Hallolo! Michse sind zeitgereist. Zurück, zurück, laaange Reise gemacht. Habe superheftig Film geguckigucki. Gesehen habe ich Episode I. 20 Jahre das nun her sein. 20 Jahre und vieleliele Diskutierens. Blick zurück!
Und dann ist da dieser Blick. Empörung ist eine gute Beschreibung dessen, was der Besitzer dieses Blicks wohl gerade empfindet. Es ist das erste, was ich sehe, als ich aus dem Kinosaal komme, direkt vor dem Eingang stehen bleibe, mich umdrehe und darauf warte, wieder in den Saal eingelassen zu werden. Hinter mir und meinen Freunden steht nämlich gerade eine Horde von Kinogängern und wartet darauf, endlich „Star Wars: Episode I – Die dunkle Bedrohung“ sehen zu können. Wir sind schneller: Wir haben Karten für die Nachmittags- und die Abendvorstellung im Cinemaxx Bremen, also kommen wir aus der ersten Sichtung – und sind die ersten, die zur nächsten Vorstellung anstehen. Hinter uns hat man dafür wenig Verständnis, es gibt auch hörbares Gemurre, aber hey, erstens haben wir Karten und zweitens: Es geht um Star Wars! Etwas Wichtigeres gibt es gerade nicht.
„Es ist nur ein Film.“ – Das sagt George Lucas selbst über seinen Film, und zwar vor Kinostart. Man stelle sich das heutzutage einmal vor: Nehmen wir an, Avengers: Endgame kommt ins Kino, und Produzent Kevin Feige sagt den Fans: Regt euch ab, ist nicht so wichtig, nur ein Film. Aus Marketing-Sicht undenkbar. Tja, der gute George tickte schon immer ein bisschen anders. Und seien wir mal ehrlich: Im Mai 1999 muss der sich nun wirklich keine Sorgen um das Marketing machen. Episode I steht gerade in den Startlöchern, der erste Film aus der Sternenkrieg-Saga nach 16 Jahren, und die Welt steht Kopf, so scheint es.
Jedenfalls ist der Hype um Episode I so groß, dass sich der Schöpfer selbst dazu genötigt sieht, die Erwartungshaltung der Fans ein wenig zu dämpfen. „Es ist nur ein Film“, sagt Lucas also im Interview mit der New York Post. „Die Leute sollen sich um ihr Leben kümmern.“
Eine lange, lange Wartezeit
Was George da übersieht, ist nur: Star Wars war bis dahin ein nicht ganz unwichtiger Teil unseres Lebens und ist es zu diesem Zeitpunkt mehr denn je. Also, aus einem gewissen Blickwinkel natürlich. Im Sommer 1999 überlegen wir tatsächlich, für die Premiere nach London zu fahren, um das Ereignis angemessen zu zelebrieren. Andere Fans sind derweil längst in die USA geflogen, nur um den Film zur Premiere zu sehen. Immerhin startet Episode I dort wie jeder Star Wars-Film vor ihm am Memorial Day-Wochenende, also am 19. Mai des Jahres. Aber es herrschen noch andere Kinozeiten, die Deutschen müssen auf ihre dunkle Bedrohung bis zum 19. August warten. Manche vertreiben sich die Wartezeit im Kino bei Die Mumie, Matrix und Notting Hill. Andere mogeln und sehen sich den neuen Star Wars-Film bereits in mauer Bildqualität als illegale Kopie aus „diesem Internet“ an.
„Es macht Spaß, in dieses Universum zurückzukehren, gerade jetzt, wo wir all diese neue Technologie zur Verfügung haben. Ich kann Welten so erschaffen, wie ich sie mir anfänglich vorgestellt hatte, mit viel mehr Charakteren, die sich herumbewegen, und mehreren Arten von Dingen.“ – George Lucas, Sommer 1995
Wir bleiben brav: Wir schießen die London-Pläne mangels ordentlicher Vorbereitung in den Wind und buchen stattdessen zwei Vorstellungen im Cinemaxx in Bremen. Dort hat es die größte Leinwand, die anno ‘99 komfortabel für uns zu erreichen ist. Wir, das ist zu diesem Zeitpunkt ein relativ lebhafter Freundeskreis, der in Sachen Star Wars „voll drauf“ ist. Nein, nicht komplett abgehoben und auch nicht geistig in die Galaxis weit, weit entfernt abgedriftet. Aber doch mit einer überdurchschnittlichen Portion Begeisterung für DIE Kino- und Märchensaga unserer (damaligen) Zeit. Darunter sind gute Freunde, einige Bekannte, ein Sandkastenkumpel – und ganz wichtig: die junge Dame, mit der ich nicht mal einen Monat zuvor zusammengekommen bin und die heute schon seit vielen Jahren meine Frau ist. Ja, der Sommer 1999 ist für mich etwas ganz Besonderes.
