Früher war alles besser – denn da war die Endzeit noch kaputt. Doch heute hat sich die Postapokalypse in Film und Serie irgendwie gewandelt. Sie ist so schön heimelig geworden…

Gräser, verfremdet
Natur mal anders: Das Endzeit-Genre hat seine grüne Seite entdeckt. Die Apokalypse spielt neuerdings gerne im Freien – und ist manchmal gar nicht so gruselig.

A Quiet Place – das war ein Horrorfilm. Richtig? Jetzt muss ich sagen, dass mich der Film doch ziemlich überrascht hat. Warum? Ganz einfach, weil er sich nicht wie ein Horrorfilm anfühlt. Ich gebe zu, es gibt zwei, drei Monster in dem Film, die nicht ganz so aussehen wie von dieser Welt. Aber die Bedrohung – ich hatte es ja beschrieben – könnte auch genauso gut von einigen realen Wildtieren kommen. Wenn ich also an die Sichtung von A Quiet Place zurückdenke, dann denke ich vor allem an eines: an ein Öko-Paradies. Oder zumindest an einen Bio-Bauernhof. Das Paar Blunt und Krasinski hat sich da seine eigene hübsche kleine Farm gebaut. Mitten im Grünen, weit weg von jeglicher Zivilisation. Schließlich, so suggeriert der Film, gibt es ja auch keine Zivilisation mehr.

Blunt und Krasinski und deren Kinder sehen in A Quiet Place ziemlich gut aus. Nicht nur gemessen an Endzeit-Maßstäben. Die Familie ist gesund, vital, propper. Das kommt vermutlich von dem Gemüse, das die Filmfamilie selbst anbaut: Die bestellt nicht nur große Weizenfelder, sondern hat sogar einen vertikalen Garten im Wohnzimmer angelegt, betreibt also quasi Urban Gardening, nur halt nicht urban. Die Kleidung ist auf eine rustikale Outdoor-Weise schick und immer sauber. Ja, selbst der Bart Marke Naturbursche, den der Krasinski da zur Schau stellt, ist top gepflegt und stets akkurat auf Länge gebracht. Und abends sitzt die Vorzeige-Familie in trauter Viersamkeit beisammen, die Kinder spielen artig Brettspiele auf dem Eiche-Massiv-Wohnzimmertisch, während sich Vater und Mutter ganz verträumt-verliebte Blicke zuwerfen. Also, wenn so die Endzeit aussieht, dann denkt sich doch bestimmt so mancher: Apocalypse Now!

Einsame Antihelden oder patriarchalische Alleskönner?

Mit anderen Worten: Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie früher einmal war. Denn früher, da war der Weltuntergang noch eine dreckige Angelegenheit. Da düsten Mad Max und seine vielen Nachahmer durch karge Wüstenlandschaften, die im besten Fall nur Sand zu bieten hatten und im schlimmsten Fall radioaktive Strahlung, Mutanten inklusive. Damals, da waren die Antihelden noch einsam unterwegs, allenfalls zusammen mit einem treuen Vierbeiner wie in Der Junge und sein Hund. Oder als militärisches Team auf der Straße der Verdammnis. Aber klar, damals herrschte auch noch der Kalte Krieg, da hätte jederzeit die Bombe fallen und die Erde zu einem kargen Felsbrocken sprengen können. Nicht umsonst ist bei Kubricks Dr. Seltsam von einer „Weltvernichtungsmaschine“ die Rede.

A Quiet Place entwirft – wie so viele Endzeit-Werke neueren Datums – ein etwas anderes Szenario. Da hat’s nur die Menschen erwischt, der Natur dagegen geht es besser denn je. Wenn es heute um Endzeit geht, wirkt das sogar eher wie ein Familientrip ins Grüne – mit Betonung auf Familie und auf Grün. The Walking Dead hat es doch vorgemacht: Polizist Rick ist der geborene Anführer, und als solcher führt er Frau und Kinder und gleich eine ganze kleine Gemeinschaft kreuz und quer durch die Wälder im beschaulichen Georgia, dem „Peach State“. Ok, jetzt ist The Walking Dead reichlich brutal und gewinnt den Reiz dadurch, dass regelmäßig Charaktere gebissen werden und danach selbst beißen, entweder andere Menschen oder ins Gras. Aber die Grundkonstellation – patriarchalischer Alleskönner, überschaubare Begleitung, viel sattes Grün drumherum – gibt es es hüben wie drüben.

Baum mit roter Markierung
Blutender Baum? Nicht unbedingt. Wenn man neuere Endzeit-Filme sieht, dann scheint es manchen Protagonisten gar nicht so schlecht zu gehen…
Immer gut vorbereitet sein!

Und nicht nur dort: Z for Zacharias war noch so ein Öko-Endzeitfilm. Oder Into the Forest oder in Serienform Jericho oder The 100 oder im Computerspiel DayZ oder The Last of us. Oder oder oder. Ein bisschen erinnert das Überleben nach der Apokalypse heute an Adam und Eva im Paradies, wenn auch mit Schrotflinte, Zombies und irren Baseball-Schläger-Fetischisten. A Quiet Place wirkt mit seiner idyllischen Selbstversorger-Mentalität sogar wie ein kleines Utopia für Prepper. Prepper, das sind diese Leute, die sich auf jede erdenkliche Art vor möglichen Katastrophen schützen wollen, die also heimlich im Garten Bunker bauen oder Lebensmittel einlagern oder auch Werkzeuge und Waffen.

