Neulich mal wieder einen Klassiker meiner Kindheit geschaut: Ein ausgekochtes Schlitzohr. Normalerweise ein großer Spaß. Doch dieses Mal war etwas anders. Und es hatte mit Aufmerksamkeit zu tun…

Bandit und der Schneemann. Kennt die noch irgendjemand? Ja, genau, das sind die Hauptfiguren im Film Ein ausgekochtes Schlitzohr. Burt Reynolds und Jerry Reed – und der schwarze Pontiac Firebird Trans Am. Mit Höchstgeschwindigkeit auf irgendwelchen amerikanischen Autobahnen unterwegs. Sally Field auf dem Beifahrersitz. Und hinten dran der cholerische Sheriff Buford T. Justice mit seinem zurückgebliebenen Sohn „Purzel“. Natürlich alles im zeitlosen 70er-Jahre-Südstaaten-Look mit dicken Gürtelschnallen, Schlaghosen, absurd breiten Hemdkragen und vor allem mit Cowboy-Hüten von Stetson. Geht. Es. Noch. Cooler?

Naja, jedenfalls bin ich kürzlich mal wieder über den Streifen gestolpert (David übrigens auch, siehe hier), nämlich bei einem der einschlägigen Streamingdienste. Natürlich besitze ich dieses Kleinod meiner Kindheit auch auf Schillerscheibe. Aber wie das halt so ist, wenn man nur einen Button klicken muss: „Schauste mal rein“, denke ich mir und mache das dann auch. Und dann läuft der Film keine 10 Minuten, da steigt Sheriff Justice gewohnt schlecht gelaunt zu seinem Filmsohn ins Auto und… „Wie heißt der Typ eigentlich?“, schießt es mir da durch den Kopf. Also besagter Purzel, dem plötzlich meine volle Aufmerksamkeit gilt. „Wer spielt den und was wurde aus dem?“

Dabei statt mittendrin

Nichts leichter als das: Sheriff Justice startet zur automobilen Hetzjagd auf Burt Reynolds, während ich bereits das Tablet in der Hand habe und Wikipedia ansteuere. „Aha, Purzel wird gespielt von einem Mike Henry.“ Ok, so weit, so gut, doch so richtig weiter hilft mir das auch nicht. Denn Mike Henry hat im deutschen Wiki keinen eigenen Eintrag. Also rüber auf die englische Seite und nachgeschaut. Mike Henry… Kurzer Zwischenblick auf den Bildschirm: Sheriff Justice kracht mit seinem Auto unter einem Truck lang und verliert das Wagendach. Blick zurück aufs Tab: „Ach, schau an, Mike Henry, geboren 1936, erst Football-, dann Schauspieler. Hat in den 60ern den Tarzan gegeben.“ Aha, so, so, ok. Gut, weitergucken.

Früher habe ich den Film anders geschaut. Überhaupt: Früher habe ich Filme generell anders geschaut. Mit mehr Aufmerksamkeit. Da war ich eher mittendrin anstatt nur dabei. Und heute? Heute folge ich dem Geschehen nicht mehr so konzentriert, sondern… Moment, da ist gerade eine Nachricht eingetrudelt. Und noch mal eben gucken, ob jemand unsere neuesten Fotos auf Instagram gelikt hat…

Der vielzitierte Goldfisch

So, zurück. Wo war ich? Ach ja. Filmegucken. Ich tauche also seltener ab in Fantasiehausen, sondern bin da eher auf Dienstreise unterwegs mit Smartphone und Tablet in der Hand. Woran das liegt? ADHS? Sollte ich mir Filme nur noch unter Ritalin-Einfluss reinziehen? Nein, Spaß beiseite, rein gefühlsmäßig kennen wir den Grund wohl alle: Das Internet ist schuld, also genauer die digitale Kommunikation. Hier noch eine Nachricht beantworten, da noch eine Info recherchieren – ist doch logisch, dass das auf Kosten der Aufmerksamkeit geht. Oder?

Inzwischen gibt es dazu auch eine Studie von Microsoft. Und die bestätigt, was wir alle dachten: Demnach hat sich die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne eines Menschen seit dem Jahr 2000 von etwa 12 Sekunden auf weniger als 8 Sekunden reduziert. Web-Designer und Marketingprofis qualifizieren die Zahl auch gerne: 8 Sekunden, das ist kürzer als die Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfischs. Meine Güte, gemessen daran ist dieser Text schon 12 Absätze zu lang, obwohl er bisher nur 6 Absätze hat.