Der Tag der deutschen Premiere liegt schon einige Zeit zurück, runde 20 Jahre. Was Star Wars im Besonderen und Popkultur im Allgemeinen angeht, markiert der Kinostart von Episode I einen kleinen Wendepunkt. Anlass genug, auf die Zeit vor Episode I zu schauen und auf die Zeit danach. Und auch den Film noch mal in die Sichtung zu nehmen. Doch eins nach dem anderen…
1. Das Vorspiel: Die Jahre mit und ohne Star Wars
Der Hype um Episode I hat im Wesentlichen zwei Gründe: Ein Grund ist die Original-Trilogie. Ein weiterer Grund ist der schlichte Mangel. Um das zu erklären: Star Wars schlägt in den späten 70ern in die Popkultur ein wie eine Granate. Es würde diesen kleinen Beitrag bei weitem sprengen, wollte ich aufzählen, auf wie vielen Ebenen der Sternenkrieg das Filmgeschäft und unseren Alltag bis heute beeinflusst hat. Jedenfalls entsteht damals eine Generation Blockbuster, die mit dem Weltraum-Märchen aufwächst und deren popkulturelle Sozialisierung über den Kampf Rebellen gegen Imperium stattfindet.
Diese Generation – darunter auch ich – sitzt ab 1983, also nach der Rückkehr der Jedi-Ritter, völlig auf dem Trockenen. George Lucas hat zwar mal davon geredet, dass Star Wars eigentlich aus sechs, nein, neun, nein, sechs, nein, doch neun Filmen besteht. Und er hat auch ein paar kleine Appetithäppchen an die Fans verteilt, etwa wie Anakin Skywalker zu Darth Vader wurde. Also habe auch ich mir ausgemalt, wie Obi-Wan und Anakin gegeneinander kämpfen, Vader in glühende Lava fällt und schließlich zu der bekannten „diabolischen Maschine“ wird. Und so viel sei verraten: Auf einem Vulkanplaneten habe ich das Duell nicht verortet, das war mir zu naheliegend. Sowieso dürften während der langen Wartezeit Millionen von Fans ihre ganz persönliche Variante von Star Wars weitergesponnen haben.
„Mir gefällt Mythologie – das habe ich auch studiert. Für mich war das eine Art archäologische Psychologie. Man konnte sich dabei vorstellen, wie die Leute vor 2.000 Jahren gedacht haben. […] Ich habe es in dem Glauben, dass es auch heute noch funktionieren kann, in den Film eingebaut. […] Die Leute schauen sich Star Wars an und sind der Meinung, dass es ein Special Effects-Film ist. Aber das ist er eigentlich nicht – im Grunde genommen ist es nur ein modernes, mythologisches, psychologisches Werk.“ – George Lucas, Sommer 1999
Ein (Expanded) Universe entsteht
Doch nur Lucas, der macht bis auf ein paar Fernsehprojekte rund um Ewoks und Droiden keine Anstalten, Star Wars „so richtig“ fortzuführen. Zumindest ein wenig ändert sich die Situation in den 90ern: Irgendwann halte ich das erste Buch der Thrawn-Trilogie von Timothy Zahn in Händen und erlebe eine kleine Star Wars-Renaissance. Wir Fans bekommen zunächst kleine, dann immer größere Stücke Sternenkrieg serviert. In Buchform, dann als Computerspiel wie X-Wing und Rebel Assault. Schließlich im Jahr 1996 kredenzt sogar der Meister selbst mit Schatten des Imperiums ein Multimedia-Projekt, das eine Geschichte zwischen Das Imperium schlägt zurück und Die Rückkehr der Jedi-Ritter erzählt, als Buch, als Comic, als Videospiel, mit Soundtrack und den obligatorischen Action-Figuren, nur eben ohne Film. Und diese Geschichte fällt recht düster und grausam aus. Und sogar ein bisschen erotisch.
