?“ Sie bemühen auch keine komplizierten mathematischen Formeln oder abstrakten Symbole. Stattdessen nutzen sie die Musik als universelle Sprache: eine Folge von fünf Tönen, gespielt auf einer Lichtorgel. Die ganze Sequenz ist so faszinierend und denkwürdig, dass sie in die Kinogeschichte einging.

In Roland Emmerichs Independence Day taucht diese Szene auch auf. Aber da geht sie ein bisschen anders: Die Lichtorgel hängt an einem Hubschrauber, der Hubschrauber hängt vor einem 25 Kilometer durchmessenden Ufo und das Ufo hängt über – natürlich, wo auch sonst? – Washington, der Hauptstadt der gesamten Welt, wie es scheint. Der Kontakt endet aber nicht friedlich, sondern in einer riesigen Explosion, auf die noch riesigere Explosionen und schließlich ganz viel Geballer und flotte Sprüche folgen.

Diese eine Szene ist also quasi symptomatisch für den gesamten Film. Emmerichs Alien-Invasion, kurz: ID4, klaut sich munter durch die filmische Alien-Invasions-Historie und präsentiert das alles unter dem Motto „größer, greller, lauter“. Für ein bisschen Weltraum-Romantik bleibt da wenig Platz. Oder ist heute, mehr als 20 Jahre später, vielleicht doch etwas Romantik in der Popcorn-Sause zu finden? Die Frage lässt sich wohl am besten beantworten, wenn ich einen gedanklichen Trip zurück zum deutschen Kinostart unternehme…

19. September 1996 – der deutsche Independence Day

Was bin ich angefressen! Ein echtes Desaster-Movie! Nur leider nicht im positiven, sondern im, na, im Desaster-Sinn halt. Als das letzte Ufo abgestürzt ist und rauchend neben einer Pyramide ausbrennt und als alle Welt unter dem amerikanischen Sternenbanner den Sieg über die bösen Aliens feiert, macht sich bei mir ein schaler, nein, ein bitterer Nachgeschmack breit. Das ist nun der Film, auf den ich Monate hingefiebert habe? Für den wir Making-ofs und Magazin-Artikel gesammelt haben? Ja, für den wir sogar beim traditionellen Pizza-Essen vor dem Kinogang den Kellner gescheucht haben, um möglichst schnell ins Kino zu kommen (sorry übrigens dafür)?

Ufo sprengt Weißes Haus in die Luft. Lego-Modell.
Ikonische Bilder: Die lebensechte und maßstabsgetreue Nachstellung zeigt das überdimensional große Ufo, wie es das Weiße Haus in die Luft sprengt. Die Einstellung ist in die Popkultur eingegangen.

Vielleicht war ich auch einfach zu angefixt. Ich meine: Roland Emmerich und sein Kompagnon Dean Devlin haben vorher Stargate gedreht, der in seiner Mischung aus Indiana Jones, Erich von Däniken, US-Militarismus und Kurt Russell genau meinen pubertären Nerv getroffen hat. Und dann habe ich erst unlängst die Charity-Romane von Wolfgang Hohlbein gelesen, in denen der Weltuntergang per Alien-Hilfe so richtig schön fies und spannend rüberkommt. Und außerdem: Als bekennender Star Wars-Nerd habe ich mich natürlich auf die Flugkampf-Szenen gefreut. Hey, mit Betonung auf „Flug“ und „Kampf“!

Tja, und dann sitze ich im Kino und merke, dass da irgendwie nichts so recht passen will. Zumal der Weltuntergang auf sich warten lässt: Jeff Goldblum läuft seiner Ex-Frau hinterher. Will Smith trägt seinen Nachwuchs auf dem Arm. US-Präsident Bill Pullman hat seine First Lady ganz doll lieb. Und Randy Quaid ist… naja, Randy Quaid, also immer ein bisschen drüber. Hallo? Ich dachte, hier gibt’s ne Alien-Invasion! Paranoia! Bedrohung! Zerstörung!

Ok, irgendwann geht wirklich eine Menge kaputt, zugegeben. Aber wie? Lassen wir mal die ganzen Plagiate beiseite, die sich so im Film finden. Was über weite Strecken viel mehr Kopfzerbrechen bereitet, ist die emotionale Unzulänglichkeit dieses Films. Da wird Smiths guter Freund und Wingman abgeschossen (Harry Connick jr, ein toller Musiker übrigens), da stirbt die Präsidenten-Gattin, da wird die halbe Menschheit ausgerottet – völlig egal, für einen lockeren Spruch, eine patriotische Rede und ein bisschen Salutieren ist immer noch Platz. Aber das Publikum will von Kritik nichts wissen: Es kracht, es zischt und angeblich macht es auch ganz viel Spaß. Apokalypse und Abfeiern werden hier zur Einheit. Bin ich etwa im falschen Film?