Per Tablet in den Multitasking-Modus

Apropos: Wisst ihr, was ich noch herausgefunden habe, während Burt Reynolds mit Sally Field flirtet? Das Auto, in dem die beiden sitzen, also dieser legendäre Firebird, der galt damals ja als Traumauto. Als Muscle Car. Also habe ich mal nachgeschaut: Der Filmwagen war Baujahr 1977 und hatte einen 6,6-Liter-V8-Motor. Muscle Car, 6,6 Liter – jetzt darf jeder mal raten, wie viel PS der gute Bandit damit auf die Straße gebracht hat. 400 PS? 500 PS? Falsch! Es waren gerade mal 200 Pferdestärken, niedlich oder? Also gemessen daran, womit der Ottonormal-Offroader heute so durch die Gegend fährt. Einstiegspreis damals: knapp 4.600 Dollar.

Aber zurück zum Thema. 8 Sekunden Aufmerksamkeit klingen natürlich erschreckend. Doch wenn man so darüber nachdenkt: Niemand schaltet einen Film nach 8 Sekunden ab, weil seine Aufmerksamkeit am Ende ist. Schließlich geht auch niemand zur Arbeit und verabschiedet sich nach 8 Sekunden wieder nach Hause. Ok, es mag den einen oder anderen Zeitgenossen geben, der am Arbeitsplatz gedanklich ziemlich schnell auf Stand-by schaltet. Aber nach 8 Sekunden?

Auch dazu gibt es natürlich Studien, aber einfach ausgedrückt: Aufmerksamkeit richtet sich auch immer nach der Aufgabe. Ein Projekt bei der Arbeit ist nicht in Sekunden getan, sondern zuweilen erst in Wochen. Ein Buch benötigt auch etwas länger. Und ein Film ist frühestens erst nach 90 Minuten vorbei.

Kein Like vom Burt

Der Drang zum Multitasking während des Filmeguckens hat aber noch einen ganz anderen Grund: Burt Reynolds aus Jahre 1977 bietet mir vielleicht eine Menge Spaß, aber er gibt mir kein Feedback.  Wir sind es aus den (a)sozialen Medien – also von altmodischen Foren bis zu aktuellen Plattformen zum Frühstücksfoto-Teilen – gewohnt, nicht nur zu konsumieren, sondern selbst zu kommunizieren und dafür belohnt, also gelikt zu werden. So ziemlich das Gegenstück dazu, bräsig auf der Couch zu sitzen und sich berieseln zu lassen.

Während ich also den Film schaue, habe ich permanent im Hinterkopf, dass da nebenan auf dem Tab eine ganz andere Form von Unterhaltung wartet. Und eine „Belikung“. Zwangsläufig kribbelt es dann wieder in den Fingern. Wie hieß noch gleich das Lied, das da bei dem rasenden Schlitzohr die ganze Zeit im Soundtrack läuft? Ach ja, „East Bound and Down“. Starkes Teil! Also zumindest, wenn man damit aufgewachsen ist. Wurde übrigens von Jerry Reed gesungen, der im Film den Schneemann spielt. Schaffte es in den US-Country-Charts auf Platz 2.

Das Bedürfnis nach Interaktion

Der Streamingdienst, auf dem ich den Film schaue, kommt diesem neuen Bedürfnis nach Interaktion übrigens ein Stück weit entgegen: Er zeigt mir wie ein kleines Wiki Zusatzinfos zu den Schauspielern sowie zu den Songs an. Online-Shops gehen da ja noch ein ganzes Stück weiter, um uns per Interaktion zu packen. Bild-Posts, Zitate-Posts, Gewinnspiele sowie Mitmach-Aktionen und eine Ansprache auf Augenhöhe – vielleicht erleben wir das ja bei Amazon Prime, Netflix & Co. künftig auch, wenn wir einfach nur einen Film schauen wollen.

Apropos „einfach nur einen Film schauen„. Das klingt jetzt vielleicht wie eine platte Lebensweisheit aus einer Yoga-Zeitschrift. Aber es hat, man glaubt es kaum, doch zuweilen etwas unheimlich Entspannendes, sich mal bewusst aus der Netzwelt auszuklinken und zwei Stunden lang einfach nur einer Geschichte zu folgen.

„Moment mal!“, werden nun findige Naturen sagen, die meinen Gedanken bis hierher gefolgt und nicht rüber zum nächsten Katzenvideo auf Youtube gewechselt sind. „Das mache ich doch ständig, wenn ich Serien schaue. Bingewatching -schon mal was davon gehört?“ Jahaaa! Und ob. Doch das ist tatsächlich ein Thema für eine weitere Geschichte. Also bis bald an gleicher Stelle.

 

Nachtrag 6. September 2018: Lese gerade, dass Burt Reynolds mit 82 Jahren verstorben ist. Werde ihn ewig mit Hut im Trans Am in Erinnerung behalten. R.I.P.

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