Ficken, ficken, ficken… Aaach, das wollten wir schon immer mal schreiben. Ein kleiner postpubertärer Spaß, sorry. Naja, wir haben Sex Education gesehen, es sei uns verziehen. Die Serie dreht sich aber nur vordergründig um die körperliche Liebe – und offenbart dabei richtige 80er-Qualitäten.
Schon mal einem Jungen beim – Pardon! – Wichsen zugeschaut? Und sich darüber gefreut? – Bitte nicht antworten, das ist eine rhetorische Frage! Dabei geht es um Folgendes: Otis wichst. Und zwar heftig. Da legt der Teenager endlich Hand an sich selbst, wie Teenager das gerüchteweise nun mal tun, und geht ziemlich steil. Die Gesichtsausdrücke, die der Gute dabei in die Kamera hält, sind unbeschreiblich und unbeschreiblich witzig. Doch warum sollte man sich als Zuschauer nun darüber freuen? Nun, weil der kleine Masturbationsakt für unseren Protagonisten einem kleinen Befreiungsakt gleichkommt. Denn das alles geschieht am Ende einer Serienstaffel, und bis dahin haben wir Otis mehrere Episoden lang durch die hormonellen Irrungen und Wirrungen des Teenager-Daseins begleitet. Der Gute ist reichlich verklemmt unterwegs, aber endlich scheint es mit dem weiblichen und nicht zuletzt mit dem ganz eigenen Geschlecht zu klappen.
Sex Education gelingt insofern schon ein kleines Kunststück. Rein oberflächlich geht es – the name is the game – um Sex, vorzugsweise pubertären, den aber in allen Spielarten. Also Kram, der irgendwo im Spannungsfeld zwischen höchst anrüchig und oberpeinlich schwankt. Worüber man nicht redet, sich allenfalls lustig macht. Das betrifft nicht nur Onanie-Otis. Gleich in der ersten Sequenz der Serie sehen wir den jungen Adam und seine (Noch-)Freundin Aimee beim Liebesakt, rhythmisch wackelnde Brüste und Dirty Talk inklusive. Nur kann der gute Adam nicht zum Sch(l)uss kommen und täuscht den Orgasmus vor. Da wäre Olivia, die zwar keine Hemmungen hat, ihren flüchtig wechselnden Freunden einen Blow-Job zu verpassen. Die sich dabei aber immer übergeben muss. Oder Lily, der es nicht an Fantasie und Entschlusskraft mangelt, sich mal so richtig – wieder Pardon, aber sie würde es auch so formulieren: – aufbocken zu lassen. Deren Vagina im entscheidenden Moment allerdings dichtmacht.
Sex Education umfasst bislang zwei Staffeln à acht Folgen (eine dritte Staffel ist bereits bestellt). Diese zwei Staffeln sind prall gefüllt mit denkwürdigen und schööönen (mit drei „ö“!) Momenten. Wir versuchen uns mal daran, unsere zehn Highlights zu benennen. Vorsicht, eventuell sind Spoiler enthalten!
1. Gillian Anderson im Nachthemd: Sorry, das betrifft keine spezielle Szene, doch wir müssen es einfach mal festhalten. Gillian Anderson ist eine wunderschöne Frau und spielt die Rolle der Sextherapeutin und dominanten Mutter Jean Milburn (Milfburn, höhö – sorry, den Gag hat sie selbst schon gemacht) ganz hinreißend. Highlights sind dabei sicherlich die Szenen, in denen sie gerne mal im Nachthemd auftaucht.
To be continued…
Sexunterricht zum Verlieben
Felatio, Impotenz, Vaginismus, Homosexualität und Fetisch-Kram – die ganzen Spielarten und Ausprägungen der körperlichen Liebe gehen den Teenagern in Sex Education recht locker von der (und über die) Zunge. Sex Education präsentiert das alles allerdings so selbstverständlich bis unschuldig, dass man sich in die Serie – das geben wir mal ganz offenherzig und unreflektiert zu – schlicht verlieben muss. Doch darf man das als nerdig gebliebener Vertreter der Generation X eigentlich so ganz unumwunden zugeben? Oder wird man damit in die Schmuddelecke dieser Bravo-lesenden Mittvierziger gerückt, die im Freibad immer zu den 17-jährigen Damen im Bikini rüberschielen? Wir sagen mal ganz selbstbewusst: Ja, man darf! Und das hat auch einen Grund. Oder gleich mehrere. Denn Sex Education versprüht ein nicht gerade geringes 80er Jahre-Flair und folgt damit einem Altmeister der Teenie-Dramödie aus eben jener Dekade – als wir auch noch Teenies waren.
