In einem düsteren Raumschiff schleimige Ausserirdische jagen? Das blieb lange Zeit Filmhelden und Videospielern vorbehalten. Freunde des gepflegten Brettspiels haben aber nun die Chance, auch auf Alien-Hatz zu gehen, oder besser gesagt: sich jagen zu lassen. Denn die Kreaturen in NEMESIS sind garstige Gesellen und wissen sich zu wehren. Um zu überleben hat man einiges zu erledigen. Das kann ganz schnell mal ziemlich stressig werden. Aber lest selbst…

Alien – Das Brettspiel. Trotz der deutlichen Anleihen an das große Vorbild ist das Spiel weitaus eigenständiger als gedacht.
Die Ruhe vor dem Sturm

Das laute Piepen wird von einem Zischen abgelöst. Kaum ist dieses verklungen, steht meine Schlafkapsel auch schon offen. Wie in Trance richte ich mich auf. Wo bin ich? Wer bin ich? Nur langsam kommen die Erinnerungen in meinem Kopf zum Vorschein, wie kleine Fetzen. Ich befinde mich auf dem Raumschiff NEMESIS und bin auf dem Weg zur Erde. Aber dort können wir unmöglich bereits angekommen sein. Mein Blick wandert durch die Hibernationskammer. Alle Kapseln sind offen. Und leer! Bin ich etwa allein?

Nein, keineswegs. In der Ecke des Raums liegt ein Körper. Oder das, was von ihm übrig ist. Ich kämpfe mit der aufkommenden Übelkeit, halte den mickrigen Mageninhalt aber tapfer unten. Leugnen hilft nicht, irgendetwas Schreckliches muss hier geschehen sein. Doch was?

Ohne Regeln kriegt man nichts geregelt 1


Zu Spielbeginn müssen sich die Spieler als Raumschiffbesatzung mit einer neuen Situation auseinandersetzen: Anstatt den langen Flug zur Erde friedlich in ihren Schlafkammern zu verbringen, werden sie unsanft geweckt, finden einen ihrer Kameraden tot vor und sind sich unsicher, ob das Schiff wirklich den Heimathafen ansteuert. Ach ja, wer hat eigentlich die Leiche auf dem Gewissen?


Gemeinsam oder allein machen sich die Spieler auf den Weg, das Raumschiff zu erkunden. Unerlässlich ist dabei, die Koordinaten auf der Brücke zu kontrollieren und die Funktionalität der Triebwerke zu überprüfen. Beides kann über Sieg und Niederlage entscheiden.

Beim Erkunden der NEMESIS werden die zufällig platzierten Räume nach und nach aufgedeckt. Kleine Marker geben dabei an, wie viele Gegenstände im Raum vorhanden sind und ob er demoliert ist oder in Flammen steht. Bei den letzteren Optionen muss erst eine Aktion ausgeführt werden, um ihn wieder einsatzbereit zu machen. Jeder Raum beherbergt nämlich eine Spezialaktion, welche das Gelingen des Spiel maßgeblich beeinflussen kann.


Jede Bewegung erzeugt Lärm. Der sogenannte „Noise“ wird erwürfelt. Die Zahl gibt an, aus welchem Korridor der Lärm kommt. Und ein Marker gibt an, wer ihn verursacht: Liegt nämlich auf einem Korridor ein zusätzlicher Marker, steht dieser für einen Intruder, also ein Monster.

Ich bin immer noch benommen von dem viel zu kurzen Schlaf. Die fehlenden Erinnerungen sind eine altbekannte Nebenwirkung. Könnte ich mich doch bloß erinnern, wo die Krankenstation war. Dort gab es allerhand Pillen für diese Form der Amnesie. Ich muss mich wohl auf meine Intuition verlassen. Aber zuerst nehme ich allen Mut zusammen und inspiziere die Leiche. Das Namensschild ist wie von Säure zerfressen, aber die Rangabzeichen sind deutlich zu erkennen. Es handelt sich um unsere Pilotin. Wer, oder was hat dich nur so zugerichtet?

Egal, darum müssen sich andere kümmern, so leid es mir tut. Ich muss dafür sorgen, dass das Schiff seinen Kurs hält. „Nichts leichter als das“, denke ich, als ich mich auf den Weg mache und mein Plasmagewehr aus der Verankerung an der Wand nehme. Volle Ladung. Ganz egal, was mich erwartet, ich bin gewappnet.

Ich sollte so falsch liegen…

Die Spielfiguren (v.l.n.r.): Scout, Soldier, Captain, Pilot, Mechanic, Scientist. Jede Figur hat individuelle Fähigkeiten, die sie für besondere Aufgaben qualifiziert. Die Auswahl der Figuren geschieht jedoch zufällig. So ist Improvisation an Bord der NEMESIS gefragt.

