John Williams kommt! Und dieses Mal wirklich! Nach der kleinen gesundheitlichen Panne vor anderthalb Jahren ist der Maestro noch einmal nach Europa gereist, und zwar nach Wien. Ehrensache, dass wir wieder dabei waren…
Standing Ovations! Das ganze Publikum ist plötzlich auf den Beinen, klatscht und johlt – dabei ist noch keine einzige Note gespielt worden. Der Star ist lediglich durch die Tür gekommen, sogar recht unspektakulär. Doch das reicht schon aus, damit der Applaus losbricht. John Williams betritt also den Konzertsaal! Ein paar Schritte, dann steht er am Dirigentenpult und quittiert den vorauseilenden Beifall des Publikums mit einem sanften Lächeln. Gerührt wirkt der Mann, beinahe schon beschämt, jedenfalls recht bescheiden. Sympathisch! Mit einer knappen Geste bedeutet der Maestro seinen Anhängern, dass sie nun genug applaudiert haben. Er dreht sich um, hebt den Taktstock, und das Orchester hüllt den Saal in Wohlklang. „Flight to Neverland“ aus dem Spielberg-Film Hook macht den Auftakt.
Die Euphorie des Publikums – unsere Euphorie, denn wir stehen mittendrin! – ist nur allzu verständlich. Es geschieht nicht oft, dass man eine lebende Legende vor der eigenen Nase auf der Bühne stehen hat. Praktisch zum Greifen nahe, gleichzeitig natürlich unberührbar. Und der Begriff „Legende“ trifft wohl nur auf wenige Künstler der heutigen Zeit so sehr zu wie auf John Williams: Der bald 88-jährige Komponist hat schließlich ein musikalisches Werk vorzuweisen, das Generationen von Filmzuschauer durchs Leben begleitet hat. Mehr noch: Das sie geprägt hat. Williams Themen und Melodien dürften für viele Filmzuschauer mit zu den ersten Erinnerungen zählen, die sie mit dem Medium verbinden. Und nicht wenige dürften dank ihnen selbst zur Musik oder zum Film gefunden haben.
Kein typisch klassisches Konzert
Die Freude der rund 700 Zuhörer im Goldenen Saal des Wiener Musikvereinshauses dürfte aber noch einem weiteren Umstand geschuldet sein: John Williams ist nicht nur da, sondern er ist „tatsächlich“ da. Der Mann wollte schließlich schon vor anderthalb Jahren endlich wieder nach Europa kommen – seit 1992 hat er in unseren Breiten keine Konzerte mehr gegeben – und in London sowie in Wien auftreten. Wir erinnern uns: Williams erkrankte kurzfristig. In der Londoner Royal Albert Hall sprang Dirk Brossé ein und dirigierte das London Symphony Orchestra. In Wien fielen die beiden geplanten Konzerte mit den Wiener Philharmonikern komplett aus. Und die holt der Meister nun nach.
Ehrensache, dass wir dafür erneut eine längere Anreise auf uns nehmen – so wie vermutlich ein großer Teil des internationalen Publikums. Wir hören unterschiedliche Sprachen rund um uns herum, nicht nur Deutsch und Wiener Schmäh. Und sowieso: Wir sehen auch ganz unterschiedliche Arten dessen, was das Publikum für eine angemessene Kleidung hält. Manche kommen im Anzug oder Kostüm, manche aber auch in Jeans und Hoody. Was zeigt: Das hier wird kein typisches klassisches Konzert mit Stock im Rücken und vornehmer Zurückhaltung. Das ganze Treiben gleicht mehr einem Rockkonzert – mit einem stillen alten Herrn als Hauptattraktion. Williams spricht alle Altersklassen an, noch eine besondere Lebensleistung.