In diesem Sinne stellen wir mal ein Zitat von David Bowie voran, wie sich das gehört:
„And these children that you spit on
As they try to change their worlds
Are immune to your consultations
They’re quite aware of what they’re goin‘ through“ – David Bowie, „Changes“
Teenie-Dramödie nach dem Lehrbuch
Um kurz das Setting zu klären: In Sex Education befinden wir uns an der Moordale Secondary School, einer fiktiven Lehranstalt. Die ist zwar im England unserer Zeit angesiedelt, könnte sich aber genauso in den Vereinigten Staaten der 80er Jahre befinden. Schließlich fährt kaum ein Auto durchs Bild, das jünger ist als 1990. Und schließlich gibt es die Sportskanonen mit den üblichen amerikanischen College-Jacken der Schulauswahl. Wie auch immer. Nerd Otis geht dort zur Schule und hat so seine Probleme mit der Damenwelt. Zwar weiß er alles über Genitalien und ihre Verwendung, da seine Mutter Jean als Sexualtherapeutin arbeitet. Doch ist Otis selbst reichlich verklemmt unterwegs. Kindheitstrauma, kann man sich ja denken. Das ändert sich, als er die hübsche Maeve kennenlernt, das scheinbar unerreichbare Bad Girl der Schule. Die überredet ihn nämlich dazu, mit seinem Fachwissen eine heimliche Sexualberatung für ihre recht umtriebigen Mitschüler aufzuziehen.
2. Bekanntschaften bei der Abtreibung: Eine denkbar traurige Situation – die ungewollt schwangere Maeve will abtreiben und wartet in der Klinik auf ihre OP. Dann taucht plötzlich die aufdringliche Mitpatientin Cynthia auf. Doch so nervig die gute Cynthia zunächst scheint, so tragisch ist doch eigentlich ihre Figur. Tolle Szene mit ihr, Maeve und einem Schoko-Pudding.
Was darauf folgt, ist eine Teenie-Dramödie nach dem Lehrbuch. Aber nicht nach irgendeinem Lehrbuch, sondern nach dem Regelwerk von John Hughes. Für die Spätgeborenen: John Hughes war Regisseur und Autor. Er drehte und schrieb in den 80er Jahren sechs Filme, die sich mit dem Wohl und Wehe von Teenagern beschäftigten: Sixteen Candles, Breakfast Club, Weird Science, Pretty in Pink, Ferris Bueller’s Day Off und Some Kind of Wonderful. Diese bemerkenswerte Serie verlieh Hughes den besonderen Ruf, der Versteher und das Sprachrohr der Jugendlichen in den 80ern zu sein. Quasi der Shakespeare der Popper und Punks. Womit wir beim Zitat von David Bowie wären: Der Textauszug aus dem Song „Changes“ fungierte im Jahr 1985 als Intro und Leitmotiv für den Film Breakfast Club. Und gab damit vor, wohin die Reise geht: Die Teenager im Film wurden nicht bloßgestellt wie etwa noch in der fummeligen Eis am Stiel-Reihe, sie wurden vielmehr ernstgenommen. Doch der Reihe nach…
3. Der soziale Druck: Der schwule Eric will an seinem Geburtstag das Kult-Musical Hedwig and the angry Inch sehen. Und hat sich dazu herausgeputzt wie die Drag-Queen in dem Stück. Was für einige homophobe Schläger Grund genutzt ist, Eric ein Abreibung zu verpassen. Traurige Konsequenz: Eric kleidet sich fortan nicht mehr wie ein Paradiesvogel, sondern ganz normal – und verliert damit jeglichen inneren Glanz.
1. Eine Highschool ist wie die andere
Wenn man sich Sex Education anschaut, dann kommt einem das Personal unheimlich bekannt, ja, beinahe klischeehaft vor. Da gibt es spargelige Außenseiter wie Hauptfigur Otis, es gibt die schroffe Schönheit wie Maeve, die gutgebaute Sportskanone wie Jackson, den Anarcho-Haudrauf wie Adam oder die abgehobene und unantastbare Schul-Schönheit wie – wahlweise – Aimee, Ruby oder Olivia, die zu den sogenannten „Untouchables“ gehören. Die Bitches also. Die Konstellation kommt aber nur deshalb so gut- und altbekannt vor, weil es sie beinahe eins zu eins schon vor 35 Jahren gegeben hat. Der Anarcho John, die Prinzessin Claire, der Athlet Andrew, der Nerd Brian oder die schräge Allison, sie alle fanden sich in The Breakfast Club. Und in der einen oder anderen Variante auch in den anderen Hughes-Komödien.