Ein kurzer Blick auf den Reisestatus verrät mir, dass die NEMESIS den finalen Sprung zur Erde in 15 Stunden vollziehen wird. Vorher muss ich aber sicherstellen, dass die Triebwerke einwandfrei funktionieren und die eingegebenen Koordinaten im Bordcomputer stimmen. Sonst lande ich im Nirgendwo – oder schlimmer: als blutiges Trümmerstück im All. Ich mache mich auf den Weg und schleiche vorsichtig durch die Gänge. Immer wieder hallen Töne aus den Korridoren wider. Ich habe weder die Zeit noch den Mut, den Klängen nachzugehen.

Das Glück ist mit den Furchtlosen

Auch wenn mich meine Erinnerungen im Stich lassen, mein Bauchgefühl funktioniert noch. Ich erreiche eine Konsole, mit der ich die Triebwerke checken kann. Theoretisch. Sie ist demoliert und benötigt eine Reparatur. Glücklicherweise habe ich etwas Werkzeug dabei, und einige Minuten später blinken die Lichter an der Konsole wieder hell auf. Ich logge mich ein und schaue gebannt auf den Monitor. Wenn alles in Ordnung ist, spare ich mir den langen Weg ans Heck des Schiffes. Die Ergebnisse werden angezeigt: Zwar ist das mittlere Triebwerk beschädigt, aber die beiden äußeren funktionieren tadellos. Das reicht für einen Sprung zur Erde. Jetzt noch zügig zur Brücke und die Koordinaten überprüfen. Danach steht einer sicheren Reise nichts mehr im Wege.

Die Intruder (v.l.n.r.): Adult, Larva, Breeder, Creeper, Queen. Im Vordergrund der zwergenhafte Soldier. Im Verlauf des Spiels ist ein Kampf unausweichlich. Leicht machen es einem die Kreaturen aber nicht. Gerade Breeder und Queen sind unglaublich harte Brocken, die sich nur mit guter Taktik und viel Glück besiegen lassen.

Selbst als die Geräusche aus den Gängen lauter werden, wandere ich unbeirrt weiter. Schließlich erreiche ich die Brücke. Das Glück ist auf meiner Seite: Die Koordinaten sind unverändert auf die Erde eingestellt. Erleichtert verlasse ich den Befehlsstand und biege in einen Gang, den ich noch nicht erkundet hatte. Ein fataler Fehler!

Der Anfang des Schreckens

Im nächsten Raum rutsche ich aus und lande in einer Pfütze aus zähflüssigem Schleim. Das übelriechende Zeug klebt überall an mir. Und plötzlich werden die Geräusche lauter. Es fühlt sich an, als ob das Schiff zu neuem Leben erweckt würde. Aus jedem Winkel raschelt und klappert es. Selbst die Versorgungstunnel stehen nicht still. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, und ich muss mich zusammenreißen, nicht überstürzt zu handeln. So leise wie möglich eile ich in den nächsten Raum – und dort sehe ich es. Mehr als vier Meter ragt die Kreatur im Raum auf. Seine pechschwarzen Krallen tief in die Wände gebohrt und mit seinen beiden feingliedrigen Schwänzen nach mir peitschend. Zum Glück ist meine Blase leer…

Ohne Regeln kriegt man nichts geregelt 2


Sobald der erste Intruder erscheint, wählen die Spieler eines ihrer zwei zu Spielbeginn gezogenen Ziele aus. Von nun an ist es ihre Aufgabe das Ziel zu erreichen. Das kann einerseits ein Ziel für das Gemeinwohl sein, andererseits aber auch ein Egoistisches. So ist es zum Beispiel ein gewagtes, aber manchmal notwendiges Vorgehen, die Triebwerke zu kontrollieren und den Mitspielern zu sagen, dass sie funktionieren, obwohl alle drei defekt sind.


Intruder sind harte Brocken. Sie können – im schlimmsten Fall – viel einstecken und noch besser austeilen. Ein Kampf ist immer mit Opfern verbunden und sollte nur gut ausgerüstet begangen werden. Bei einem Misserfolg warten schwere Wunden und Contamination-Cards auf den Spieler. Während erstere das allgemeine Spiel erschweren, sind letztere richtig fies: Jeder Spieler hat ein Karten-Deck von zehn Aktionskarten. Contamination-Cards werden diesem Deck hinzugefügt, haben aber keinen Nutzen. Sie blockieren die Hand des Spielers. Eine Karte ist lästig, zwei sind bereits eine gewaltige Einschränkung. Der Spieler sollte schleunigst medizinische Hilfe suchen, um die Infektionen loszuwerden.

