Ad Astra hat sich so einiges vorgenommen. Der Science-Fiction-Film von James Gray verhandelt kleine menschliche und große kosmische Fragen. Damit tritt er in immense Fußstapfen – und dürfte auch nicht jedem gefallen. – Vorsicht, Spoiler!

Ein Paar steht auf und geht. Etwa zur Hälfte des Films kommen die Leute neben uns wohl zu dem Schluss, dass Ad Astra nicht der Film ist, den sie sich versprochen hatten und den sie sehen wollten. Also packen sie ihre Cola und ihr Popcorn und verlassen den Kinosaal. Wenigstens tun sie dies leise. Dagegen beginnen während des letzten Filmdrittels einige Zuschauer irgendwo hinter uns zu reden. Ist ihnen der Streifen zu langweilig? Ich finde diese Beobachtungen deshalb bemerkenswert, weil ich das lange nicht mehr im Kino erlebt habe. Ist das ein Fall von falschen Erwartungen? Ad Astra ließ sich für das Publikum aber auch schwer einschätzen. Die Trailer taten eigentlich das, was immer gefordert wird: Sie verrieten wenig bis gar nichts über die Story. Die Bilder, die sie zeigten, waren beeindruckend, jedoch ohne Kontext nur schwer einzuordnen.

Ad Astra Filmplakat
Kleiner Schnappschuss vor dem Kino: Das Filmplakat zu Ad Astra ist genauso wenig aussagekräftig wie die Trailer. Die Scheiben vor den Aushängen dürfte das Kino gerne mal wieder glattpolieren. Rechts hat’s das Plakat zur Kinofassung von Downton Abbey mit einem hübschen Tippfehler.

Ist der Film von Regisseur James Gray (The Lost City of Z, The Yards) etwa eine Abenteuergeschichte im Weltraum wie Der Marsianer? Ein Überlebensthriller wie Gravity, bei dem man die Fingernägel in den Sitz krallt? Eine intergalaktische Entdeckungsreise wie zuletzt Interstellar? Oder, nur vielleicht, eine indirekte Fortsetzung des launigen Space Cowboys von vor 19 Jahren? Immerhin spielen Tommy Lee Jones und Donald Sutherland mit. Und Brad Pitt, der ja gerade im neuesten Tarantino so unheimlich lässig rüberkommt. Aber nein, so recht will Ad Astra in keines der bekannten Raster passen. Also muss man ausnahmsweise mal warten, bis im Kino das Licht ausgeht und die Geschichte beginnt – auf die Gefahr hin, enttäuscht zu werden.

Eine Reise ins Herz der Finsternis

Ad Astra ist zunächst mal wörtlich zu nehmen: Der Film ist ein Reisebericht – von einer Reise zu den Sternen. Roy McBride, gespielt von Brad Pitt, soll seinen seit rund 30 Jahren verschollenen Vater Clifford, gespielt von Tommy Lee Jones, wiederfinden. Er wird bis an den Rand unseres Sonnensystems geschickt. Und damit ins Herz der Finsternis. Seine Reise dokumentiert, was die Eroberung des Weltraums für die Menschen wirklich bedeutet: Je weiter sich Roy McBride von der Erde entfernt, desto feindlicher und leerer und unmenschlicher erscheint seine Umwelt. Der Mond, seine erste Station, wirkt noch vage vertraut. Die Menschen haben ihn zu einer billigen Kopie der Erde gemacht, geprägt von Konsum und Kommerz und kriegerischen Auseinandersetzungen rund um Landnahme und Rohstoffe.

Die Weiterreise zum Mars gestaltet sich dann schon ein ganzes Stück schwieriger. Um den langen Weg mental verkraften zu können, ist die Besatzung von McBrides Raumtransport auf kleine chemische Helfer angewiesen. Irgendwo im Nirgendwo begegnen sie einer einsamen Forschungsstation. Eines der Versuchstiere, ein Pavian, ist inmitten der Leere verrückt geworden: Der Primat ist ausgebrochen und hat alle Menschen an Bord umgebracht. Und der Mars, den McBride schließlich erreicht, hat mit der Erde gar nichts mehr gemeinsam. Der rote Planet ist ein karger und staubiger Felsbrocken, auf dem die Menschen nur in unterirdischen Gängen überleben. Ruheräume, in denen idealisierte Bilder der Heimat an die Wände projiziert werden, sind alles, was noch entfernt an die Erde erinnert.