Sowieso: Wenn ich mir die ganzen Bücher und Comics der Zeit anschaue, die Stück für Stück und Jahr für Jahr das Expanded Universe von Star Wars ausbauen, dann ist das alles nicht gerade zimperlich. Es gibt fiese Macht-Hexen, es gibt bereits noch fiesere Sith, und das Imperium begeht munter Genozid mit und ohne Todesstern. Das ist zweifellos spannend – neben den Thrawn-Romanen sind meine Favoriten noch die Schwarze Flotte-Trilogie und die X-Wing-Reihe rund um die Rogue Squadron mit Wedge Antilles. Aber nüchtern betrachtet muss ich auch mal festhalten: Die Geschichten werden mit der Zeit so rüde, dass sie mit der munteren Unterhaltung der alten Trilogie so viel auch nicht mehr gemein haben.
„Das war wohl auch einer der Gründe, warum ich [für die klassische Trilogie] so viele schlechte Kritiken bekam, denn sie sagten: ‚Das ist doch nichts anderes als ein Möchtegern-Disney-Film.‘ Aber über die Jahre hinweg haben die Leute es irgendwie vergessen und versucht, den Film als etwas zu sehen, was er eigentlich nie war.“ – George Lucas, Mai 1999
Das Lucas-Siegel
Zum 20-Jährigen von Star Wars, also im Jahr 1997, macht Lucas die Fans dann komplett wuschig: Er bringt die Original-Trilogie noch einmal ins Kino. Nur technisch leicht aufgebohrt und mit einigen neuen Szenen angereichert. Das gefällt vielleicht nicht jedem, aber mit den geliebten Filmen im Kino erreicht der Hype seinen vorläufigen Höhepunkt.
Änderungen an den Originalen – Lucas kann sich das zu diesem Zeitpunkt erlauben. Denn für die Fans ist er eine Art „Second Coming“, eine Offenbarung. Er hat Indiana Jones erfunden und zuletzt mit Sean Connery auf Gralssuche geschickt. Er hat dem Kino mit seiner Trickschmiede Industrial Light & Magic (ILM) spätestens zu Terminator 2 und Jurassic Park die digitale Revolution gebracht. Mit seinen Spiele-Entwicklern bei LucasArts hat er diverse Kultspiele wie Monkey Island und Day of the Tentacle abgeliefert. Und er hat dank seiner Leute bei Skywalker Sound das THX-System möglich gemacht. Mit anderen Worten: Alles, was das Lucasfilm-Siegel trägt, wirkt irgendwie besonders.
Dass Filmproduktionen wie Tucker oder Radioland Murders gefloppt sind – geschenkt! Dass in der Star Wars-Special Edition Computer-Dinos durchs Bild stampfen und Han Solo nur als Zweiter schießt – najaaa, ist vielleicht nicht optimal, aber wenn der George das so will…
Das alte Hassobjekt
Die Fans sind gnädig. Denn sie sind heiß! Alle sind so sehr aus dem Häuschen und in freudiger Erwartung, dass sie wohlwollend manchen Hinweis darauf übersehen, was sie mit dem neuen Film erwarten könnte. Ich kenne das ja selbst: Gierig sauge ich jede Information und jedes Gerücht auf. So spekuliere ich genauso wie viele andere, ob denn wohl Alec Guinness per Computer wiederbelebt und verjüngt wird. Derweil aber erzählt Lucas in einem Interview, dass die neuen Filme deutlich komplexer sein werden als die alten. Es wird kein einfaches Gut gegen Böse mehr geben, denn die 90er sind selbst weit komplexer geworden ohne Kalten Krieg, dafür mit Globalisierung. Und Lucas ergänzt: Wer die Frisuren in den alten Filmen gehasst hat, wird sie in den neuen erst recht hassen.
Komischerweise geben solche Äußerungen keinen Anlass zur Diskussion im Fandom – zumindest soweit ich das in der Internet-Steinzeit wahrnehmen kann. Im Jahr 1997 bin ich gerade mit einem Kumpel auf der Jedi-Con in München. Der Lucasfilm-Botschafter Steve Sansweet ist da. Anthony „C-3PO“ Daniels, Timothy Zahn und ein paar ILM-Mitarbeiter wie Lorne Petersen. Niemand dort redet über Globalisierung oder Frisuren. Vielmehr über unzählige kleine Hassobjekte: „Ewoks are good?“, fragt Anthony Daniels das Publikum in München von der Bühne: „Or Ewoks are good on fire?“ Großes Gelächter, hahaha, so einen Fehlgriff wie die kleinen Teddy-Bären wird es bei Star Wars doch nicht mehr geben, oder? Dabei sind die kleinwüchsigen Knuddelviecher doch genau das: knuddelig und gar nicht so schlimm – zumindest aus der zeitlichen Distanz betrachtet.