Die Betrachtung liegt nun in den Nuancen. Denn diese Figuren sind keine Klischees, als die man sie heute vielleicht wahrnimmt. Hughes schuf damals vielmehr so etwas wie Highschool-Archetypen und legte damit das Personal fest, das später auch regelkonform in Teenie-Komödien wie American Pie oder 10 Dinge, die ich an dir hasse auftreten sollte. Was es im klassischen Volksmärchen und später bei Herr der Ringe bis Harry Potter gab, nämlich die klassischen Rollenfiguren vom jugendlichen Helden bis zum weisen Mentor, das findet sich in abgewandelter Form auch bei Hughes. Nur eben in Highschool-Hausen und nicht in Mittelerde. Soweit die Oberfläche…
4. Haben wir nicht alle eine Vagina? Das Bild eines peinlich behaarten weiblichen Geschlechtsteils geht um an der Moordale Secondary. Und ein anonymer Fiesling will veröffentlichen, welcher Mitschülerin dieses Teil gehört. Doch bei der resultierenden Schulversammlung demonstrieren die Schüler Zusammenhalt und behaupten einfach alle (auch die Herren), dies sei ihre Vagina – Problem gelöst.
2. Teenager sind auch nur Menschen
Unter der Oberfläche wird es dann schon deutlich differenzierter. Pubertierende Teenager, so lernte man im Frühstücksclub, waren keine anonymen Monster, die rund um die Uhr an Sex oder Revolte denken. Im Breakfast Club fand sich ein höchst heterogenes Trüppchen Heranwachsender zum Nachsitzen zusammen, das im Laufe eines Nachmittags seine Klischee-Rollen ab- und einen ziemlichen Seelen-Striptease hinlegte. Dabei wurde deutlich: Teenager sind auch nur Menschen, und zwar mit ganz greifbaren Problemen. Warum der eine zum Außenseiter wird und der andere zum Überflieger – dahinter stehen Stress mit den Eltern, Leistungsdruck, Selbstzweifel, Selbstaufgabe. Und die pubertären Hormone sorgen auch noch dafür, dass der ganze Kram mit reichlich Drama überkocht. Am Ende vom Breakfast Club ist von den Highschool-Archetypen nicht mehr viel übrig. Die Protagonisten erkennen, dass jeder von ihnen sein Päckchen zu tragen hat. Das macht menschlich, das schweißt zusammen. Klingt vielleicht kitschig, ist aber schön – vor allem wenn die Simple Minds dazu spielen.
In Sex Education ist das gar nicht so viel anders. Otis leidet an einem mittelschweren Kindheitstrauma, weil er seinen Vater damals beim Fremdgehen beobachtet hatte. Bad Girl Maeve schleift ihre kriminelle und drogenabhängige Familie wie eine Bleikugel mit sich herum. Der schwule Eric hadert mit seiner Familie und seiner Rolle in der (Teenie-)Gesellschaft. Der Überflieger Jackson wird eigentlich nur fremdgesteuert von seinen ehrgeizigen Eltern und ist kreuzunglücklich. Und der aggressive Adam leidet unter der Gefühlskälte seines dominanten Vaters und wird immer stiller und in sich gekehrter. All diese Lebensläufe kreuzen sich in der Schule, man gerät aneinander, kommt ins Reden, lernt sich kennen und hält letztlich in diversen Lebenslagen zusammen. Besonders deutlich wird die (bewusste) Parallele zum Frühstücksclub gegen Ende der zweiten Staffel: Da dürfen die Protagonistinnen allesamt nachsitzen und finden trotz ihrer Unterschiede zusammen. Da ist vielleicht eine kleine Girl Power-Message eingearbeitet, aber schön ist das trotzdem – auch ohne Simple Minds.
