Lust auf einen Spaziergang im Minenfeld? In einem echten wie in einem metaphorischen? Habe ich heute mal. Es geht um die (Anti-)Kriegssatire M.A.S.H. von Robert Altman. Die ist nicht gerade sensibel, und das in unseren sensiblen Zeiten …
Ist Major Margaret O’Houlihan eigentlich blond? Also, „richtig“ blond? Das fragen sich die Ärzte im M.A.S.H. 4077, also im mobilen Feldlazarett mitten im Koreakrieg. Und sie haben des Rätsels Lösung auch schnell gefunden: Die Herrenschaft wartet einfach ab, bis der weibliche Offizier ins Duschzelt marschiert, dann machen es sich die Männer davor bequem, und zwar mit Ferngläsern und selbstdestilliertem Martini in den Händen. Und bei den ersten Geräuschen aus der Brause, da lüftet man(n) die Zeltplane und schaut genau hin. Nicht auf den Kopf der vermeintlichen Blondine, sondern zwischen deren Beine. Die nackte O’Houlihan wirft sich laut kreischend zu Boden und versucht jammernd, sich in Sicherheit zu bringen. Die Herren johlen, tauschen Wetteinsätze und sind um eine Erkenntnis reicher.
M.A.S.H. ist Kult. Also der Kinofilm von Robert Altman. Keine Frage. Der Streifen gilt heute als legendäre Kriegssatire, die zwar im Koreakrieg spielt, aber im Jahr ihres Entstehens – also 1970 – ganz klar als Kommentar auf den Vietnamkrieg zu verstehen war. Die allgemeine Lesart geht etwa so: Ein Haufen lustiger und frustiger Ärzte geht nahe der Front seinem blutigen Handwerk nach, aber zwischendurch, da lassen die Herren ordentlich die Sau raus, saufen eine Menge, vögeln auch eine Menge und spielen eine Menge Streiche, in der Regel den Höherrangigen. Sagt auch der Film, der seine Zuschauer selbst mit den Worten in den Abspann entlässt, dass diese den „übermütigen Streichen unserer Feldärzte“ beigewohnt haben mit „ihren Freuden und ihrem Leiden und ihrem Frohsinn“.
Brutale Späße
Robert Altman zündet da eine ziemliche Blendgranate. Denn oberflächlich ist M.A.S.H. vielleicht lustig, aber eben auch nur da. Man nehme die genannte Szene mit Major O’Houlihan unter der Dusche: Die Dame ist dort ein bisschen zu hilflos und ein bisschen zu ausgeliefert, als dass es wirklich spaßig wäre. Ihre Schreie sind mindestens ebenso laut wie das Gejohle der versammelten Männlichkeit. Und die Szene mit eben jenen Schreien dauert auch ein bisschen zu lange und hallt damit auch länger nach, als dass sie einem Comedy-Timing folgen würde. Damit nicht genug: In der Folgeszene versucht sich O’Houlihan, von den Ärzten auf den zweideutigen Namen „Hot Lips“ getauft, beim leitenden Offizier zu beschweren. Aber dem geht das am Allerwertesten vorbei, zumal er es sich gerade auf der Pritsche und einer Krankenschwester bequem gemacht hat.
Der Umgang mit der Figur O’Houlihan ist gnadenlos. Das wird vielleicht im Spiegel des heutigen Zeitgeists, in dem sich die Gemüter schnell über Frauenfeindlichkeit erhitzen, umso deutlicher. Man würde heute von übergriffig sprechen, von toxisch männlich. Doch schon früher wäre es knallhartes Mobbing gewesen. O’Houlihan muss sich im Filmverlauf so einiges anhören. Etwa: „Wissen Sie, was Sie sind? Sie sind eine wandelnde Dienstvorschrift in Weiberkleidern!“ Oder in der Offiziersmesse: „Die will ich, die geile brünstige Hure, die mit dem Unterleib in den Augen, nackt aufm Tablett!“ Und am Ende, da nennt Colonel Blake sie noch mal „dämliche Gans„. Ist sie da übrigens auch, also gewissermaßen, da sie beim Football-Spiel den hysterisch-überdrehten Cheerleader gibt. Mehr ist vom Charakter nicht übriggeblieben.
Die filmische Blendgranate
Aber hat O’Houlihan diese Sonder-Behandlung nicht auch verdient? Nicht, weil sie eine Frau ist, sondern weil sie ist, wer sie ist? Dazu die andere Sichtweise: O’Houlihan ist ein – Pardon! – scheinheiliges Arschloch*in. Sie ist die Personifizierung der Army mit all ihren Vorschriften und Regeln. Und vor allem: Mit ihrem kalten Blick auf das Lebendmaterial, das die Army im Krieg in den Einsatz schickt. Sie ist zwar Krankenschwester, aber vor allem daran interessiert, den Laden auf Vordermann zu bringen. Ohne ein mitfühlendes Wort für diejenigen, die da vor ihr auf dem Operationstisch liegen. Es geht um Strukturen, nicht um Empathie. Und ausgerechnet bei dem einzigen Offizier im Camp, der zwar als Arzt nichts taugt, aber genau so ein Paragraphenreiter ist wie sie, nämlich bei Frank Burns, kriegt sie „heiße Lippen“.