Mit anderen Worten: Das Fandom ist geeint in seiner Begeisterung. Und es freut sich auf den neuen Film. Es herrscht Frieden in der Galaxis.
2. Episode I: Von zerstörten Kindheiten
Das Licht geht aus. Dunkelheit. Auf der Leinwand erscheint in vertrauter blauer Schrift: „Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis.“ Jubel! Klatschen! Hype! Das Kinopublikum in Bremen feiert, ich feiere mit. Momente zuvor habe ich noch im Kinofoyer und gleichzeitig kurz vor einem Herzinfarkt gestanden, denn ich konnte nicht so ganz fassen, dass ich nun wirklich zum ersten Mal seit 16 Jahren „neues Star Wars“ sehen werde. Tja, und dann schallt die bekannte Fanfare durch den Kinosaal und der Lauftext beginnt: „Die Galaktische Republik wird von Unruhen erschüttert.“ – Sehr gut, so soll es sein. „Die Besteuerung der Handelsrouten zu weit entfernten Sternensystemen ist der Auslöser.“ – Äh, ok… Eine Handelsförderation ist also der Bösewicht, so, so…
„Während der Kongress der Republik endlose Debatten über diese beunruhigende Kette von Ereignissen führt…“ – na, ein Glück, dass wir das nicht sehen müssen. Dafür sehen wir bald ein Alien, das mit französischem Akzent spricht!
Um das mal abzukürzen: Als der Abspann erscheint, applaudiert das Kinopublikum in Bremen erneut. Aber ich habe den Eindruck, dass es nicht mehr ganz so euphorisch klingt. Eher ein bisschen pflichtschuldig. Und auch ich muss zugeben: Dieses Star Wars ist anders. Dass die Vorgeschichte der alten Trilogie erzählt wird, ist seit Ewigkeiten bekannt. Dass diese Prequels einen anderen Look haben sollen als die bisherigen Filme, eben weil sie von der Blütezeit der Alten Republik handeln, das erzählt Lucas bereits seit Jahren. Ach, und dass ein langohriger Hampelmann namens Jar Jar Binks auftauchen soll, das weiß ich auch bereits. Trotzdem fühlt sich dieses Star Wars nun mal anders an.
„You can’t play too much to the marketplace. It’s the same thing with the fans. The fans‘ expectations had gotten way high and they wanted a film that was going to change their lives and be the Second Coming. You know, I can’t do that, it’s just a movie. And I can’t say, now I gotta market it to a whole different audience. I tell the story. I knew if I’d made Anakin 15 instead of nine, then it would have been more marketable. If I’d made the Queen 18 instead of 14, then it would have been more marketable. But that isn’t the story.“ – George Lucas, Mai 1999
Unsere Gruppe findet den Film übrigens gut. Punkt. Selbst das olle Schlappohr Jar Jar ist… nun… ganz witzig… Oder?
Midichlori… was?!?!
Ich gebe zu: Einige der Story-Elemente hätte ich damals auch nicht unbedingt gebraucht. Zum Beispiel Anakins Alter: Dass der ursprünglich 12 Jahre sein sollte, damit konnte ich leben. Letztlich ist er aber 9 Jahre alt. Oder: Die Sache mit den Midichlorianern. Es ist ja schön, dass Lucas die Mythologie um die Macht erklären will. Aber ist das wirklich notwendig? Die Macht hat als mystisches Irgendwas doch bislang bestens funktioniert. Nicht umsonst ist der sogenannte Jediismus als Quasi-Religion entstanden. Oder: Liam „Oskar Schindler“ Neeson stirbt im Film. Dabei wurde die Besetzung doch so groß vermeldet. Das gilt übrigens genauso für den ultracoolen Darth Maul, der trotz seines Faltenrocks selbst Darth Vader in den Schatten stellt. Von der Screentime von Samuel L. Jackson – damals der King of Cool aus Pulp Fiction – fange ich besser gar nicht an.