5. Jean und Jakob: Ach, man muss es einfach festhalten… Jean hat ständig wechselnde Sexpartner und will sich an keinen Mann binden. Beim Klempner Jakob wird sie trotzdem schwach. Wunderbare Szene, als der ihr den „Kopf wäscht“ und ihr sagt, dass es ihn nur mit fester Beziehung gibt und nicht anders. Klare Ansage…
Der Sex, der im Titel Sex Education vorkommt, ist in der Serie übrigens Haupt- und Nebensache in einem. Die meisten Probleme der Jugendlichen offenbaren sich im Gegensatz zu den Hughes-Filmen weniger beim Nachsitzen oder Blaumachen. Sondern oftmals bei einem initialen Geschlechtsakt pro Folge. Da wäre das Pärchen, das beim Verkehr einen kleinen Haushalts-Unfall erlebt. Denn sie will nur im Dunkeln, weil sie ihren Körper hasst. Oder da wäre der unglücklich Verliebte, der so vernarrt ist in ein Mädchen, dass er ein „Nein!“ weder versteht noch akzeptiert und gegen Ende der ersten Staffel beinahe zum Stalker wird.
3. Die richtigen Vibes
Es erscheint eigentlich so selbstverständlich, dass man es fast gar nicht mehr erwähnen muss. Aber es war ein wesentlicher Bestandteil jeder John Hughes-Komödie: Zu einem Film über Jugendkultur gehört…? Genau, dazu gehört auch die richtige Jugendkultur. Sprich: die Musik. Kennt jemand noch die Psychedelic Furs? Britische Band, Punk-Rock, starke Bowie-Einflüsse, veröffentlichten 1981 einen Song namens „Pretty in Pink“. Der Titel verrät es, das Stück diente als Inspiration für Hughes‘ gleichnamigen Film mit Molly Ringwald. Sowieso bediente sich der Regisseur / Autor gerne der britischen New Wave von OMD bis New Order. Im Frühstücksclub machte er die besagten Simple Minds berühmt mit „Don’t you forget about me“. Und in Ferris Bueller’s Day Off folgte er vielleicht am stärksten dem in den 80ern angesagten MTV-Stil, indem er Yellos „Oh Yeah“ unter die Autofahr-Szenen legte. Weird Science präsentierte übrigens eine wirklich „weirde“ Mischung von Kim Wilde über Oingo Boingo bis Killing Joke.
6. Kaputt, kaputt, kaputt: Adam wird stiller und stiller. Schuld ist sein dominanter Vater, der jegliches Potenzial in dem jungen Mann verkennt. Wie sich (für ihn und für uns) herausstellt, ist Adam schwul und fühlt sich zu Eric hingezogen. Nur ist es ihm selbst unmöglich, das öffentlich zu machen. Stattdessen „entführt“ er Eric nachts auf einen Güterbahnhof, wo beide ihren Frust und Spaß herauslassen, indem sie lauter alten Kram kaputtmachen. Irgendwie strange, irgendwie zärtlich und irgendwie sehr traurig.
Liefert Sex Education nun seinerseits einen zeitgenössischen Soundtrack? Irgendwas aus dem Spannungsfeld zwischen Lady Gaga, Billie Eilish und Gangster-Rap? Und wenn es gefühlig werden soll noch ein bisschen Coldplay? Nope! Nichts davon. Sex Education fühlt sich nicht nur so an wie seine Vorbilder aus den 80ern, es klingt auch so. Selbst die Psychedelic Furs tauchen dort wieder auf, allerdings mit dem Song „Heaven“. The The singen „Uncertain Smile“, a-Ha sind mit „Take on me“ dabei, die Talking Heads mit „Road to Nowhere“, INXS mit „New Sensation“ und Billy Idol mit „Dancing with myself“. Überflüssig zu sagen, dass man Songtitel wie den Letzteren auch in übertragenem Sinne verstehen darf, wenn Otis… nun ja, wir erwähnten es schon. Jedenfalls bekommt man die feinste Chart-Ware aus den 80ern im Sekundentakt um die Ohren gehauen.
Reine Zitatesammlung? Nicht ganz. Zum einen spiegeln die Songs das Geschehen auf der Mattscheibe. Zum anderen verfremden sie die Handlung auch, weil diese immerhin in der Gegenwart angesiedelt ist. Und so ganz verlässt sich Sex Education dann doch nicht nur auf den alten Kram. Schließlich schrieb der Songwriter Ezra Furman – nur am Rande erwähnt: ein bisexueller Transgender – ein, zwei Handvoll Songs für den Soundtrack. Darunter unter anderem das Stück „Every Feeling“, beinahe so etwas wie ein Leitmotiv für die Serie.