Independence Day – Die Top 5 der geklauten Ideen


Roland Emmerich und Dean Devlin haben sich für das Drehbuch zu Independence Day – je nach Quelle, die man konsultiert – zum Urlaub nach Mexiko verabschiedet und für das Schreiben drei bis vier Wochen benötigt. Das mag beachtlich oder angesichts schwacher Filmfiguren auch hingehuscht wirken. Jedenfalls sind die großen Vorbilder, bei denen sich die Autoren bedient haben, kaum zu übersehen.



  1. Das Virus: Die Aliens werden durch ein Computervirus besiegt. In Krieg der Welten von H.G. Wells war es noch ein Schnupfen-Virus.

  2. Die fünf Töne: In Steven Spielbergs Unheimliche Begegnung der dritten Art erfolgte der Erstkontakt über eine Ton-Folge, bei Emmerich über eine Lichtsequenz.

  3. Der Grabenflug: Flieger-Ass Will Smith kann beim Flug durch den Canyon zeigen, was ihn ihm steckt. In George Lucas´ Star Wars flog Luke Skywalker genauso schön.

  4. Das Riesen-Ufo: Überdimensionale Untertassen über US-Hochhäusern? Gab es mehr als 10 Jahre vorher schon in V – Die außerirdischen Besucher kommen von Kenneth Johnson.

  5. Die Air Force: Coole Piloten und ein gerüttelt Maß Hurra-Patriotismus in ebenso cooler Optik. Gab es auch in Tony Scotts Werbevideo Top Gun.
The Day after Tomorrow oder: die Zeit danach

Was haben wir bei Star Wars gelernt? Wut führt zu Hass. Naja, ganz so schlimm ist es natürlich nicht.  Ist ja nur Popcorn-Kino. „Get a Life!“, wie William Shatner sagen würde. Aber selten kommt es vor, dass ich mich von einem Film derart auf den Arm genommen fühle. Also ignoriere ich den Streifen fortan. Und seine Macher gleich mit: Zwei Jahre später lasse ich auch Emmerichs Godzilla sausen (nicht ganz zu Unrecht) und vier Jahre später will ich auch von Der Patriot nichts wissen (was soll bei dem Titel schon Gutes rauskommen?).

Independence Day-Blu-Ray und Hammer
Am liebsten mit dem Hammer drauf: Independence Day führte lange Zeit meine Liste der schlechtesten Filme an.

Erinnere ich mich an Independence Day, kommt mir Folgendes in den Sinn: „bunt“. Und „patriotisch“. Lust, den Streifen noch mal zu schauen, stellt sich nicht ein. Erst recht nicht, als Emmerichs Film dann noch ein zweites Mal Berühmtheit erlangt, nur dieses Mal eine traurige Berühmtheit: Am 11. September 2001 sind im Fernsehen die Bilder vom Einsturz der Zwillingstürme des World Trade Centers zu sehen. Und damit auch die Wand aus Staub, die durch die Straßen von New York rollt. Die Nachrichten kommen dabei auf die Idee, die Terror-Anschläge mit Hollywood-Filmen zu vergleichen – und schneiden die Einstellungen mit der Feuerwand aus Independence Day gegen.

Blockbuster kommen, Blockbuster gehen. Die 90er sind vorbei, die Nuller irgendwann auch. Michael Bay, der andere Master of Desaster aus der Traumfabrik, dreht erst Armageddon, dann Pearl Harbor, dann Bad Boys II und dann Transformers 2 (die Rache) – und stellt damit auch gleich meine persönliche „Bestenliste“ der schlechtesten Filme auf. Emmerich dagegen dreht The Day after Tomorrow, der abseits seiner destruktiven Wetterkapriolen auf einer erstaunlich hintersinnigen Idee basiert. Und er dreht 2012, der oberflächlich außer Spezialeffekten und einer generischen Familiengeschichte nichts zu bieten hat, aber bei genauerem Hinsehen einen irgendwie fiesen kleinen Subtext besitzt. Habe ich dem Mann etwa Unrecht getan?

Die Wiederkehr

Als die ersten Bilder von einer Fortsetzung zu Independence Day auftauchen, die nach 20 Jahren ins Kino kommen soll, merke ich zu meinem eigenen Erstaunen: Meine Güte, irgendwie habe ich Bock darauf! Wird mal wieder Zeit für einen bunt-bekloppten Weltuntergang! Also schaue ich mir den Film an – und siehe da: Das Teil macht Laune. Sogar sehr. Nein, die Story und die Charakterisierungen sind natürlich kein Stück besser. Und die Effekte, die damals so abgefeiert wurden, sind größtenteils veraltet. Aber: Was damals so blöd schien, wirkt heute allenfalls liebevoll-naiv. Und was damals so langweilig schien, hat inzwischen eine wohlige 90er-Nostalgie-Patina angesetzt. Hat bei mir die Alters-Milde eingesetzt?

