Wer hätte sich das träumen lassen? Da kommt ein beknackter Virus daher, legt fast die ganze Welt lahm, und als Nebeneffekt sorgt er für die Renaissance des Autokinos. Unterhaltung im Angesicht des Untergangs. Aber einen Moment, da gab es doch mal was? Genau, die Drive-In-Trilogie von Joe R. Lansdale.

Unnormale Normalität

Joe R. Lansdale, mit vollem Namen Joseph Richard Lansdale und geborener Texaner, ist ein begnadeter Schriftsteller. Gefühlt locker-leicht schüttelt er schrullige Charaktere und absurde Szenarien aus dem Ärmel. Dabei bleiben die Geschichten immer sehr bodenständig und sind geprägt von einer ernüchternden Realität. Ob vergangener oder aktueller Rassismus, das Kleinstadtleben in Ost-Texas oder die Hürden, die man als Average Joe so im Alltag überwinden muss: All dies prägt die Werke von Lansdale – und all dies findet sich auch in Drive-In. Allerdings ist es mit der Bodenständigkeit nicht weit her.

Das hat gedauert! Nachdem der erste Teil jahrelang erhältlich war, sah es mit Einzelveröffentlichungen der Fortsetzungen in Deutschland mau aus. Der Heyne-Verlag fasste sich nun aber endlich ein Herz und brachte die gesamte Geschichte in einem dicken Band heraus.

Drive-In begann 1988 als eigenständiger Roman, der von Lansdale bereits ein Jahr später einen zweiten Teil bekam. Weil man auf zwei Teilen, also Beinen, aber bekanntlich nicht stehen kann, musste eine Trilogie her. So kam Teil 3 im Jahr 2005 auf den Buchmarkt und schloss die Geschichte ab. War das nötig? Nicht unbedingt. Der erste Band besitzt bereits ein zufriedenstellendes Ende, auch wenn nicht alle Frage beantwortet werden. Die Fortsetzungen schließen direkt an und führen die Absurdität des Erstlings fort. Genau richtig gelesen: Absurdität. Drive-In ist nämlich schwer in Worte zu fassen. Ein kruder Mix aus Coming-of-Age-, Horror-, Endzeit-, Drama-, Splatter- und Sci-Fi-Roman. Nichts, was es in dieser Geschichte nicht gibt. Wenn man glaubt, alles gelesen zu haben, setzt Lansdale noch einen drauf. Dabei beginnt die Geschichte so klassisch.

Auto als Kinosessel


Es war eigentlich immer da, aber so recht nahm man es nicht wahr: aas Autokino.

Nachdem das erste Autokino 1933 in den USA, genauer in Camden, New Jersey, eröffnet worden war, setzte sich die Erfolgsgeschichte dieser Form des Filmgenusses beinahe ungebremst in Gang. Besonders die Jugend der 50er und 60er Jahre wurde durch das Autokino geprägt. Es wurde zum Treffpunkt, zum Ort der ersten Liebe – meist auch mehr – und fester Bestandteil des kulturellen Lebens. Nicht selten war der laufende Film Nebensache. Es ging ums Gefühl, mehr noch als bei regulären Kinobesuchen. Von daher war Autokino immer etwas Besonderes und Unvergleichliches.


In Deutschland ging es im Jahr 1960 los mit dem Autokino, und gut 20 Jahre lang stiegen die Zahlen an Neueröffnungen. Aber die Zeit des Autokinos schien dann auch schon wieder vorbei, und immer mehr Freiluft-Filmtheater verschwanden wieder. So weit, bis das Autokino keine wirkliche Relevanz mehr besaß.


Heutzutage gibt es noch immer Autokinos, in den USA wie auch in Europa. Ihre Zahl ist deutlich geschrumpft, und so mancher wird sicherlich nicht einmal wissen, wo in seiner Nähe eins zu finden ist. Bekannter sind da eher die Events, die groß im Vorfeld beworben werden und jährlich in fast jeder größeren Stadt zu finden sind.


Auftritt Corona. Dieses kleine miese Virus sorgte dafür, dass das Autokino einen kurzen Boom erfuhr und überall in der Republik – auf geeigneten Flächen – Leinwände aus dem Boden schossen. Sie erfreuten sich großer Beliebtheit, welche aber nur ein paar Wochen hielt. Mit den Versuchen einer Rückkehr zur Normalität sinkt auch wieder das Interesse am Autokino. Es wird in Zukunft wohl auch nur noch als Event bestehen bleiben.


