John Hiatt lädt zum Konzert! John wer? Na, für den einen der größte Songwriter aller Zeiten. Für die andere ein spröder Musiker im fortgeschrittenen Alter. Zwei Perspektiven aus Groningen…
Drive South – aber gerne!
FrankS Bericht
Ist. Das. Großartig! Und das ist jetzt absolut objektiv gemeint, natürlich. Da steht doch tatsächlich John Hiatt vor mir! Also über mir, nämlich auf der Bühne. Beinahe zum Anfassen nahe. Die Akustik-Klampfe im Anschlag, leicht in den Beinen wippend, mit der typisch-quäkigen Stimme und – im Scheinwerferlicht gut zu sehen – leicht feuchter Gesangsart. „Drive South“ heißt der erste Song, und ich nehm´s wörtlich und mache mich nur zu gerne auf in Richtung Süden, also nach Hiatt-County quasi. Dort angekommen, gibt es auch schon den nächsten Song, die Geschichte von „Trudy and Dave“. Neben mir wird mitgesungen, hinter mir geschrien: „John, you´re so welcome!!!“ Mit drei Ausrufezeichen. Geil!
„Alter Sänger – altes Publikum. Die Logik geht auf: Ich gehöre zu den jüngsten Zuhörern in der Halle. Naja, Kunststück, wenn alle anderen 50 plus sind.“
Was ich aus dieser Nähe auch sehe: Der Mann da vor mir ist 65 Jahre alt. Und die sieht man ihm auch an – was aber völlig egal ist. Denn erstens tritt Hiatt immer wieder mit einem spitzbübischen Grinsen ans Mikro, das sagt: „Hey, ich habe Bock auf den Gig!“. Und zweitens ist Rock gesund und hält jung. Oder warum sonst sind so viele Rockmusiker so alt? Genau. Außerdem hat das Ganze auch noch einen netten Nebeneffekt: An diesem Abend greift die Logik „alter Sänger gleich altes Publikum“. Was für mich bedeutet, dass ich zu den Jüngsten in der Halle gehöre. Rund um mich grooven ergraute Damen und Herren jenseits der 50. Bis auf den Frühzwanziger neben mir. Oder das heitere Trio Mittdreißiger da vor mir. Die wissen immerhin, was gut ist.
Hiatt feiert mit der Tour, die ihn auch in die Niederlande und damit an diesem Abend nach Groningen führt, Jubiläum. Vor 30 Jahren brachte er das Album „Slow Turning“ heraus und hat dessen Songs nun komplett auf die Setliste gepackt. Da gibt es das schnelle „Tennessee Plates“, das krachige „Paper thin“ oder das gospelige „Is Anybody there?“, das auch bestens ohne Gospel-Chor funktioniert. Sowieso: Für Balladen ist an diesem Abend kaum Platz. In nur knappen Überleitungen erzählt Hiatt vom (netten) Streit mit der Frau und vom Autoklauen, dann stimmt er auch schon den Klassiker „Riding with the King“ an, den bereits Eric Clapton und B.B. King gecovert hatten, oder lässt zu „Memphis in the Meantime“ die Schultern kreisen wie ehedem Elvis.
„Geschichten von Ehestreit und Autoklau – für Balladen ist an diesem Abend kaum Platz.“
Regelmäßig schaue ich übrigens rüber zu meiner weiblichen Begleitung. Zugegeben mit einem klitzekleinen schlechten Gewissen, vielleicht einem zu kleinen schlechten Gewissen. Ich weiß, dass das nicht „ihre“ Musik ist. Aber da sie die beste bessere Hälfte der Welt ist, hat sie den Trip aufopferungsvoll mitgemacht. Mag sie´s? Mag sie´s nicht? Ist das da ein bisschen Anerkennung für Hiatts grandiose Background-Band, the Goners? Und wer kann denn nicht begeistert der großartigen Arbeit von Slide-Gitarrist Sonny Landreth zuhören (der entfernt an den grauhaarigen Kunstlehrer erinnert, den wir alle mal gehabt haben)? Aber da! Lächelt sie doch, als Hiatt während der vielen Zugaben allein am Keyboard sitzt und „Have a little Faith in me“ spielt?
„Schön! Meine bessere Hälfte lächelt, als John Hiatt „Have a little Faith in me“ spielt.“
was tut man nicht alles…?
Dagmars bericht
Was tut man nicht alles für die Liebe? Klar: singen. Mit einer rauchigen, fast quäkigen Stimme. Und ganz offensichtlich schon viele Jahre, bis man so aussieht wie eine alte Frau und auch so klingt. Ja, ich geb´s zu: Zu John Hiatt habe ich keine enge Beziehung. Deshalb klingt das vielleicht hart, ist aber nicht so gemeint. Es steckt bestimmt eine Menge Handwerk, Seele und Lebenserfahrung dahinter, das muss ich schon zugeben. Trotzdem: Der Sound von John Hiatt trifft mich nicht so ganz ins Herz – bis auf eine Ausnahme, aber dazu später.
„Der Mann sieht aus wie eine alte Frau und klingt auch so – was nicht böse gemeint ist!“
Was mich allerdings bei weitem entschädigt, das sind die leuchtenden Augen meiner männlichen Begleitung, die seit mehr als 25 Jahren die Songs rauf und runter hört und eine halbe Ewigkeit gewartet hat, bis sich endlich die Gelegenheit zu diesem Konzertbesuch ergeben hat. Für ihn gehören Songs wie “Trudy and Dave“ und “Paper thin“ zum Leben dazu, und sie live vom „Meister“ zu hören und zu erleben – das hat schon was. Für ihn auf jeden Fall.
„Meine Begleitung hat eine halbe Ewigkeit auf dieses Konzert gewartet. Das hat schon was, vor allem für ihn.“
Da wiegt er sich gemeinsam mit den vielen älteren Gleichgesinnten im Publikum im Takt. Sachte, fast unmerklich, aber voll innerlicher Inbrunst. Eben „Slow Turning“. Das sind Musikfans der stilleren Sorte, und John Hiatt weiß sie mit Bodenständigkeit in Musik und Person zu begeistern. Auch wenn die Halle ausverkauft ist, wirkt es so, als ob der Sänger im eigenen Wohnzimmer steht, eben locker ein paar Songs runterspielt und dabei mit seinen Bandkollegen Spaß hat. Eigentlich gute Voraussetzungen, um in die Musik einzutauchen. Na ja, für mich ist es ein wenig zu solide. Der Funke will nicht so recht überspringen. Oder bin ich einfach zu jung und von der Radio-Mucke versaut, dass ich diese „echte“ Musik nicht erkenne?
Doch es besteht noch Hoffnung… Jetzt zu der angekündigten Ausnahme: der abgedunkelte Saal, die Scheinwerfer auf das Piano samt Sänger dahinter und dann „Have a little Faith in me“ – im Original von John Hiatt. Wer hätte das gedacht! Das ist ein besonderer Moment, im Arm des Liebsten. Genau deshalb wird dieses Konzert auch für mich eine schöne, nicht nur musikalische Erinnerung sein.
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