7. Die inneren Werte: Viv ist eine Außenseiterin, wie sie im Buche steht: extrem intelligent, aber weit entfernt von schlank und grazil. Und mit dem Ehrgeiz eines Roboters ausgestattet. Ausgerechnet sie darf Sportskanone Jackson Nachhilfe geben – und bringt ihm ganz nebenbei Shakespeare näher. Und dabei wiederum kommen sich die beiden näher. Ob das eine enge Freundschaft bleibt oder mehr wird? Mal abwarten.
4. Die Erwachsenen und die „anderen“
In ein, zwei Punkten geht Sex Education dann aber doch über die Hughes-Vorbilder hinaus und spiegelt heutigen Zeitgeist. Da wären zunächst mal die Erwachsenen. Bei John Hughes… existierten sie gar nicht. Zumindest nicht so richtig. Entweder waren sie autoritäre Arschlöcher, sprich: Lehrer. Wie etwa die Aufsichtsperson Richard Vernon im Frühstücksclub (der mit den Klamotten von Phil Collins) oder der Schuldirektor Edward R. Rooney in Ferris Buellers freiem Tag (der mit dem diabolisch-verkniffenen Grinsen aus Howard und Beetlejuice). Oder sie sind schlicht Idioten wie Ferris‘ Eltern oder Andies Vater in Pretty in Pink. Nicht umsonst hatte Hughes seinen größten Hit mit einem Film, der von der kompletten Abwesenheit von Erwachsenen handelt: Home Alone.
8. Eine Busfahrt, die ist lustig… Aimee wird bei einer Busfahrt sexuell missbraucht, ein Fremder befriedigt sich im Gedränge an ihr. Die Gute weiß gar nicht, wie ihr geschieht, entwickelt aber in der Folge ein Trauma, das es ihr auch unmöglich macht, wieder in einen Bus zu steigen. Später, bei einem Nachsitzen, kommen sich die gegensätzlichen Maeve, Olivia, Ola, Lily, Viv und Aimee näher und entdecken Gemeinsamkeiten. Ehrensache, dass die Frauentruppe auch zusammen mit Aimee in den Bus steigt – vorhersehbar, aber emotional packend.
Sex Education erweist diesen ausgewachsenen Knallköpfen wenigstens eine Referenz: Der Schuldirektor der Moordale Secondary, Michael Groff, ist in seiner Arschlochhaftigkeit gut vergleichbar mit Edward Rooney. Und auch wieder nicht: Rooney ist eher Comicfigur, Groff dagegen ein komplex gezeichneter Machtmensch. Der genießt seine Autorität über Familie genauso wie Schule und spielt diese hemmungslos aus – bis er an seine Grenzen stößt. Die übrigen Erwachsenen und ihre Geschichten stehen nicht minder gleichberechtigt neben den Teenies der Serie. Allen voran die Sextherapeutin Jean, die ungern die Kontrolle über ihren Sohn Otis abgibt, ihn als Studienobjekt missbraucht – und die sich in ihrer Romanze mit dem Handwerker Jakob wider besseren Wissens genauso dumm anstellt wie das jugendliche Personal an der Schule. Übrigens: Jean und Jakob sind ganz großartig besetzt mit Gillian Anderson und Mikael „Commander Hamilton“ Persbrandt.
Eine große Kritik, die sich John Hughes gefallen lassen musste, war der Handlungsort seiner Filme: der fiktive Vorort Shermer mit seiner weißen Mittelklasseschicht und mit seinen weißen Mittelklasseproblemen. Afroamerikaner, Asiaten oder Latinos schienen in diesem blankgeputzten Ort nahe Chicago nicht zu existieren, finanzschwache Mitmenschen sowieso nicht. Wir wollen keine böse Absicht unterstellen, nur sagen: Sex Education wetzt die Scharte aus. Der Handlungsort der Serie ist absolut unbestimmt. Und die Zusammensetzung der Charaktere ist im besten Sinne „divers“, sowohl was die Hautfarben angeht, den gesellschaftlichen Status als auch die sexuellen Orientierungen. Gerade Letzteres ist bei dem Serientitel auch zwingend notwendig.
9. Adam und Ola: Es läuft nicht gut für Adam. Der junge Mann kriegt immer mehr Druck von seinem Vater, er wird stiller und stiller. Schließlich versagt er sogar bei einem Hilfsjob als Supermarktverkäufer und wird gefeuert. Seine „Kollegin“ Ola nimmt ihn in Schutz und wird deshalb ebenfalls gefeuert. Als Adam sie fragt, warum sie das getan habe, antwortet sie, das mache man halt unter Freunden. Adam wird bewusst, dass er doch nicht so ganz allein dasteht – und umarmt Ola spontan. Persönliches Highlight, tolle Szene.