Independence Day – Die besten Sprüche


Witzige Oneliner oder schmerzhafte Augenroller – je nach Sichtweise sind die Dialoge in Independence Day gereift oder vergammelt. Zweifellos bleiben die Sprüche und Gags aber gut im Ohr.



  • „Hoffentlich bringen sie uns Elvis zurück!“

  • „Bitte schießen Sie nicht mit Handfeuerwaffen auf die Raumschiffe. Sie könnten damit einen interstellaren Krieg auslösen.“

  • „Noch irgendwelche Fragen?“  – „Nein, Sir! Ich kann’s kaum erwarten, E.T endlich in den Arsch zu treten.“

  • „Lass uns die Reifen heizen und nicht mit Feuer geizen, Big Daddy!“

  • „DAS nenne ich eine unheimliche Begegnung.“

  • „Weißt du, das sollte mein freier Tag werden. Aber nö, jetzt muss ich deinen schweren Arsch durch die glühendheiße Wüste schleppen, und deine Dreadlocks hängen hinten aus meinem Fallschirm raus.“

  • „Mr. President, das ist so… nicht ganz… korrekt.“

  • „Zwei Worte: hundertprozent glaubwürdiges Dementi.“

  • „All you need is Love – John Lennon. Toller Mann. Von hinten erschossen. Ein Jammer.“

  • „Heute feiern wir unseren Independence Day!“

  • „Es ist Zeit für die Fat Lady!“
Independence Day-Blu-Ray auf Kissen
Lichtgestalt, auf Kissen gebettet: Nach mehr als 20 Jahren erstrahlt Independence Day im Glanz der Nostalgie als naive Sci-Fi-Wundertüte.

Jeff Goldblum ist im Film natürlich nicht gealtert. Bill Pullman auch nicht. Will Smith hat sogar noch Segelohren und die Handys haben ausziehbare Antennen. Es sind Röhrenbildschirme zu sehen, das Fernsehen gilt noch als Medium Nr. 1, und im Hintergrund spielt sich noch immer R.E.M. mit „It’s the End of the World as we know it“ ins Ohr. And I feel fine! Es gibt kein Internet, kein Social Media, keine ADHS-Kids mit Smartphones. Was stattdessen geblieben ist, sind die Erinnerungen an den alten Kinobesuch, die allseits bekannten Bilder und der symphonische Soundtrack von David Arnold.

Dass sich die Welt inzwischen irgendwie gewandelt hat, macht sich abseits aller Nostalgie bemerkbar: Außer mir hat niemand mehr Bock auf Weltuntergang à la Emmerich. „Independence Day? War das nicht dieser schlechte Film aus den 90ern? Brauche ich nicht, auch keine Fortsetzung“, so die weit überwiegende Meinung aus meinem realen und virtuellen Umfeld. Moment mal, sind das die gleichen Leute, die damals vor der Leinwand so abgegangen sind? Das alte Publikum ist plötzlich kritisch geworden und das junge Publikum wartet im Jahr 2016 statt auf „ID4.2“ lieber auf Captain America 3 und Doctor Strange (1).

Es kommt also, wie es kommen muss: Während Independence Day damals noch mehr als das Zehnfache seines 75-Millionen-Dollar-Budgets einspielt, wird der Nachfolger Independence Day: Resurgence zum Flop. Dabei ist der doch genauso bunt und genauso doof! Irgendwie schade. Was bleibt? Zunächst mal hat es Emmerich geschafft: Wie sein Vorbild Unheimliche Begegnung der dritten Art geht auch Independence Day dank seiner Bilder in die Kinogeschichte ein.

Und dann hat der Streifen noch eine ganz persönliche Tradition begründet: Jedes Jahr pünktlich zum 4. Juli schicke ich einem guten Bekannten in den USA die Pathos-triefende Rede „seines“ Präsidenten Bill Pullman. Quasi als kleines virtuelles Augenzwinkern. Und ich bin mir sicher: Der Empfänger „freut“ sich jedes Mal ganz ungemein über die Grüße à la Independence Day

5 comments

  1. Sehr sehr schön geschrieben und ich Stimme dir in allen Punkten zu, oje was war das für ein Erlebnis und ich könnte noch nie die Leute verstehen, die den Film so abgöttisch geliebt haben oder es immer noch tun. 👌🙄😊

    1. Hallo Nico,

      vielen Dank für die Blumen, das freut mich sehr.

      Ja, damals war das wohl einfach der Hype, da stand der Film für „Party!“. 😉 Heute scheinen das viele Leute etwas anders zu sehen…

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