Wenn man mal genau hinschaut, dann hat zumindest das amerikanische Zielpublikum im Laufe der Jahrhunderte so einige Erfahrung mit Prepping gemacht. Das reicht von der Nahrungsmittelknappheit während des Sezessionskriegs über die extreme Armut in Folge des Börsencrashs von 1929 bis hin zur Paranoia nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 oder dem nationalen Trauma des Hurrikans Katrina. Die kollektive Erfahrung: Das Ende ist stets nahe. Und das Leben danach auch. Wenn einen die Russen nicht in die Steinzeit bomben, dann machen es die Islamisten oder vielleicht Trump selbst. Oder der Klimawandel. Oder ein Supervulkan wie in How it ends. Ach ja, und dann wären da noch die Millionen von Mormonen in den US of A. Deren Verhaltensregeln schreiben eh vor, Lebensmittel für mindestens drei Monate für die Familie zu bevorraten. Ist ein A Quiet Place da überhaupt noch Fantasie oder nur Spiegelung der Realität?

Hauptsache: einfach!

Jetzt bezieht die Endzeit ihren Reiz nicht vorrangig daraus, dass man den Alleskönner und Survivalisten raushängen lassen kann. Im Grunde ist es viel einfacher: Es geht nämlich um die Einfachheit selbst. Schließlich ist die Menschheit per Postapokalypse in der Regel raus aus dem Industrie- und Informationszeitalter und wieder zurückgefallen. Nicht auf Null, aber doch auf ein recht überschaubares und damit einfaches Maß. Die Gründe dafür sind völlig egal, ob das nun ein Atomkrieg war wie in Lobgesang auf Leibowitz von Walter Miller oder schlicht der Einschlag eines Kometen wie in Luzifers Hammer von Larry Niven.

Die kuschelige Katastrophe


Es gibt den alten Grundsatz, dass alles schon mal da gewesen ist. So ist auch das Modell eines sozialen Reset-Buttons in Form einer Endzeit nicht neu. Der Science-Fiction Autor Brian Aldiss prägte in den 1970er Jahren den Begriff  der „cosy catastrophe“ – also der kuscheligen Katastrophe. Er benutzte den Ausdruck eher abfällig mit Blick auf das Werk eines anderen bekannten Sci-Fi-Autor, nämlich des Romans Die Triffids von John Wyndham. Cosy catastrophe meint demnach das Ende der Menschheit, das lediglich die Protagonisten einer Geschichte überleben. Und das ihnen die Möglichkeit gibt, einigermaßen unbehelligt von den Zwängen der Zivilisation neu zu starten. Noch ein paar Trivia am Rande: Aldiss lieferte mit seiner Kurzgeschichte Supertoys Last All Summer Long die Vorlage zur Kubricks / Spielbergs A.I. – Artificial Intelligence. Und Wyndhams Triffids waren wohl doch nicht so schlecht, jedenfalls wurden sie bis dato dreimal verfilmt.

Zu digital, zu wenig menschlich

Allerdings vermittelt die Popkultur seit einigen Jahren den Eindruck, als wünschten sich die Zuschauer mehr denn je den großen Knall herbei. Damit man mal Tabula rasa machen und im kleinen Rahmen neu anfangen kann. Wer wollte es ihnen verdenken? Schließlich ist die Welt mit ihren rasend wachsenden Großstädten, ihrem Turbo-Kapitalismus, ihrer grenzenlosen Mobilität und ihrer totalen Vernetzung viel zu komplex und zu digital geworden, als dass es noch häuslich-heimelig-menschlich zugeht. Heute herrscht doch so ziemlich das Gegenteil von „mein Grund, mein Haus, meine Knarre“. Da bricht niemand mehr ein, sondern hackt sich in den heimischen Laptop und räumt das Homebanking-Konto leer. Wen will der gemeine Durchschnittsamerikaner denn da noch erschießen und vor wem will er seine Familie beschützen? Russische Hacker?

Beeren im Wald
Zurück zur Natur. Manchmal mag man meinen, das Publikum neuerer Endzeit-Filme hätte gerne einen sozialen Reset-Button und ein kleines Häuschen im Wald.

Den Neustart nach dem Krieg gab es auch schon in The Postman nach einer Vorlage von David Brin. Ok, der Film war ein Flop, aber anscheinend seiner Zeit voraus. Denn als der 1997 ins Kino kam, gab es noch kein Social Media. Wer dagegen heute den Trubel bei Twitter und Facebook miterlebt, der wünscht sich nichts sehnlicher als eine zünftige Purge. Ganz einfach, um mal den Alltagsfrust loszuwerden. Gegen einen Tag im Bürokäfig mit Dauerbeschuss per Mail und Telefon sieht die Welt von The Handmaid’s Tale sogar ganz nett aus. In Westworld funktioniert der Urlaubstrip in einfachere Zeiten doch schließlich auch! Da kann man den Ärger mit den Mitmenschen immerhin ohne Anwälte, dafür mit der Knarre regeln. Und da hat noch keine Frau von „metoo“ gehört.

Popkulturelle Spielverderber

Manchmal ist die Apokalypse aber auch einfach nur das: die Apokalypse. Quasi das Ende. Wer gerne mal wieder herunterkommen möchte aus der schönen neuen Endzeit-Welt, der kann sich ja zur Abwechslung so einen popkulturellen Spielverderber wie When the Wind blows zu Gemüte führen. Oder Cormac McCarthys The Road, ob nun in Buch- oder Filmform. Da geht alles den Bach runter, trotz Vater-Sohn-Idyll, und ganz ohne Zombies und Monster.

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