Pervers, divers, feminisiert, nichts kapiert
Sowieso: Was das Miteinander der Geschlechter angeht, ist Sex Education ganz im Hier und Jetzt. Und das ist auch gut so, um mal ein berühmt gewordenes Zitat zu benutzen. Schließlich gibt es keinen rationalen Grund, warum Themen wie Heterosexualität, Pansexualität oder Asexualität unter dem Deckmäntelchen „sauberer“ Unterhaltung verborgen bleiben sollten. Die Serie ist sich ihrer „Verantwortung“ auch durchaus bewusst, wenn sie diverse und queere Themen in den Mittelpunkt stellt. Das reicht von der Anal-Dusche über verprügelte Schwule, ungewollte Schwangerschaften und starke Frauenbünde bis zum sexuellen Missbrauch während der Busfahrt. Vor allem in der zweiten Staffel fällt dann auch auf, dass die Herren im Jahr 3 nach #metoo ihre weiblichen Gegenparts immer erst fragen, ob es ok ist, bevor sie in gegenseitigem Einvernehmen intim werden. In den 80ern gab es das nicht.
10. Besoffen im Wald: Es muss nicht immer anspruchsvoll sein. Otis startet zusammen mit seinem Vater Remi und Freund Eric zur Campingtour, und dabei geht so einiges schief. Schließlich stolpert man zusammen total betrunken im strömenden Regen durch den Wald und versucht, ein Zelt aufzubauen. Klar, dass die Slapstick-Tour im Hotel endet.
Nur sollte man nicht den Fehler begehen und sich den Spaß an der Sache verderben, wenn man Sex Education zu sehr durch die Gender-Brille sieht. Die einen mögen eine neue Qualität in der Darstellung männlicher Jugendlicher erkennen, die sich ganz sensibel ihres „Testosteron-Korsetts“ entledigen. Was aber wirklich nichts Neues ist, da sei auch noch mal an den Breakfast Club erinnert. Und dann gibt es zwangsläufig die anderen, die das vielleicht alles zu sehr „PC“ (also politisch korrekt) finden und eine Anbiederung an neue gesellschaftliche Konventionen sehen. Beiden Lagern sei gesagt: mal locker durch die Hose atmen. Vielleicht ist es auch einfach nur so, dass die Serie ihre Figuren ernst nimmt und eine hübsche Form von Offenheit und Toleranz präsentiert, die sich jeder mal zu Herzen nehmen sollte (ja, ja, Wort zum Sonntag, ich weiß…).
Im Star Trek-Universum gibt es nicht nur das uns bekannte Universum. Trekkies wissen, dass es auch noch eine gewisse Gegenwelt gibt, nämlich das Spiegeluniversum. Darin ist alles ein wenig ins Gegenteil verkehrt: Wer in unserer Welt gut ist, der ist dort ein düsterer Drecksack. Nun scheint es so, dass die Serie Sex Education auch so ein dunkles und böses Pendant besitzt, und das ist die Serie The End of the f***ing World. Dabei handelt es sich um eine Adaption eines Comics, und die beschäftigt sich ebenfalls mit den hormonellen Verwicklungen zweier Teenager. Gewissermaßen: James ist ein Psycho, zumindest denkt er das. Kindheitstrauma, man kennt das ja. Konsequenz: Er bringt spaßeshalber Kleintiere um die Ecke und will endlich auch mal einen Menschen töten. Dafür sucht er sich ausgerechnet die Rebellin Alyssa aus – die mit ihm durchbrennen und zu ihrem geschiedenen Vater reisen will. Natürlich geht alles schief, und zwar auf die fiese Art.
The End of the f***ing World bringt es auf zwei Staffeln. Und wenn man Sex Education und eben diese Serie hintereinander wegschaut, dann mag man sich verwundert die Augen reiben. The End… spielt zwar auch in England, aber es könnten ebenfalls der amerikanische Norden genauso wie Neuseeland sein. Die Handlung spielt im Hier und Jetzt, aber von den Autos, die zu sehen sind, ist auch keines später als in den frühen 90ern gebaut. Und… naja, und die Klamotten der auftretenden Figuren sind nicht nur irgendwie altmodisch, sondern grundsätzlich eine Nummer zu groß – schöner Verfremdungseffekt. Überflüssig zu erwähnen, dass die Hauptcharaktere auch ganz wunderbar treffend besetzt sind. Lange Rede, kurzer Sinn: anschauen lohnt!