Ich ducke mich, aber einer der Schwänze trifft mich und zertrümmert meine Hand. Ein Schrei entweicht meinem Mund, und ich blicke auf den Klumpen, der einmal meine Hand gewesen ist. Wenn ich hier rauskommen will, darf ich nicht schwach werden. Geistesgegenwärtig hebe ich mein Gewehr und feuere. Volltreffer! Die Kreatur taumelt laut schreiend zurück. Dunkles Blut spritzt aus ihren Wunden. Ich werde übermütig und schieße erneut. Dieses Mal geht meine Salve fehl. Ich versuche es wieder, aber das Wesen weicht dem Schuss aus. Verdammt, meine Optionen schwinden. Bevor es mich erreichen kann, hechte ich in den nächsten Gang und flüchte.

Die Räume werden zufällig verteilt und erst im Laufe des Spiels aufgedeckt. Karten für Gegenstände und Koordinaten sind in einem kleineren Format gehalten, während sich schwere Wunden und „Contamination“-Karten – sie zeigen an, ob der Spielercharakter infiziert ist –  im klassischen Format präsentieren. Zwei Arten von Würfeln regeln „Noise“ – der Lärm, der durch die Gänge hallt und Intruder ins Spiel bringt – und Kampf. Auch die Spielelemente für Feuer, Schaden und Noise/gelb sind hübsch gestaltet.

Meine Hand schmerzt, krallenbewehrte Schritte hallen aus jeder Ecke des Schiffs. Und mein Glück schwindet nun ganz. Das Schiff meldet sich. „Nicht kontrollierbare aggressive Aktivitäten“ werden ermittelt. Ach, tatsächlich? Der Selbstzerstörungsmechanismus wird aktiviert. Fantastisch! Mein Plan ist zunichte gemacht. Nun habe ich weniger als sechs Stunden Zeit, eine der Rettungskapseln startklar zu machen. Ein schwieriges Unterfangen: Den Zugangsraum hatte ich auf meinem Weg zur Brücke zwar entdeckt. Allerdings stand er in Flammen. Ohne Feuerlöscher werde ich es nie in eine der Kapseln schaffen.

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Auch wenn die Intruder einem das Leben schwer machen, es gibt Abhilfe. Drei Möglichkeiten existieren, um deren Schwächen zu lokalisieren und sie somit angreifbar zu machen. Die Leiche des ersten Toten, eine Intruderleiche und ein Intruder-Ei können alle im Labor untersucht werden und schalten die zufällig gewählten Schwächen des Monsters aus. Allerdings müssen die Objekte erst ins Labor geschafft werden. Das kostet Zeit und Aktionen. Alleine kaum zu schaffen. Man muss also zusammenarbeiten. Oder man verzichtet darauf, schließlich verfolgt jeder sein eigenes Ziel.


Natülich liegt es in der Natur solcher Szenarien, dass vor allem schlimme Dinge passieren. Damit dies auch gewährleistet wird, gibt es am Ende jeder Runde eine Ereigniskarte, die abgehandelt werden muss. Vom Auftauchen neuer Intruder, dem Start des Selbstzerstörungsmechanismus´ bis hin zu anderen Unannehmlichkeiten ist fast alles dabei. Das Leben ist hart auf einem Alien-verseuchten Raumschiff.

Verzweifelte Flucht nach vorn

Notdürftig verarzte ich meine Hand – die Schmerzen muss ich aushalten – und renne weiter. Ich muss einfach nur weg von dieser Kreatur. Im nächsten Raum wartet eine weitere Überraschung auf mich: Dort krabbeln Larven über den Boden, jede etwa so groß wie eine Katze, aber mit den Beinen von Insekten. Sofort stürzen sie sich auf mich. Eine Larve versucht mich zu beißen. Ich schlage sie zur Seite und nutze die restliche Energieladung meines Gewehrs für Sperrfeuer, um aus dem Raum zu entkommen. Zu meiner eigenen Überraschung schaffe ich es. Ein bisschen Glück habe ich wohl doch noch.

Jede Figur besitzt einen Charakterbogen sowie eigene Aktionskarten. Doppelseitig bedruckte Rettungskapseln und Triebwerke geben den aktuellen Status an. Das Intruderboard beherbergt Eier und entdeckte Schwächen der Kreaturen, die dem Spieler im Kampf helfen.

