Nicht unbedingt zu früh: Disney hat eine Fortsetzung zu einem Klassiker produziert – Mary Poppins´ Rückkehr. Dabei kann viel schiefgehen. Manches kann aber sogar besser werden.
Jetzt stelle man sich das mal vor: Da macht ein bunt gekleidetes Trüppchen einen Ausflug in eine Fantasiewelt. Und nicht in irgendeine, sondern in eine gemalte und animierte Fantasiewelt. Die Gruppe unternimmt eine Fahrt in einer gemalten Kutsche, besucht eine gemalte Musik-Show in einem großen gemalten Zelt mit einer Masse an ebenfalls bunt gekleideten und gemalten Tieren. Und als besonderen Bonus gibt es noch eine rasante Verfolgungsjagd, bei dem die gemalte Welt mal eben auf die Seite kippt. Wir befinden uns in einem Film und fragen uns spontan: Wann mag dieser Film entstanden sein? Vor 50 Jahren? Irgendein bislang verschollenes Relikt aus den Disney-Studio, das noch unter dem guten Walt gedreht worden ist?
Geschichte wiederholt sich bekanntlich zweimal – einmal als Komödie und einmal als Tragödie. Mary Poppins´ Rückkehr vereint beides und bezieht daraus seine besondere Stärke. Um das genauer zu erklären: Zunächst einmal sieht der zweite Film um die magische Nanny aus dem Jahr 2018 genauso aus wie das übergroße Vorbild, das legendäre und legendär bunte Musical aus dem Jahr 1964. Wir kehren zurück in eine altbekannte Cherry Tree Lane 17, erkunden die altbekannten Straßen, das Dach von Admiral Bumm mit seiner Kanone, das Foyer der Familie Banks und natürlich den Park. Und das alles wirkt vertraut. Das ist sicherlich zu einem guten Teil dem Regisseur Rob Marshall zu verdanken, der großen Wert darauf gelegt hat, dass Kulissen und visuelle Effekte wie ehedem rüberkommen. Vielleicht ein bisschen aufpoliert, vielleicht ein bisschen dynamischer gefilmt, aber eben auch nicht mehr.
Stück und Gegenstück
Die Handlung kommt uns ebenfalls vertraut vor. Denn so ziemlich jeder bekannten Sequenz aus dem Erstling setzt Mary Poppins´ Rückkehr eine vergleichbare Sequenz entgegen: Der Ausflug in das Bild auf dem Straßenpflaster findet sich hier als Ausflug in das Bild auf einer Porzellanschale. Der Nachmittagstee beim lachenden Onkel Albert wird hier zum Besuch bei der „kopfunter“ stehenden Cousine Topsy. Die ausladende Tanzszene der Schornsteinfeger erhält eine Variation in der nicht minder ausgedehnten Musicalnummer der Learys, also der Laternen-Anzünder. Wir verirren uns wieder im Londoner Nebel, treffen wieder auf einen sympathischen guten Bekannten von Mary Poppins, und die große Londoner Bank spielt auch dieses Mal wieder eine wichtige Rolle für die Familie Banks.
Die größte Herausforderung bei Mary Poppins´ Rückkehr lastete wohl auf den Schultern von Marc Shaiman und Scott Wittman. Shaiman ist der Komponist, sein Lebensgefährte schreibt die Song-Lyrics. Das Original lebt von seinen Songs, heute Ohrwürmer und Evergreens. Welchen Weg würde der Folge-Soundtrack einschlagen? Wäre er bemüht, mit aller Gewalt den nächsten „Spoonful of Sugar“ oder „Supercalifragilistic“ schaffen zu müssen? Tatsächlich gelingt dem Duo das Kunststück, dass sich die Musikstücke und der Score zwar „Poppins-ish“ anhören, auch einige Wortspiele bieten, aber keine plumpe Kopie sind. Mehr noch: Die Musik gibt dem Treiben auf der Leinwand noch mal richtig Schwung, also genauso wie es auch im Original war. Wer mal ein Ohr riskieren möchte, sollte „(Underneath the) Lovely London Sky“ oder „A Cover is not the Book“ antesten. Heimliche Highlights sind aber die beiden Balladen „A Conversation“ und „The Place where lost Things go“.
Schärfere Konturen für das Kindermädchen
Der Punkt ist nur: Mary Poppins´ Rückkehr belässt es nicht bei der reinen Kopie. So erzählt der Film die Geschichte der Banks-Kinder, die inzwischen erwachsen geworden sind, logisch vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise weiter. Und – viel wichtiger – er macht so manches besser als das Original. Wie das? Zunächst einmal ist die Rückkehr des besonderen Kindermädchens einen ganzen Tacken stringenter erzählt. Auch wenn erneut viel gesungen und getanzt wird, so behält der Film seine eigentliche Geschichte doch deutlich stärker im Blick. Und dann wäre da noch die Zeichnung der Charaktere: Mary Poppins selbst bekommt einige schärfere Konturen als noch im ersten Teil, darf auch mal spröde und sarkastisch sein. Und auch die inzwischen erwachsenen Banks-Kinder sind lebendige Figuren mit ernsten Problemen. Übrigens ist die gesamte Besetzung von Emily Blunt über Ben Wishaw und Musical-Star Lin-Manuel Miranda bis hin zu einem ziemlich gelungenen Cameo eine große Freude.
Mehr als nur Zuckerwatte
Apropos Ernst… Mary Poppins´ Rückkehr ist keine reine Zuckerwatte mehr. Der Film vereint – wie eingangs erwähnt – Komödie und Tragödie. Dabei stehen lustige und einige dunklere Sequenzen gleichberechtigt nebeneinander, schaffen Kontrast und verstärken sich gegenseitig. Wenn etwa die Kinder ihrer verstorbenen Mutter nachtrauern und daraus trotzdem Mut schöpfen, wagt die Fortsetzung ein großes Stück mehr als das Original, das ernste Themen mehr als Karikatur präsentierte. Insofern entwickelt Mary Poppins ihren eigenen Mythos angenehm dezent, aber trotzdem bestimmt weiter.
In Kürze: Mary Poppins´ Rückkehr ist Wiederholung genauso wie logische Fortführung, kein Abklatsch, sondern Weiterentwicklung. Der Film bietet neben kunterbunter Zuckerwatte auch mehr melancholische Momente und echte Konflikte. Und – man höre und staune – hinter der Musical-Nummernrevue verbirgt sich eine stringentere Handlung. Insofern eine gelungene Fortsetzung und sogar ein Tickchen besser als das Original.
Bewertung: 9 / 10
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