Avantasia ist ja schon was Besonderes im harten Rockgeschäft: Das Projekt von Tobias Sammet vereint epische Melodien mit amtlicher Härte. Und mit vielen Gastmusikern. Da müssen wir aufs Konzert…

Metal ist ehrlich – denn Metal tut weh. Damit ist nicht der mordsgeile Bass gemeint, der Schädel und Brustkorb beben lässt. Auch nicht die elektrifizierte Gitarrenarbeit, die sich in die Gehörgänge sägt. Und ebenfalls nicht die unermüdliche Rockröhre von Tobias Sammet. Ne, viel einfacher, viel naheliegender: Metal ist harte körperliche Arbeit, die da von den harten Kerle und den nicht minder harten Damen auf der Bühne verrichtet wird. Sammets Rockoper-Projekt Avantasia steht auf dem Programm – in diesem Fall im beschaulichen Osnabrück – und hat Material für dreieinhalb Stunden Dauer-Beschallung mitgebracht. Was zwei Effekte auf das Publikum rund um mich herum hat: Zum einen wird gerockt und die Pommesgabel in die Höhe gereckt, als gäbe es kein Morgen. Und zum anderen greift sich so mancher zwischendurch mal an den Rücken oder streckt und biegt sich ein bisschen durch. Ja, Metal tut weh.

Beethovens „Ode an die Freude“ schallt durch die Halle, dann fällt der Vorhang und gibt den Blick auf einen Friedhof frei – also einen Friedhof im heimelig-morbiden Tim Burton-Style. Gitarren, Bass, Schlagzeug knallen einem sofort auf die Ohren, das Background-Trio lässt stilecht die Haare flattern. „Ghost in the Moon“, den knapp zehnminütigen Opener des neuen Albums Moonglow, gibt es als Einstieg. Und Avantasia-Gründer Tobias Sammet flitzt von Beginn an über die Bühne, als hätte er eine Wagenladung Duracell-Häschen verschluckt. Lange ausgefranste Kutte, langer Schal, Hut mit Steampunkt-Attitüde, das Outfit stimmt also schon mal. Avantasia – das ist die ganz große Geste. Tiefe Gefühle unter harter Schale. Schwelgerische Melodien über amtlicher Härte.

Teils Gastarbeiter, teils Naturgewalt

Der Tobi, der hat´s drauf. Wenn er nicht gerade singt, ist er am Dauergrinsen. Mit guter Laune und ein paar ehrlichen Gesten hat er das Publikum sofort auf seiner Seite – und heizt es auch ordentlich an. Jedes Mal, wenn er „Osnabrück“ ruft, grölt das Publikum zuverlässig los. Und Sammet zeigt sich ehrlich beeindruckt, ja geradezu bewegt von der Euphorie der mehreren Tausend Zuschauer in der Halle – davon, wie sie die gute Laune auf die Bühne zurückspielen. Ok, anders wird er das in Fulda, Oberhausen und Hamburg, in Tokio, Melbourne oder Chicago sicherlich auch nicht machen. Aber es zeugt von einer besonderen Freude an der Sache. Und viel wichtiger: von einer gewissen sympathischen Nahbarkeit des Stars.

Wie es sich für das Avantasia-Projekt gehört, hat Sammet auch wieder einige „Gastarbeiter“ mit auf die Bühne gebracht. Nachdem er also die Intro-Phase locker gehändelt hat, gesellt sich Ronnie Atkins hinzu, der im Hauptberuf Sänger der Pretty Maids ist und eigentlich Paul Christensen heißt. Der Däne, der vermutlich schon mit dem angespannt-zerknautschten Shouter-Gesicht auf die Welt gekommen ist, wirkt wie eine mittlere Naturgewalt und gibt dem Avantasia-Pathos reichlich Druck auf den Kessel. Nicht minder metallisch geht es mit Jørn Lande weiter: Der Norweger mit dem „evil“ Gesichtsausdruck und im geschmackvollen Hemd mit Blumen-Print darf sich unter anderem am Stück „The Piper at the Gates of Dawn“ versuchen. Allerdings geht seine Stimme ab und zu im kompakten Soundpaket unter, das da von der Bühne schallt. Macht aber nichts, immerhin zählt das Gesamtwerk, und das hat Lande drauf.

Der tut nichts, der will nur spielen

Auftritt Geoff Tate, bekannt als Sänger der Metalband Queensrÿche und als solches ebenfalls eine Naturgewalt. Ganz in Schwarz, mit Kette und Glatze bringt er schon mal die richtigen Vibes rüber. Etwa beim metallisch-krachigen „Alchemy“. Aber er zeigt auch sehr schnell: Er hat Spaß am Avantasia-Opernbetrieb und will nur spielen. Apropos Spielen: Auf die Band ist Verlass, zum Beispiel auf die Gitarristen. Da wäre Avantasia-Urgestein und Gitarrist Oliver Hartmann, der mit seiner Vier-Oktaven-Stimme auch selbst mal ans Mikro darf. Oder Sascha Paeth, der neben seinem Job als Gitarrist auch der Produzent von Avantasia ist.