Ad Astra Programmheft
Print is dead? Von wegen, die Programmhefte der örtlichen Kinos sind manchmal schon toll. Hier hat’s die Kurzbeschreibung zu Ad Astra – eingeklemmt zwischen dem neuesten Film von François Ozon und Werbung für Gemüsegärtner. Die abgedruckte Inhaltsangabe ist übrigens total gaga. Tja…

Und auf der nächsten Etappe zum Neptun bleibt dann gar nichts mehr außer einer kleinen Raumkapsel, außer dem Protagonisten selbst und den eigenen Dämonen, die er in sich trägt.

Eine Reise zu sich selbst

Was zur eigentlichen Story führt. Ad Astra ist im Kern eine Vater-Sohn-Geschichte. Ein menschliches Drama. Der Film dreht sich ganz wesentlich um die Figur des Roy McBride, und der ist ein ziemlich spezieller Protagonist: Er hat alles seinem Job als Weltraum-Ingenieur geopfert. Gefühle sind ihm fremd, so scheint es. Seine Ehe ist gescheitert, seine Beziehung zu anderen Menschen nur vorgetäuscht, am liebsten ist er allein. Er funktioniert einfach. Regelmäßig muss er sich psychologischen Tests unterziehen, und dort analysiert er nüchtern seinen „Status“, beinahe schon wie eine Maschine. Damit ist er seinem Vater ähnlich: Der verließ vor Jahren seine Frau und seinen Sohn für seine Arbeit – ein Forschungsprojekt zur Suche nach außerirdischem Leben tief im Weltall.

Solch ein Protagonist macht es dem Publikum nicht leicht. Denn wer nicht fühlt, bietet auch kein Potenzial zum Mitfühlen. Doch genau das ist die Geschichte: Weil dieser Roy McBride vom Vater verlassen wurde, wurden ihm jegliche zwischenmenschlichen Gefühle entzogen und damit die Möglichkeit, Gefühle für andere Menschen zu entwickeln. Erst als er sich auf die Suche quer durch das Sonnensystem begibt und letztlich mit seinem großen Dämon, nämlich seinem Vater konfrontiert wird, erhält er die Möglichkeit loszulassen. Alles, wofür sein Vater gelebt hatte, wofür er andere Menschen geopfert hatte, war sinnlos. Denn seine Arbeit hatte zum Ergebnis, dass es kein außerirdisches Leben gibt – die Menschen haben nur sich selbst. McBride wird bewusst: Sein Glück findet er nicht zwischen den Sternen, sondern daheim auf der Erde. So ist Ad Astra vielleicht ein kleines stilles Plädoyer für Liebe und Menschlichkeit, wenn auch mit einer bitteren Note.

Die überlebensgroßen Vorbilder

Ad Astra muss sich dabei den Vergleich mit zwei Klassikern des Kinos gefallen lassen: mit Kubricks Weltraum-Odyssee 2001 und mit Coppolas Apocalypse Now. Der Film schlägt sich dabei gar nicht schlecht: Wenn man mit Roy McBride unterwegs ist, wähnt man sich zuweilen mit Dave Bowman auf dem Weg zum Jupiter. Oder mit Captain Willard auf dem Weg zu Colonel Kurtz in dessen Reich des Wahnsinns. Ob Ad Astra nun besser oder – natürlich werden die Filmfans sagen: – schlechter ist als die übergroßen Vorbilder, das sei zunächst mal außen vor gelassen.

Wichtiger ist vielmehr: Der Film lässt sich in der gleichen Weise „lesen“, wie man eben auch die Klassiker rezipiert. 2001 wurde damals als audiovisuelles Erlebnis wahrgenommen – Bilder, Musik, Töne, davon haben sich die Zuschauer, darunter auch die Hippies unter Einfluss chemischer Substanzen, hinwegtragen lassen. James Gray hat als Kameramann Hoyte van Hoytema verpflichtet, der die jüngsten Filme von Christopher Nolan, darunter Interstellar, ins rechte Licht gesetzt hatte. Entsprechend imposant fallen die Bilder in Ad Astra aus. Mit zunehmender Reisedauer werden sie immer fremder und surrealer, sehen wunderschön und gruselig zugleich aus. Dabei liefert Ad Astra übrigens einige der interessantesten Set Pieces des Genres, etwa ein freier Fall von einer Weltraum-Antenne oder eine Verfolgungsjagd auf der Mondoberfläche.