„Es ist mir durchaus bewusst, dass sich einige Fans in einem Zwiespalt befinden. Erstens sind sie inzwischen älter geworden, und der Film ist schließlich für Kinder. Zweitens haben sie alle diese unglaublichen Erwartungen, die der Film niemals einhalten kann.“ – George Lucas, Mai 1999
Insgesamt lässt sich wohl sagen: Episode I ist ein Film der unerfüllten Erwartungen. Er ist kein „Nach-Hause-kommen“, mit dem viele Jahre später der erste Disney-Star Wars Das Erwachen der Macht werben wird. Er ist eigentlich das genaue Gegenteil, nämlich das Rausgestoßen-werden aus der Komfortzone. Furzwitze inklusive. Pod-Rennen aber auch.
Star Wars: Episode I – Die dunkle Bedrohung kommt in den Medien ganz unterschiedlich an. Da wäre zunächst die Cinema, die den Hype natürlich geschäftsmäßig ausschlachtet. Sie schickt Schauspielerin Jasmin Tabatabai ins Kino, die damals gerade den Film Late Show zu verkaufen hat und absolut authentisch beteuert, wie toll Computer-Figur Jar Jar doch schauspielert. Die Redaktion veröffentlicht gleich zwei Kritiken zum Film: eine negative und eine positive, die sich aber irgendwie negativ liest. Der Focus nimmt es locker und schreibt: „Episode I – Die dunkle Bedrohung ist weder Revolution noch Erweckungsbotschaft, sondern das, womit eigentlich keiner mehr gerechnet hatte: ein Star Wars-Film.“ Die Redaktion erachtet den Film sogar als „lässig“. Weniger gelöst geht Die Welt ans Werk: Kinokritiker Hanns-Georg Rodek schreibt einem Verriss, in dem er gleich mehrere Punkte aufzählt, wonach Episode I nicht nur schlecht ist, sondern gleich gegen die Regeln des Filmemachens verstößt.
Der Internet-Zug rollt an
Es ist egal, ob Nachhausekommen oder Aufbruch: Das Hobby Star Wars verliert in diesem Jahr – für mich – seine Unschuld. Denn ab hier wird es hässlich. Um das genauer zu erklären: Das Internet ist zum Ende des alten Jahrtausends längst auf dem Siegeszug und gibt dem Fandom eine anonyme Plattform, um sich auszutauschen. Das klingt zunächst mal gut. Aber es zeigt sich, dass Diskussionen eine neue Dynamik erhalten, insbesondere dann, wenn jemandem etwas nicht passt. Und vielen Fans passt eine ganze Menge nicht. Die Stimmung Lucas gegenüber dreht sich, zunächst nur leicht, dann bestimmt. Was zuvor Segen war, nämlich dass das Fandom einen klar zu identifizierenden „Meister“ hatte, verkehrt sich nun zum Fluch: Die Kritik wird persönlich.
„These are PG movies. I’m not gonna take those kinds of characters out. Obviously when you get a small group of fans who hate something, it becomes compounded by the internet.“ – George Lucas, Mai 1999
Die Anklage: Lucas hat mit Episode I rückwirkend Kindheiten zerstört. Und die wesentlichen Anklagepunkte – auch rückwirkend – lauten:
- Die Special Editions der Originalfilme sind doof. Ein filmhistorisches Verbrechen, dem nur mit Despecialized Editions ohne neue Ergänzungen beizukommen ist.
- Han hat zuerst geschossen! Basta! Der Mann ist Schmuggler und gleichzeitig kaltblütiger Killer. So hat das zu sein!
- Die Prequels sind – Pardon! – Kacke: schlechte Inszenierung, schlechtes Schauspiel, schlechte Dialoge und Getänzel und Gefuchtel anstelle von Laserschwert-Duellen.
- Midichlorianer! Noch Fragen?
- Lucas hat seine eigene Geschichte vergessen. Die neuen Filme sind unsauber auf die Mythologie der alten abgestimmt.
- Besteuerung von Handelsrouten? Gähn! Das hier ist Star Wars! Rebellen gegen Imperium. Gut gegen Böse! Keine Laberei in einem Senat!
- Lucas ist ein Rassist! Jar Jar Binks ist ein Stereotyp aus der Kloake der Filmgeschichte. Die Neimoidianer mit ihrem asiatischen (französischen) Dialekt sind es auch.
- CGI! Noch Fragen?