„The House of Magic“
Es ist nun sicherlich nicht so, dass John Williams in seinem langen Leben nicht mit den besten Orchestern der Welt in den besten Konzertsälen der Welt gespielt hat. Aber die Wiener Stätte mit dem Wiener Orchester zählt nun einmal zu diesem erlesenen Kreis. Man merkt, dass auch ein Williams noch sehr dankbar für solch eine Zusammenarbeit ist. In seiner Begrüßung beschreibt er das Musikvereinshaus als „großartigen Ort“, sogar als „Tempel der Kunst, Haus mit Magie und Seele„. Und die Zusammenarbeit mit dem Orchester als „Ehre und Privileg“. Dass das keine Übertreibung, geschweige denn Bauchpinselei ist, merkt man bereits bei dem musikalischen Abstecher nach Nimmerland. Das Orchester, das sich auf der allzu engen Bühne zusammengefunden hat, spielt schlicht und einfach traumhaft. Allein die Tatsache, dass die Streicher beinahe zu schweben scheinen, lässt erahnen, warum die Akustik im Goldenen Saal so berühmt ist.
Das zweite Stück gibt einen ebenso harten wie willkommenen Kontrast zu der märchenhaft-zuckrigen Eröffnung. „Close Encounters of the Third Kind“ beginnt mit den bekannten experimentellen Dissonanzen à la Ligeti, die im Film für die unheimlichen Momente zuständig waren. Und auch diese Aufgabe erfüllt das Orchester mit Bravour. Nach dem Intro geht das Stück aber in den lyrischen Part über. Apropos Wirkung im Film: Etwas später folgt „Adventures on Earth“ aus Spielbergs E.T., und Williams geht in seiner Einleitung zu der knapp 10-minütigen Komposition auf die Vorteile einer Konzert-Präsentation ein. Er bezeichnet das Medium Film als ein starres Korsett für die Musik und nennt Sound-Elemente wie Dialoge und Geräusche – wohlgemerkt mit einem schelmischen Grinsen – als die „natürlichen Feinde“ der Musik.
Insofern ist es etwas Besonderes, die Musik befreit vom Film zu erleben. Und es lässt, so leise und zurückgenommen sich Williams auch stets geben mag, einen kleinen Rückschluss zu. Nämlich darauf, dass der Maestro über ein gesundes Selbstbewusstsein verfügt und um die Stärke seiner Musik weiß.
Die kleine Geste reicht vollkommen
Uns fällt auf, dass John Williams den Taktstock eher minimalistisch schwingt. Ihm reichen knappe Gesten, um das Orchester zu koordinieren und ihm Orientierung zu geben. Nur in wenigen Fällen geht der Komponist mit ganzem Körpereinsatz zu Werke oder lässt sich zu ausladenden Bewegungen hinreißen. Von Theatralik keine Spur. Nun kann man rätseln, woran das liegen mag. Etwa daran, dass Williams einen guten Teil seines Lebens im Aufnahmestudio ohne Publikum verbracht hat. Oder daran, dass sein Alter nicht ganz von der Hand zu weisen ist? Immerhin lehnt er sich auf dem Podium gerne mal an, hält sich mit der linken Hand fest und wählt seine Schritte mit Bedacht. Egal. Was zählt: Wir merken, dass das hier kein Routinejob ist. Williams ist konzentriert, er arbeitet, geht voll mit.
Das gilt übrigens auch für seinen Co-Star: Die Violinistin Anne-Sophie Mutter, die kürzlich mit Williams ein Album aufgenommen hat, kommt für einige Stücke auf die Bühne. Etwa für „Hedwig’s Theme“ aus Harry Potter oder für „Devil’s Dance“ aus The Witches of Eastwick, die sie mit ihrer Stradivari in feurig-furiose Czardas-Stücke verwandelt. Sie spielt das romantische „Theme“ aus dem Sabrina-Remake. Oder das von der Irish Fiddle geprägte „Donnybrook Fair“ aus Far and Away. Das alles tut sie virtuos, mit unheimlich viel Energie – so viel, dass sie einmal beinahe dem Orchester vorauseilt – und so spielerisch, dass man sich allein vom Tanz des Bogens über die Saiten hypnotisieren lassen mag. Wenn sie wiederum eine Pause hat und dem Orchester die Führung überlässt, dann schließt sie die Augen und wiegt mit der Musik.