Was machen nun die Herren Ärzte? Sie spielen genau diesen Strukturen, nämlich der Army böse Streiche. Die fallen zuweilen ziemlich ruppig aus. Aber das Prinzip dahinter ist ganz einfach: Erstens ist Krieg. Und zweitens geht es nicht gegen die Frau, auch nicht gegen den Mann, sondern gegen die Army, und die hat es verdient. Das ist doch lustig, oder? Also, wenn es der oder die Richtige so gehörig abkriegt? Da darf man auch mal Sadist sein. Oder?
Suicide is painless
M.A.S.H. ist brutal. Ganz offensichtlich, weil die Ärzte im Operationszelt knöcheltief im Blut stehen. Da werden Witze gemacht, während Beine abgesägt und Arterien gestopft werden. Brutal aber auch deshalb, weil das sonstige Treiben nicht sonderlich feinfühlig ausfällt. Zeigt sich unter anderem daran, dass die Herren zwischen Martinitrinken und Golfspielen die Damen im Camp vorrangig als Matratze benutzen oder unsanft antreiben. „Nun mach mal nen bisschen, Baby!“, heißt es am Operationstisch, als eine Krankenschwester nicht ganz so schnell ist. „Wird’s bald Schwester, ich muss nähen!“ Und schließlich: „Los, Süße, schwing die Keulen. Ein Glück, dass Sie ne gute Figur haben, Schwester, sonst würden wir sie schnell wieder abschieben. Halten Sie sich ja in Form.“
Die Brutalität darin entspringt der absurden Situation: Niemand in diesem Film ist dort, wo er oder sie sein will, und niemand tut das, was er oder sie tun will. Stattdessen stehen alle zusammen knapp hinter der Front irgendwo in Korea und flicken verwundete Soldaten wieder zusammen. Nur damit die wieder an die Front können, um sich erneut zusammenschießen zu lassen und erneut auf dem OP-Tisch zu landen. Sinnvoll ist etwas anderes. Derbe Späße, übermäßiger Alkoholkonsum, lockere Sprüche und nackte Tatsachen sind da die einzigen Möglichkeiten, sich an dem System zu rächen, das zu solch einem Blödsinn zwingt. Formell ist M.A.S.H. vielleicht eine Nummernrevue nahe an der Klamotte mit Altherren-Humor. Nur dass diese Klamotte recht bitter startet, nämlich mit dem Song „Suicide is painless“.
Im Schatten der Serie
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass M.A.S.H., der Film, heute extrem im Schatten von M.A.S.H., der Serie, steht. Die hatte mit ihren 11 Staffeln einen viel längeren Atem und eine teils stark veränderte Figurenzeichnung. Der „Hawkeye“ Pierce in der Serie, gespielt von Alan Alda, ist die Hauptfigur. Ein liberaler und durch und durch pazifistischer Charakter mit einem stets funktionierenden moralischen Kompass, der dem Zuschauer die Aufgabe abnimmt, die klar Guten von den klar Bösen und den klar Stinkstiefeligen zu unterscheiden. Diese Hilfestellung bietet der Film nicht: Der „Hawkeye“ Pierce dort, gespielt von Donald Sutherland, ist allenfalls die zweite Hauptfigur hinter seinem Kollegen „Trapper“ McIntyre. Und er ist genauso sarkastisch und egoistisch unterwegs wie der Rest seiner Truppe.
Satire muss wehtun
M.A.S.H. gelingt ein erstaunlicher Balanceakt. Einerseits ist er vergnügliche Posse. Andererseits ist er mit fortschreitender Laufzeit auch immer unangenehmer zu schauen. Eben weil sich bei allen Sprüchen und Streichen, darunter auch eine Episode um einen vermeintlich schwulen Zahnarzt, der wieder ans „richtige“ Ufer gepoppt wird, ein mittelgroßes Störgefühl im Hinterkopf bemerkbar macht. Und das macht eine gelungene Satire eben aus. 10 Cent ins Phrasenschwein: Satire muss wehtun, Satire darf alles, und das zeigt sich hier besonders.