Nun befinde ich mich in einer Zwickmühle: hinter mir die gierigen Larven und vor mir der brennende Raum. Keine Ahnung wo sich das riesige Monstrum zur Zeit befindet. Ich weiß, dass der übernächste Raum ein Versorgungsraum ist, in dem es auch einen Feuerlöscher gibt. Zu allem Überfluss meldet sich mein Anzug: Er faselt irgendetwas von einer möglichen Infektion. Würde mich nicht wundern, bei all dem Schleim und den Wunden, die ich mir zugezogen habe. Allein meine Hand dürfte 1.000 Eintrittspforten für Keime bieten. Aber dafür habe ich jetzt keine Zeit. Ich nehme all meinen Mut zusammen und sprinte durch den Raum. Die Flamme greifen nach mir und verbrennen meinen Oberarm. Ich beiße die Zähne zusammen – nur ein weiterer Schmerz von vielen. Im Vergleich zu meiner Hand ist das nichts.

Kick was?


Die Plattform Kickstarter bietet jeder Menge Projekten die Möglichkeit einer Finanzierung. Vorausgesetzt man mobilisiert genügend Unterstützer. Besonders der Bereich der Brettspiele erfreut sich großer Beliebtheit. So gelang es den Spieleentwicklern von Awaken Realms auch innerhalb von 4 Minuten ihr Projekt NEMESIS vollständig zu finanzieren! In den folgenden Wochen wuchs der Beitrag auf über 3 Millionen Pfund. Dieser Betrag ermöglichte es den Entwicklern, die Qualität des Spiels zu verbessern und den Unterstützern jede Menge exklusive Stretch Goals – Bonusmaterial welches in Beitragsstaffeln freigschaltet wurde – zu präsentieren.

Panisch suche ich nach dem Feuerlöscher, er ist meine einzige Chance. Als ich ihn endlich finde, habe ich nur noch Minuten. Ohne weiter nachzudenken, stürme ich in die Flammen und entleere den Löscher vollständig. Der Rauch beißt in meiner Nase und das Atmen fällt schwer. Ich taste mich zur Steuerkonsole und schalte sie ein. Mir fällt ein Stein vom Herzen, als sie ohne Probleme hochfährt und die Luke zur Rettungskapsel öffnet. Keine Minute später sitze ich in der Kapsel und kopple sie von der NEMESIS ab. Ich schaue nicht zurück, aber die Reflexion des zerberstenden Schiffs nimmt die Cockpitscheibe ein.

Der Notfallscanner fährt über meinen Körper und gibt Entwarnung. Ich habe mich doch nicht infiziert. Erschöpft sacke ich im Sitz zusammen. Ich werde wohl nie erfahren, was für Kreaturen zu dieser Katastrophe geführt haben. Ich will es eigentlich auch nicht…

 


Wie bereits eingangs erwähnt, ist NEMESIS ein Brettspiel der polnischen Spielschmiede Awaken Realms für 1 bis 5 Spieler. Zur Zeit werden die Unterstützer weltweit beliefert. Im freien Handel wird das Spiel 2019 erhältlich sein. Allerdings ohne die zahlreichen Stretch-Goals, die während der Kampagne freigeschaltet wurden. Allerdings sind mehrere Erweiterungen bereits in Arbeit. Neben einem neuen Schiff – inklusive komplett neuer Besatzung – wird es auch neue Gegnertypen geben. Lokalisierte Fassungen sind ebenfalls in Arbeit. Für Langeweile ist in diesem Spiel absolut kein Platz.


Bei Optik und Thematik macht das Spiel keinen Hehl daraus, welche Vorbilder es hatte. Die Alien-Filme triefen aus jeder Ecke. Selbst die Intruder – die Aliens im Spiel – haben deutliche Ähnlichkeit mit den Leinwandkreaturen. Das alles sorgt aber nur für ein vertrautes Gefühl, wenn man allein oder in der Gruppe durch das Schiff schleicht.


NEMESIS ist ein kooperatives Spiel. Zusammenarbeit ist unerlässlich, aber auch nur so lange, bis das eigene Ziel klar wird. Am Ende kämpft jeder für sich allein. Auch wenn das heißt, dass man seine Kollegen in die Luftschleuse sperren muss, oder den Zugang zur letzten Rettungskapsel verwehrt. Oder man einfach die Zielkoordinaten ändert. Der Mars soll ja zu dieser Jahreszeit sehr schön sein…


Die oben beschriebene Geschichte spiegelt im Großen und Ganzen ein Solo-Spiel wider. Natürlich mit mehr Würfelei, Figurenschieberei und Kartenspielerei. Die Regeln – in den Infokästen grob angerissen, alles andere würde den Rahmen sprengen – sind am Anfang überwältigend, gehen im Verlauf aber gut von der Hand. Trotzdem bleibt NEMESIS ein schweres Spiel, welches mehr Niederlagen als Siege präsentieren wird. Aber darum geht es auch gar nicht. Das Erlebnis, also der Weg, ist das Ziel. Wie ein düster-dreckiges Sci-Fi B-Movie, in dem man selbst die Hauptrolle spielt. Happy End nicht ausgeschlossen (aber unwahrscheinlich).

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