Der Erklärtext zu den Bildern

Hinzu kommt die Musik. Die Neoklassiker Max Richter und Nils Frahm haben zusammen mit dem Hans Zimmer-Zögling Lorne Balfe einen ruhigen und reduzierten Score geschrieben, dem es schnell gelingt, eine Verbindung zu den Bildern zu schaffen. Einzelne Sequenzen in Ad Astra entfalten damit als rein audiovisuelles Erlebnis eine beinahe meditative Wirkung.

Sci-Fi-Filme
Helm auf! Wenn man es sich genau anschaut, dann sind schon eine ganze Menge aktueller Hollywood-Stars in den Raumanzug gestiegen. Ad Astra ist aber anders als viele Sci-Fi-Abenteuer der jüngeren Vergangenheit, vielmehr orientiert er sich an Kubricks 2001, auch wenn es nicht ganz so esoterisch wird. Im Hintergrund gibt’s etwas Weltraum-Romantik vom legendären Illustrator John Harris. Spectral Lines nennt sich das Gemälde und stammt aus dem Jahr 2011.

Doch ein bisschen wirkt es, als habe James Gray seinem eigenen Werk nicht getraut. Man muss sich bewusst machen: Ad Astra ist langsam erzählt. Und verliert gegen Ende, wenn Pitt nur noch alleine im All unterwegs ist, nochmals an Tempo. Die Bilder schaffen Verfremdung – mit dem Risiko, das Publikum zu verlieren. Und so darf Roy McBride, der eigentlich so unnahbar ist, den ganzen Film über aus dem Off erklären, was in ihm vorgeht, wie er seinem Vater gegenüber empfindet, wie er anderen Menschen gegenüber empfindet und was gerade auf der Leinwand geschieht. Dieser Off-Text ist nicht schlecht geschrieben, er ist hübsch melancholisch, manchmal sogar poetisch. Aber oftmals ist er auch banal und schlicht überflüssig. Da wirkt der Film so, als wolle er ein neuer 2001 sein – nur mit Bedienungsanleitung, damit ihn auch jeder versteht. Wäre man konsequent geblieben und hätte Bilder und Musik für sich sprechen lassen, es hätte Ad Astra sicherlich nochmals aufgewertet.

Kann man das heute noch bringen?

Mit Blick auf das Kinopublikum bei meiner Sichtung stellt sich mir dann noch eine abschließende Frage: Was wäre wenn… man einen Film wie 2001 – Odyssee im Weltraum oder wie Apocalypse Now heute in genau der gleichen Form ins Kino brächte? Klar, es gibt noch einige Kino-Philosophen, die regelmäßig die Frage nach dem großen Ganzen stellen. Terrence Malick ist einer davon, und der hat zufällig auch schon mit Brad Pitt gedreht. Aber würde das Publikum bei der psychedelischen Farbsequenz in 2001 während Bowmans letztem Flug gelangweilt beginnen, sich zu unterhalten? Würde es die langen dialoglosen Sequenzen im Film überhaupt durchsitzen? Wie würde es auf Colonel Kurtz oder die Szene mit dem Wasserbüffel reagieren, besäße Apocalypse Now noch nicht das Prädikat „filmhistorisch bedeutsam“?

Natürlich ist das eine Frage für sich, die vom Film Ad Astra wegführt. Aber sie zeigt, dass man sich auf Filme auch abseits des Erwartbaren einlassen kann und darf.

In Kürze: Ad Astra ist weniger ein Weltraum-Abenteuer als eine Reise ins Herz der Finsternis. Je weiter es ins All hinaus geht, umso tiefer taucht man in die Hauptfigur und ihre inneren Dämonen ein. Das verlangt streckenweise sicherlich Sitzfleisch. Und wird von dem erklärenden Off-Text leider etwas abgewertet. Wer sich jedoch auf die teils surrealen Bilder in Verbindung mit der Musik einlässt, wird belohnt.
Bewertung: 8 / 10 (mit leichten Abzügen in der B-Note)

 

 

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