- Lucas hatte nur Glück. Seinen Erfolg hat er wahren Könnern zu verdanken, darunter wahlweise Marcia Lucas, Lawrence Kasdan, Gary Kurtz, Leigh Brackett, Irvin Kershner…
„Midichondrians are a loose depiction of mitochondria, which are necessary components for cells to divide. They probably had something […] to do with the beginnings of life and how one cell decided to become two cells with a little help from this other little creature who came in, without whom life couldn’t exist.“ – George Lucas, Mai 1999
Von Vergewaltigern und RedLetterMedia
Die Prequels gehen vorbei, die düstere und brutale Episode III besänftigt die Fans ein wenig, mehr nicht. Macht aber auch nichts: Die Kinolandschaft ist inzwischen eine andere. War Star Wars einst das Franchise schlechthin, schauen die Leute nun mindestens genauso gerne Matrix, Harry Potter, Herr der Ringe, Spider-Man oder Fluch der Karibik. So schwelt die Verstimmung der Fans leise vor sich hin – bis 2008 der vierte Indiana Jones-Film in die Kinos kommt. Stein des Anstoßes ist dieses Mal nicht Jar Jar Binks, sondern ein fliegender Kühlschrank. Lucas zerstört nicht mehr nur Kindheiten, zusammen mit seinem Kumpel Steven Spielberg wird er nun sogar zum Vergewaltiger. Das Opfer: Indiana Jones selbst.
Der Ofen ist aus: Wurde der Mann im Jahr 1999 geradezu liebevoll im Kurzfilm George Lucas in Love aufs Korn genommen, folgt 2010 die kritische Doku The People vs. George Lucas. Und als er ein Jahr später die Star Wars-Filme auf Blu-Ray veröffentlicht und Darth Vader am Ende von Die Rückkehr der Jedi-Ritter ein „Nooooo!“ in den Mund legt, findet der Shitstorm kein Ende. Im Jahr 2012 fassen es die Youtuber von RedLetterMedia, die ihren Erfolg selbst ein Stück weit ihren Prequel-Verrissen zu verdanken haben, wie folgt zusammen: „It feels like talking about George Lucas at this point is like beating a dead horse.“
Was ist ein Prequel?
Aber um mal in der Zeitblase rund um das Geburtstagskind Episode I zu bleiben: Im Jahr 2001 sind wir auf der Jedi-Con in Köln. Wir – das ist in gleicher Besetzung die Runde, die auch in Bremen im Kino war. Unserer Begeisterung für die Saga hat der neue Film keinen Abbruch getan. Meine Kumpels sind mächtig scharf auf Merchandise. Einer lässt sich eine Chewbacca-Figur für gutes Geld von Peter Mayhew (R.I.P.) signieren, der andere eine Boba Fett-Figur für nicht weniger Geld von Jeremy Bulloch. Steve Sansweet ist auch wieder da, dieses Mal hat er sogar den Prequel-Produzenten Rick McCallum mitgebracht. Als beide zusammen auf der Bühne stehen, ruft ihnen ein euphorischer Fan ein lautstarkes „Thank you!“ für den neuen Film zu. Die Fans applaudieren, aber nicht wenige lächeln etwas angestrengt. So geeint wie noch vier Jahre zuvor ist das Fandom also nicht mehr.
Was bleibt 20 Jahre später? Nun, die Originaltrilogie von Star Wars hat das Filmbusiness nachhaltig geprägt, ob das nun das Merchandising betrifft, das Blockbuster-Kino mit seinen Spezialeffekten oder das Franchise-Prinzip. Die Prequels wiederum fügen all dem noch etwas hinzu: eben das Prequel, also die Vorgeschichte. Und den digitalen Film. Bei aller Kritik an den Episoden I bis III, beides ist heute selbstverständlich. Sogar das große Konkurrenz-Franchise von Star Wars, nämlich Star Trek, erlebt seine Prequels, zunächst mit der Serie Enterprise, dann mit dem Reboot unter Regie von J.J. Abrams, der später für Disney bei Star Wars im Regiestuhl sitzen wird. Apropos: Heute, 20 Jahre nach der dunklen Bedrohung, haben die Fans längst ein neues Hassobjekt ausgemacht: die neuen Filme. Auch ganz ohne Lucas.
