Eine Gruppe Männer macht sich auf, um in der Südstaaten-Wildnis ihrer Abenteuerlust zu frönen. Allerdings kommt es anders als gedacht. Ihr Kontakt mit den Einheimischen mündet schnell in unkontrollierbarer Gewalt, und das Unheil nimmt seinen Lauf. Grob umrissen ist das die Handlung von John Boormans Film Beim Sterben ist jeder der Erste (Deliverance) von 1972. Es ist ebenfalls die Handlung von Walter Hills Die letzten Amerikaner (Southern Comfort) von 1981. Natürlich jeweils auf das Minimum heruntergebrochen. Doch auch wenn sich die Filme ähneln und teilweise gleiche Situationen und Elemente beinhalten, so sind sie doch verschieden.

Fluss ohne Wiederkehr

In Boormans Film machen sich vier Männer auf, um einen Fluss mit dem Kanu zu befahren. Ein letztes großes Abenteuer, bevor der Fluss einem Stausee weichen muss. Am Anfang der Reise sieht es auch noch so aus, als wären die Bewohner der abgeschiedenen Landschaft zwar schrullig, aber liebenswürdig – auch wenn Boorman sehr ausgiebig auf den beschränkten Genpool hinweist. Ihre nächste Begegnung mit den Hinterwäldlern könnte aber nicht schrecklicher ablaufen. Und der erste Tote lässt nicht lange auf sich warten.

Maybe we should call the National Guard?

Hills Film geht die Situation anders an. Armee-Reservisten starten eine Übung in den Sümpfen Louisianas. Ausgerüstet mit Gewehren und Platzpatronen wird Krieg gespielt. Besonders ernst nimmt es kaum einer der Männer. Sie sind damit beschäftigt, den harten Hund raushängen zu lassen. Unschöne Folge des Protzgehabes: Die Wochenend-Soldaten zeigen nicht gerade Respekt vor fremdem Eigentum. Bereits in der Titelsequenz werden Fischernetze zerstört. Und als sich die Herren drei vermeintlich verlassene Kanus „ausleihen“, treten die rechtmäßigen Besitzer auf den Plan. Nachdem erste Kontaktaufnahmen mit den Cajuns –  den französischstämmigen Bewohnern der Sumpflandschaft – scheitern, hat man nichts Besseres im Sinn, als sie mit den Platzpatronen zu beschießen. Die wissen natürlich nicht, dass ihnen keine Gefahr droht, und erwehren sich der Attacke. Auch dabei ist der erste Tote vorprogrammiert.

Führerlos durch den Sumpf

Man sieht also: Das Setting ist ähnlich, und das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen endet in derselben Katastrophe. Für ihre jeweilige Zeit boten beide Filme einen ansehnlichen und bekannten Cast. Burt Reynolds, Jon Voight und Ned Beatty stechen in Deliverance hervor. Southern Comfort trumpft mit Powers Boothe, Keith Carradine, Fred Ward und Peter Coyote auf. Auch nehmen sich beide Filme heraus, ihre – Achtung, Spoiler! – eigentlichen anführenden Figuren zu entsorgen. In Southern Comfort ist es Coyote, der als Anführer der Reservisten das erste Opfer darstellt und den bunten Haufen führungslos zurücklässt. In Deliverance wird Reynolds‘ Alpha-Männchen nach der Hälfte des Films zum jammernden Nebendarsteller. Dadurch geraten die eher unscheinbaren Figuren in den Vordergrund.

  Walter Hill


Walter Hill, geboren am 10 Januar 1942 in Kalifornien, zählt zu einem der einflussreichsten Action-Regisseure seiner Zeit. Mit Werken wie Driver und The Warriors festigte er seinen Ruf und schuf sogleich Filme, die auch heute noch bekannt sind und ausgiebig referenziert werden. Vor allem The Warriors ist zum absoluten Kultfilm avanciert. Ob Western wie Long Riders, Geronimo oder Broken Trail, Action wie Nur 48 Stunden, Straßen in Flammen oder Last Man Standing – Hill bewies immer ein sicheres Händchen in der Inszenierung, auch wenn seine Filme am Box Office nicht immer erfolgreich abschnitten. Seine aktuellen Werke lassen seine Handschrift zwar immer noch erkennen, aber die heutige Generation der Kinozuschauer scheint andere Filme zu bevorzugen. Shootout und The Assignment waren herbe Flops.