Auf ein musikalisches Du-und-Du
Man merkt übrigens, dass Mutter und Williams befreundet sind. Die beiden feuern sich gerne mal gegenseitig an oder werfen sich Komplimente zu. Und den unverändert euphorischen Applaus des Publikums nach jedem Stück lenkt der Komponist in gewohnt bescheidener Manier zielsicher auf seine Violinistin um.
Violinlastig gerät das Konzert aber keinesfalls. Nach einigen Stücken verlässt Anne-Sophie Mutter die Bühne wieder. Dirigent und Orchester spielen nun das Konzert-Arrangement aus „Jurassic Park“, das in der Live-Version mühelos zwischen majestätisch und dramatisch wechselt – und selbst im Film lange nicht so gut geklungen hat. Ein kleines persönliches Highlight folgt für uns mit „Dartmoor, 1912“ aus Spielbergs War Horse. Das zarte Stück für Querflöte und Orchester versprüht pure Americana-Vibes à la Ralph Vaughan Williams und bestätigt einmal mehr, dass Williams‘ Spätwerk beileibe nicht schwächer ist als seine Phase in den 70ern und 80ern. Walter Auer, der Solist an der Querflöte, erledigt übrigens einen ganz wunderbaren Job und bedankt sich anschließend sogar beim Maestro für den Einsatz – der sich wiederum zurückbedankt.
Ein Liebespaar namens Luke und Leia
Klassiker reiht sich wieder an Klassiker, etwa das bemerkenswerte „Out to Sea / Shark Cage Fugue“ aus Jaws oder das romantische „Marion’s Theme“ aus Raiders of the Lost Ark. Der „Main Title“ aus Star Wars darf natürlich nicht fehlen, „Luke and Leia“ aus Return of the Jedi gibt es gleich dazu.
John Williams erzählt bei der Gelegenheit, dass er damals, als er das letztere Stück komponierte, ja nur die Handlung des bis dahin einzigen Star Wars-Films A New Hope kannte. Und damit nahm er an, dass aus Luke Skywalker und Prinzession Leia einmal ein Liebespaar werden sollte – worauf er beiden ein höchst romantisches Thema schrieb. Erst während der Produktion von The Empire strikes back eröffnete ihm George Lucas, dass die beiden Figuren aus dem Sternenkrieg in Wahrheit Bruder und Schwester sind. Überflüssig zu sagen, dass die Anekdote vom leicht inzestuöse Irrtum des Meisters für reichlich Gelächter im Publikum sorgt.
Ohne Film zu wahrer Größe
Zu – für uns – unbekannter Größe wächst übrigens das Stück „Rebellion is reborn“ aus The Last Jedi an, das nicht nur wichtige Themen aus der Star Wars-Saga verbindet, sondern das ganze Orchester komplett „in Bewegung“ versetzt. Auch das bestätigt noch einmal: Ohne den arg überladenen Film entfaltet die Filmmusik plötzlich eine ganz andere Wirkung.
Apropos Entfalten: Die verschiedenen Mitglieder des Orchesters entfalten mit zunehmender Länge des Konzerts eine hübsche Eigendynamik. Sei es das „Rudel“ Kontrabässe hinten rechts, das auf einem Fleck steht und das Beste aus dem wenigen Platz macht, der ihm zur Verfügung steht. Seien es zwei Violinisten vorne links, die in den dynamischen Parts wild drauflos fiddeln und sich dabei angrinsen, als würden sie einen Wettkampf ausfechten. Oder sei es der – nicht böse gemeint – beleibte Geiger in der Mitte, der sich vom Publikum anstecken lässt, ebenfalls applaudiert und dem Maestro ein „Bravo!“ zuruft. Dass das alles unter John Williams ein funktionierendes, lebendiges und virtuoses Ganzes ergibt, ist schon bemerkenswert.