Och, eigentlich…
Das alles bitte nicht falsch verstehen: Die Rückschau klingt vielleicht ein bisschen bitter, doch die unschönen Seiten gehören nun mal dazu. Viel lieber erinnere ich mich an die netten Momente, die uns das erste Prequel beschert hat. Dazu gehört auch eine kleine stille Episode: Ich daheim bei meiner heutigen Frau, kurz nach der Sichtung im Kino. Das Sourcebook für das Star Wars-Rollenspiel steht im Schrank (ja, welche Überraschung, das hier ist ein Nerd-Blog!). Ich nehme es zur Hand und schaue mir die Risszeichnungen der altbekannten, sehr technischen X-Wings darin an. Gedanklich ziehe ich einen Vergleich mit den neuen, elegant geformten Naboo Starfightern. Letztere wirken noch reichlich ungewohnt. Ist es schade, dass Episode I nicht das Gewohnte zeigt? Eigentlich nicht, denke ich mir. Wie sagte doch Obi-Wan zu Luke, als der sich aus seiner gewohnten Umgebung wagte? „Du hast den Schritt in eine größere Welt getan.“
Und nicht vergessen: Es ist nur ein Film…
…in einem bayrischen Kino. Damals, als Familienurlaube noch „in“ waren und die Star Wars-Welt in Ordnung. Zu dieser Zeit also begab ich mich mit meiner Familie und einer Urlaubsfreundschaft in den Film, der das Fandom nachhaltig verändern sollte: Star Wars: Episode I – Die dunkle Bedrohung. Die Premierenwoche war voller Vorfreude und die Spielzeugläden voll mit Merchandise. Vor allem diese lustig exotischen Kreaturen hatten es mir und meinem Bruder angetan. Jar Jar? Sieht witzig aus. Gekauft! Qui-Gon, Obi-Wan und Darth Maul waren schon in unserem Besitz und auch der kleine Ani gesellte sich dazu.
Wir waren voll drin, im Star Wars-Fieber. Die Schlange vor dem Kino war lang. Überall angespannte Gesichter. Ich weiß nicht mehr genau, aber an diesem Tag wollte wohl jeder in den neuen Sternenkrieg ziehen. Die anderen Säle waren nur sporadisch mit Besuchern bestückt. Im Saal selbst legte sich das Gemurmel und Geraschel schlagartig mit dem Auftauchen des Lucasfilm-Logos. Während des ganzen Films war kaum etwas von den Zuschauern zu hören. Nicht, weil sie es nicht fassen konnte, sondern weil sie gespannt und interessiert auf die Leinwand starrten. So passte es auch dazu, dass am Ende, als alle wieder im Foyer waren, die glücklichen Gesichter In der Überzahl waren. Kaum jemand war auszumachen, dem der Film nicht gefallen hatte.
Diese Abneigung sollte sich erst kurz später verselbstständigen und – leider – ein Teil der Popkultur werden. Meine Eltern fanden den Film gut, mein Bruder und ich waren begeistert. Die Urlaubsfreundschaft war die einzige Person, der der Film nicht ganz zusagte. Trotzdem konnte sie sich für einige Szenen erwärmen und war somit noch nicht gänzlich der dunklen Seite des Fandoms verfallen. Aber so ist es im Leben, jeder hat mal einen schlechten Tag.
Zu dieser Zeit war ich aber nicht nur im Urlaub, nein, ich war zuhause auch Teil des regionalen Radio-Senders. Genauer gesagt: der wöchentlichen Kinosendung. Aus diesem Grund bot ich der Redaktion auch an, direkt von der Front – also aus dem bajuwarischen Feindesland – zu berichten. Am Abend nach dem Kinobesuch machte ich mich auf, eine Telefonzelle (!) zu suchen. Telefonkarte eingesteckt und in der Heimat angerufen. Mein damaliger Kollege nahm meinen Bericht des Kinobesuches und der Stimmung davor und danach im Studio auf, schnitt ihn und packte ihn in die nächste Sendung. Aufgezeichnet, aber als Live verkauft. Lug und Trug in der Medienlandschaft.
Damals war es eine andere Zeit. Das Internet war nicht so verbreitet wie heute. Meinungen tauschte man noch persönlich aus anstatt anonym in Foren. Die Freude auf den Film überwog und bekam kaum Gegenwind. Heutzutage kaum vorstellbar. Dass ausgerechnet Star Wars dazu beigetragen hat, Fans zu extremeren Meinungen zu animieren, ist irgendwie schade, aber nicht mehr zu ändern. Was bleibt, war ein tolles Erlebnis, welches nicht nur durch den Film, sondern auch durch die Umstände entstand. Umstände, die gedanklich auch bei den weiteren Episoden dabei waren und diese Filmerlebnisse ebenso magisch machten.
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