Etwas schillernd wird es mit dem Sänger von Mr. Big, Eric Martin. Mit Sakko, Schal und gediegener Kurzhaarfrisur sieht der Amerikaner irgendwie so gar nicht metal-mäßig aus. Allerdings zeigt er ziemlich schnell, dass er mehr drauf hat als den „To be with you“-Schmusekurs. Tatsächlich bringt er eine der besten Rockstimmen des Abends mit und weiß gut mit dem Avantasia-Material umzugehen. Und nicht nur das: Auf dem Programm steht „Maniac“, der oscarnominierte Song aus dem Film Flashdance und damit etwas Artfremdes auf der Setlist des Abends. „Warum machen die so was?“, fragt Sammet von der Bühne – und gibt auch gleich die Antwort: „Weil sie es können!“

Das Magnum unter den Rock-Sängern

Ein Meister gibt sich die Ehre: Auftritt Bob Catley. Das Hard Rock-Urgestein ist seit den frühen 70ern mit der festen Rockgröße Magnum unterwegs. Da ist es dann auch völlig egal, ob der 71-jährige Brite mit seinem blauen Show-Mantel und der toupierten Mähne optisch eher an eine Schlagersendung erinnert, denn musikalisch passt es: Catley nimmt es locker mit seinen Vorsängern auf und bringt das opernhafte Avantasia-Material locker und mit reduzierter Gestik rüber. Sowieso: Catley ist ein guter Bekannter im Avantasia-Zirkus, und so wirkt sein Auftritt beinahe schon so nett und herzlich wie ein Freundschaftsdienst unter Bekannten, die zufällig alle gerade einen Gig geben.

Ach, das Alter: Dass die Rockgrößen auf der Bühne allesamt keine 30 mehr sind, nehmen sie mit Humor. Da macht der eine gerne mal Witze über das Alter der anderen. Und selbst der 41-jährige Sammet, eigentlich der Benjamin in der Runde, erzählt gerne von der „guten alten Zeit“. Etwa als er so 1998 oder 1999 mit Gamma Ray in Osnabrück gewesen ist. Nebenbei plaudert er aber auch aus dem Nähkästchen. Zum Beispiel als es zur ersten Single des neuen Albums „The Raven Child“ geht, die von Lande gesungen wird: Das Ding ist immerhin mehr als 11 Minuten lang, was die Plattenfirma angeblich zur Verzweiflung getrieben hat. Denn: So etwas Langes wird doch nicht im Radio gespielt, habe die gemeint. Sammet lacht da nur von der Bühne und sagt: „In welchem Radio wird denn überhaupt ehrliche und handgemachte Musik gespielt?“ Das Publikum lacht mit.

Der Tod eines Hamsters

Ach, übrigens, von wegen „ehrliche und handgemachte Musik“: Die Avantasia-Combo macht das alles nicht fürs Geld. Nein, nein, nicht doch, beteuert Tobias Sammet zwischendurch mal. Doch nicht für die Kohle. „Sondern damit wir immer schön was zum Kiffen haben“, sagt er und grinst seine Band an. Na, immerhin. Nebenbei erfahren wir auch noch ein bisschen aus der frühen Kindheit des Sängers. Etwa von seinem Hamster Billie, der auch mal Durchfall hatte – was mengenmäßig noch zu bewältigen gewesen sei – und schließlich gestorben ist. Immerhin 8 Mark habe die Entsorgung, äh, Beerdigung gekostet. Wozu Sammet die speziellen Einblicke gibt? Weil ihm das Publikum auf den Rängen mit den Sitzplätzen nicht lebhaft genug ist, eben so wie sein Hamster kurz vorm Exitus. Ehrensache, dass die gerügten Rockfreunde ab sofort richtig mitfeiern.

Auf der Bühne geben sich die Sänger derweil in loser Abfolge die Klinke in die Hand und liefern ein Duett nach dem anderen mit einem Querschnitt durch das Avantasia-Werk. „The Story ain´t over“, „Dying for an Angel“ oder „Lost in Space“ – alles dabei. Natürlich mit Schwerpunkt auf dem aktuellen Album Moonglow, aber auch mit frühen Stücken von der Metal Opera. Die Fans freut´s, jedenfalls wird rechts und links von mir textsicher mitgesungen und so mancher Song freudig bekreischt.

Da lugt sogar Meat Loaf um die Ecke

Gegen Ende gibt’s dann auch noch das beste Lied, das Jim Steinman nie geschrieben hat: „Mystery of a Blood Red Rose“ vom Album Ghostlights. Klingt mit dem Background-Chor extrem nach Meat Loaf und… einfach episch. Ach, der Background-Chor. Ja, der hat seinen Spaß – und zeigt auch, dass das Konzert vor allem eben genau das ist: Spaß. Da gibt es Mätzchen und Tänzchen und Gepose, aber alles passt sich eben auch gut in das cartoonige Friedhofs-Setting ein. Background-Sängerin Adrienne Cowan darf dabei gleich mehrfach glänzen, nicht nur bei den balladigen Duetten mit Sammet, sondern auch mal mit einem handfesten Brüllen. Von knallhart bis samtweich ist die Dame also gut dabei.

Das Publikum ist sich derweil sicher: Die Band funktioniert. Und leistet. Da schnappe ich Fachsimpeleien von einigen Gästen auf, die schon ganz andere Konzerte erlebt haben, bei denen sich weder die Musiker auf der Bühne noch die Musiker und die Zuhörer ganz grün gewesen sein sollen. Anders hier: Obwohl Gaststars verschiedener Bands und aus unterschiedlichen Ländern zusammenkommen, funktioniert es ganz einfach. Wenigstens während der Show.

Nach dreieinhalb Stunden und drei Zugaben ist das Konzert vorbei. Wie Sammet sagt: Wenn´s am schönsten ist, muss man aufhören. Dabei gibt er ein Versprechen: Sollte Avantasia wieder auf Tour gehen, wird Osnabrück mit auf der Liste stehen. Ok, die Ankündigung behalten wir doch mal vorsichtshalber im Hinterkopf. Im Publikum gibt’s am Ende beeindruckte Stimmen, nicht nur über die Musik, sondern über die rein physische Leistung. Wie gesagt: Ein Konzert auf der Länge ist schon ein gutes Stück Arbeit. Also rückt sich so mancher das Kreuz zurecht, massiert seine Beine und stakst steif, aber zufrieden heim.

 

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