Hill war aber auch immer als Drehbuchautor und Produzent tätig. So war er zum Beispiel am Drehbuch zu Aliens von James Cameron beteiligt. Auch an der Fortsetzung Alien³ schrieb er mit. Die Alien-Reihe ist sowieso stark mit Hill verbunden: Bei allen Filmen – auch den Alien vs Predator-Crossovern – saß Hill im Produzentenstuhl.

Deliverance, kein Sterben für Erste: Für das Steelbook verzichtete man auf den sperrigen deutschen Titel. Die Disc blieb davon allerdings nicht verschont und ist mit dem deutschen Titel beschriftet.
Ein Konflikt ist nicht genug

Deliverance bietet dem eher ruhigen und konfrontationsscheuen Jon Voight sowie dem klassischen Opfer-Charakter von Ned Beatty Platz, sich zu entwickeln. Voights Figur muss Entscheidungen treffen und zur Waffe greifen. Beatty verliert im wahrsten Sinne des Wortes seine Unschuld und wird zum demütigen, aber handelnden Kameraden. Die vorherigen Entscheider, Ronny Cox‘ Zweifler und Reynolds‘ Macher, spielen zu dem Zeitpunkt keine Rolle mehr.

Southern Comfort setzt in diesem Zuge mehr auf den Konflikt innerhalb der Gruppe. Als wäre es nicht schon genug, dass ihnen die Sumpfbewohner auf den Fersen sind, nein, auch einzelne Mitglieder des eigenen Trupps macht den Filmfiguren das Leben schwer. Dabei sticht vor allem Fred Ward als Unruhestifter heraus. Die vernünftigen Ansätze, die Powers Boothe und Keith Carradine einbringen, fruchten nicht. Den beiden Männern bleibt nichts anderes übrig, als zusammenzuhalten, während der Rest der Gruppe zerbricht. In beiden Filmen zeigt sich, wie die Beziehung der Charaktere untereinander zerstört wird und die Vernunft letztlich dem Recht des Stärkeren unterliegt.

Die Überheblickeit der Zivilisierten

Auch wenn es Hill immer abstritt und dies sogar der Crew einbläute: Southern Comfort ist eine Parabel auf den Vietnam-Krieg. Zu deutlich sind die Anleihen an das große amerikanische Trauma. Überheblich und katastrophal unvorbereitet, machen sich die Soldaten auf in den „Kampf“. Fremdes Terrain und ein Feind, der ihnen immer einen Schritt voraus ist – aus der grünen Hölle gibt es kein Entrinnen. Jedenfalls für die meisten. Sichtlich zermürbt betreten die letzten Überlebenden am Ende die Höhle des Löwen, nur um festzustellen, dass die Cajuns gar nicht so schlimm sind. Gastfreundschaft und Herzlichkeit zeichnen ein ganz anderes Bild als das, was die Soldaten vorher kennenlernen mussten. Dennoch bleiben die Zweifel, ob man den Menschen trauen kann,  und eine finale Konfrontation ist unausweichlich. Zum Schluss kommt die Armee zur Hilfe, um ihre Jungs da rauszuholen.

Zivilisation rettet nicht

Die Kanutour in Deliverance trägt auch die Züge dieser Überheblichkeit der vermeintlich Zivilisierten. In Form der Städter, die das Abenteuer suchen und gnadenlos der Natur und deren Bewohnern ausgeliefert sind. Bis auf Reynolds ist niemand dieser Aufgabe gewachsen, und auch er ist es, der folgenschwere Entscheidungen in Gang setzt. Am Ende, wenn die sichere Zivilisation erreicht ist, geht es auch dort weiter mit der Tortur: Es folgt eine Untersuchung der Vorfälle, in der sich Voight und Beatty entscheiden müssen und einen Weg wählen, den sie bereits vorher beschritten hatten. Sie erfinden nämlich eine Geschichte und müssen nun mit dieser Lüge leben. Eine Lüge, die sie bis in ihre Träume verfolgt. So herrscht ebenfalls ein schrecklicher Zweifel jedem gegenüber, dem sie daraufhin begegnen. Vorbei die Leichtigkeit, die am Anfang des Films noch vorherrschte.

I bet you can squeal like a pig.