Unbeschwert in die Apokalypse

Es ist bereits Tradition, jeden Freitagabend geht es ins Autokino zur All-Night-Horror-Show. Jack und seine Freunde lieben das Orbit, das größte Autokino Texas. An die 4.000 Autos passen hinein, und ihres ist eines davon. Sie feiern die Filme und das Gefühl der Sorglosigkeit. Die Welt ist in Ordnung, bis dieser verdammte Komet auftaucht.

Der schlägt aber nicht ein. Nein, der Komet stoppt über dem Autokino und verschwindet dann wieder. Ab diesem Moment ist das Autokino von der Außenwelt abgeschnitten. Wenn es die Außenwelt überhaupt noch gibt. Jeder, der das Autokino verlassen will, zerfällt zu glibberiger Masse.
Tage vergehen, und langsam macht sich Unmut breit. Die Dynamik verzweifelter Menschen setzt ein, und die Zeit einer neuen Weltordnung steht an. Und stimmt es, dass am anderen Ende des Drive-Ins ein Baby gegessen wurde? Und wer oder was ist der Popcorn-King?

Kaum zu glauben: Unter anderem laufen diese beiden Klassiker des Genre-Kinos im Drive-In. Im Laufe der Handlung so oft, dass sie den Protagonisten zum Halse raushängen.

Apropos Popcorn-King. Ab dem Punkt, wenn der King auftritt, hebt die Erzählung völlig ab und ebnet den Weg für den absurden Rest der Geschichte. Das sind dann noch 2 ½ Bücher. Wer also bis dahin keinen Zugang findet, kann getrost aufhören. Alle anderen dürfen sich für einen wahnwitzigen Ritt anschnallen. Der ist nicht immer unterhaltsam, manchmal sogar richtig zäh, aber Lansdale versteht es, seine Figuren weiterhin interessant zu halten und sie weiterzuentwickeln. Ob es sich am Ende lohnt, muss jeder für sich selbst entscheiden. Nur so viel, das Ende ist nicht so, wie man es sich zunächst vorzustellen vermochte.

B-Movie – das Buch

Drive-In ist wohl das Äquivalent eines schäbigen B-Movies. Wie beschrieben absurd, voll mit schlechtem Geschmack, aber auch jeder Menge Spaß. Würde ich das Buch weiterempfehlen? Ich weiß es nicht. Eventuell, aber man muss sich schon auf etwas einlassen, wenn man es genießen will. Ist das Buch also nicht für jedermann? Ganz genau. Manche werden es feiern, manche werden es hassen und die meisten werden es wohl okay finden. So wie eben die vielen B-Movies, die seit Jahrzehnten die Bildschirme und Leinwände der Welt bevölkern. Und das ist ja schon mal was.

Klischees des Südens


Wenn man an Texas denkt, kommen sofort Bilder vom Wilden Westen, von tumben Rassisten und dreckigen Ölfeldern in den Sinn. Dass es aber noch ein anderes Texas gibt, zeigt Lansdale in seinen Romanen immer wieder.


Lansdale siedelt seine Geschichte dort an, wo er sich auskennt: Ost-Texas. Dort ist es grün und von Wüste keine Spur. Natürlich gibt es dort auch Rassisten, denen stehen aber meist farbige Protagonisten gegenüber. Sowieso, Lansdales Bücher bieten eine bunte Vielfalt. Was heutzutage gerne als „Diversity“ bezeichnet wird, ist in seinen Romanen schon lange Normalität. Hautfarbe, Geschlecht oder sexuelle Neigung wirken in all ihren Spielarten nie erzwungen und sorgen so ganz nebenbei für eine gehörige Portion Toleranz. Ganz ohne Zeigefinger.


Dabei ist es dann auch völlig egal, in welchem Umfeld sich Lansdales Geschichten bewegen. Thriller, Drama, Horror, Western, Science-Fiction oder wilder Genre-Mix wie im Falle von Drive-In. Lansdales Figuren und Stil sind schnell erkennbar. Dabei kann man auch schnell Empfehlungen oder Warnungen aussprechen. Wenn man mit einem Lansdale-Roman überhaupt nichts anfangen konnte, dann wird man es mit allen anderen Büchern auch schwer haben. Sollte man aber eines gut finden, ist die Chance sehr groß, dass man auch von dem Rest gut unterhalten wird.


Bunte Vielfalt: Lansdales Werke bieten immer skurrile Typen sowie knuppelharte und absurde Momente. Sei es in der Hap & Leonard-Reihe oder den Einzelgeschichten. Die Drive-In-Trilogie setzt dem Ganzen aber noch einen drauf.

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