Wenn die Solistin mit dem Rest spielt
Die Euphorie des Publikums wird mehr als belohnt: Insgesamt fünf Zugaben sollen nach dem offiziellen Ende des Konzerts folgen. John Williams geht von der Bühne, kommt zurück – und bringt sogar Anne-Sophie Mutter mit. „Frau Mutter hat noch etwas Lust zu spielen“, sagt Williams schlicht, schon gibt es „Nice to be around“ aus dem 1973er Cinderella Liberty mit Solo-Violine. Bei „The Duel“ aus The Adventures of Tintin wird spürbar, wie Williams in seiner Komposition das Hin und Her eines klassischen Hollywood-Schwertkampfs im wahrsten Sinne „vertont“ hat. „Remembrances“, das ursprüngliche Thema aus Schindlers Liste, gibt der Violinistin Mutter noch mal Gelegenheit, auch mit leisen Tönen zu glänzen.
Beim „Raiders March“ aus dem ersten Indiana Jones-Film geschieht sogar etwas Erstaunliches: Anne Sophie Mutter tritt von ihrem exponierten Posten als Solistin einen Schritt zurück und reiht sich mit einem Grinsen in die Stimme der ersten Geigen ein. Dann irgendwann aber folgt das Unvermeidliche: Mit dem „Imperial March“ aus The Empire strikes back findet das knapp dreistündige Konzert leider sein endgültiges und viel zu frühes Ende.
Verträumte Blicke im Publikum
John Williams vollbringt mit dem Konzert mal wieder ein kleines Kunststück. Das da wäre: Er verzaubert das Publikum mit seiner Musik. Wer während der grandiosen Darbietung auf der Bühne einmal nach Links oder Rechts schaut, der sieht auf den Rängen regelrecht verträumte Blicke. Zuhörer, die den Kopf in die Hände gebettet haben und sich ganz auf die Musik einlassen. Und sogar ein, zwei Anwesende, die so ergriffen vom Gebotenen sind, dass sie sich ein paar Tränen nicht verkneifen können. Für viele dürfte mit diesem Konzert ein Traum in Erfüllung gegangen sein, der bis in die Kindheit zurückreicht. Der „Rockstar“ Williams wiederum hat zum Ende des Konzerts ganz andere Prioritäten: Er gibt seinem Publikum zum Abschied mit einer Geste zu verstehen gab, dass es nun Zeit für ihn ist, ein Nickerchen zu machen.
Jetzt ist sicherlich die Frage: Wie kann man solch ein beinahe historisches Konzert eigentlich noch toppen? Im Grunde gar nicht. Auch für uns ist ein kleiner Traum in Erfüllung gegangen. Und zugleich haben wir es auch als „sportliche“ Herausforderung gesehen, nach dem Konzert in London nun in Wien endlich dem Maestro gegenüber zu stehen. Dass uns das geglückt ist, ist übrigens einem guten Bekannten zu verdanken, der uns die Karten freundlicherweise organisiert hat – und dann auch noch mit Plätzen in der zweiten Reihe auf den mittleren Sitzen. Dafür gebührt ihm auch an dieser Stelle unser herzlicher Dank! Den Tag haben wir dann übrigens stilecht zu Ende gehen lassen: Wenn man schon in Wien ist, dann geht man auch in ein Wiener Kaffeehaus. Also haben wir uns stundenlang durch Sachertorte und Apfelstrudel „gearbeitet“. Und die Eindrücke des Konzerts bei einer live vorgetragenen Kaffeehaus-Musik Revue passieren lassen. Ein Traum im Dreivierteltakt…