Beide Filme spiegeln also das Verhalten des modernen Menschen gegenüber einfacheren – vermeintlich zurückgebliebenen – Lebensweisen wider. Das Ergebnis ist in beiden Fällen unterschiedlich und zeigt auf, wie eine ähnliche Prämisse ganz unterschiedlich entwickelt werden kann. Ähnlich ist es übrigens auch den beiden Filmen und ihrem Platz in der Filmgeschichte ergangen: Deliverance einerseits hat sich in die Popkultur eingebrannt. Wer erinnert sich nicht an die Schweinchen-Szene oder kriegt Gänsehaut, wenn die berühmte Banjo-Melodie ertönt? Southern Comfort andererseits ging im Bewusstsein der Zuschauer unter und ist heute allenfalls ein Geheimtipp. Besonders schade ist in diesem Zusammenhang auch, dass die fantastische Musik von Ry Cooder keine ordentliche Veröffentlichung erfahren hat. Drei Stücke gibt es zwar auf einer Best of-CD des Komponisten, aber ein eigenes Album war dem Film nicht vergönnt. Eine Schande.

John Boorman


Der Engländer John Boorman wurde am 18. Januar 1933 geboren. Einer seiner ersten Filme war der Lee Marvin-Streifen Point Blank. Weitere Projekte mit und sogar über Marvin sollten folgen.

Zur Zeit von Deliverance versuchte sich Boorman auch an einer Verfilmung von Der Herr der Ringe. Da der finanzielle Aufwand zu hoch war, wurde das Projekt begraben. Boorman schuf daraufhin sein eigenes Fantasy-Epos mit Excalibur, in dem er nicht nur die Artus-Sage verarbeitete, sondern auch Elemente seiner gescheiterten Ring-Verfilmung verwendete.


Neben dem miserabel aufgenommenen Exorzist 2 drehte Boorman auch Der Smaragdwald, in dem er seinem Sohn Charley die Hauptrolle neben Powers Boothe gab. Um diesen Film für die Award-Season zu bewerben, lies er VHS-Kopien anfertigen, die den Mitgliedern der Academy zur Verfügung gestellt wurden. Dies war wohl die erste wirkliche Form der „Screener“, die heutzutage zum Alltag in Hollywood gehören. Genutzt hat es dem tollem Öko-Drama allerdings nichts.


Mit Queen & Country drehte Boorman 2014 seinen vorerst letzten Film. Dafür veröffentlichte er im hohen Alter von 83 Jahren seinen ersten Roman Crime of Passion. Kleiner Hoffnungsschimmer für alle angehenden Autoren: Es ist niemals zu spät anzufangen.

Redneck-Country – zum Sterben schön

Jeder Film ist für sich ein großartiges Werk, auch wenn ich Southern Comfort – heute genauso wie damals – besser finde. In Kombination gesehen, ergibt sich durch die Streifen auch ein anschauliches Bild der Wahrnehmung des Hinterwäldlers in den Vereinigten Staaten. Irgendwie schon merkwürdig, aber irgendwie auch herzlich. Trauen kann man ihnen aber nicht, oder? In Deliverance führt die Überheblichkeit der Hauptfiguren ins Verderben. Die ursprünglich positive Stimmung ist am Ende komplett zerstört. In Southern Comfort bekommen die Soldaten gar nicht erst die Chance, die Cajuns als freundliche Menschen wahrzunehmen. Und am Ende sind sie so von ihren Erfahrungen geprägt, dass sie die Gastfreundschaft der Einwohner hinterfragen und nur als Falle sehen. Im Grunde – so wird letztlich deutlich – sind die Soldaten die eigentlichen Antagonisten des Films.

Die DVD hat schon einige Jahre auf dem Buckel und ist beidseitig bespielt. Ob Widescreen oder Vollbild, der Zuschauer hat die Wahl. Das Bild ist noch überraschend gut, dennoch wird es Zeit für eine gescheite Veröffentlichung auf Blu-Ray.

Gemessen an heutigen Sehgewohnheiten, wirken beide Filme ein bisschen veraltet. Boorman und auch Hill sind Regisseure einer anderen Zeit. Manche Filmfans würden behaupten: einer besseren Zeit, aber das muss jeder für sich selbst entscheiden. Ausschlaggebend ist nur, dass es beiden Regisseuren gelungen ist, Filme zu drehen, die den Zuschauer packen, ihn emotional fordern und am Ende mit einem mulmigen Gefühl und eventuell auch etwas Mitschuld entlassen. Deliverance und Southern Comfort sind keine Feel-Good-Movies. Sie entführen in eine gnadenlose Welt, die ihren Figuren einiges abverlangt und sie am Ende seelisch vernarbt zurücklässt. Dafür muss man in Stimmung sein, aber man wird auch mit zwei wunderbaren Filmerlebnissen belohnt.

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