Was zu einem abschließenden Gedanken führt: Wie gesagt, M.A.S.H. ist Kult und als Kriegssatire so akzeptiert wie legendär. Schließlich ist der Streifen schon 51 Jahre alt und im Kanon der filmischen Meisterwerke aufgenommen. Da schreibt man so manchen Spruch gerne auch mal dem Alter zu, war halt damals eine andere Zeit, oder? Tja, und was würde nun passieren, wenn der Film genau so in die heutigen Kinos käme? Also mit allen toxischen, äh, machomäßigen Sprüchen? Mit dem Spaß, den man in Sachen Homosexualität treibt? Und mit nur einem einzigen schwarzen Schauspieler und der Nutzung des berüchtigten N-Worts? Würde man die Geschichte sehen oder auch die Geschichte hinter der Geschichte?
Fazit: Satire darf alles, und das zeigt sich bei M.A.S.H. besonders. Gerade in Zeiten, in denen Political Correctness eine neue Bedeutung in der gesellschaftlichen Wahrnehmung erhalten hat, treten die Regelverstöße im Film umso deutlicher hervor – und machen die Kriegssatire neben allen Gags umso unangenehmer. Muss einem nicht gefallen, ist aber so.
Bewertung: 8 / 10
Making of – Die Schere im Kopf
Ein kleiner Nachklapp sei erlaubt im Fall M.A.S.H. Es ist nahezu unmöglich, über eine Komödie in angemessener Weise zu schreiben. Eine Komödie soll schließlich lustig sein, eine Kritik muss das primär nicht. Es ist aber auch ziemlich schwer, über eine Satire zu schreiben, jedenfalls wenn sie wirklich heiße Themen streift. Eine Satire soll schließlich den Menschen auf die Füße treten, während sie lachen, möglichst schmerzhaft. Eine Kritik muss das primär nicht. Aber sie sollte frei sein, es tun zu können.
Selten ist mir ein Text auf diesem Blog so schwergefallen wie der zu M.A.S.H. Nicht weil es eigentlich schwer wäre, über M.A.S.H. zu schreiben. Wohl aber, weil die eigene Schere im Kopf zugeschnappt hat. Die Zeitgeist-Schere. Warum? „Den Film könnte man unmöglich heute noch so drehen.“, war der Gedanke, der mir bei Sichtung mehrmals in den Sinn gekommen ist. Die harten Sprüche gegen Frauen, der Umgang mit Homosexualität, die mangelnde Präsenz von Leuten anderer Hautfarbe, und habe ich die harten Sprüche gegen Frauen schon erwähnt? Die alte deutsche Synchro ist übrigens wenig zimperlich beim Gebrauch des N-Worts oder der Bezeichnung einer schwarzen Darstellerin als „Blacky“. Naja, Schnodderdeutsch aus den 70ern …
Kritischer als vor 20 Jahren
Ich war doch sehr versucht, M.A.S.H. deutlich kritischer zu sehen als meinetwegen noch vor 20 Jahren. Und das mir, wo ich doch so gerne wider den Stachel löcke! Hatte mich der Film bei der Neusichtung vielleicht nur auf dem falschen Fuß erwischt? Schlechte Tagesform quasi? Oder hat der Zeitgeist doch seine Spuren im Unterbewusstsein hinterlassen? Sind wir heute sensibler? Und ist das schlecht oder gut? Kommt drauf an.
Filme neu zu bewerten, ist zwar absolut berechtigt, immerhin entspringen sie ihrer Zeit, und die Sicht darauf wandelt sich im Laufe der Jahre. Auch der persönliche Filmgeschmack verändert sich. Doch der einzige Grund, warum mir M.A.S.H. zunächst einen bitteren Beigeschmack verursachte, war: Er läuft völlig konträr zur heutigen Diskussion rund um Political Correctness, um Female Empowerment, um Diversität, um Gleichberechtigung. Alles, was derzeit so an „Haltung“ präsentiert wird, auch von den Hollywood-Studios, allen voran von Disney und dem Disney-Marketing. Lustigerweise ist er auch auf Disney+ abrufbar, und das noch ganz ohne Warntafel.
Was die Satire will
Könnte ich M.A.S.H. also in diesem Sinne kritisieren? Oder müsste ich den Film sogar deshalb kritisieren? Eine kleine Recherche zeigt: M.A.S.H. war nie unumstritten. Weder Roman noch Film. So stand häufiger mal der Vorwurf von Rassismus im Raum. Und schließlich zum 50. Jubiläum und damit im aktuellen Zeitgeist wurde dem Film erwartungsgemäß Misogynie vorgeworfen. Dem Vorwurf kann man sogar allzu leicht folgen – eben wenn die Schere im Kopf zuschnappt.
Eine solche Kritik würde aber in die falsche Richtung galoppieren. Denn gerade im Spiegel der neuen Sensibilität dieser Tage tritt die Satire von M.A.S.H. nur umso deutlicher ans Tageslicht. Wenn man über die Machosprüche im Film nicht nur lacht, sondern sie als allzu rüde wahrnimmt, dann kommt man umso leichter darauf, was die Satire eigentlich will. Nur darf man sich dafür gedanklich nicht selbst beschneiden.